Till Weber

Tokyo - eine Biografie


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Großen Rat, der selbst einem Shōgun seinen Willen aufzwingen konnte, ließ Yoshimune in den 1720ern einfach aussterben. Privater und auch staatlicher Luxus wurden bekämpft, wobei Yoshimunes Auffassung von notwendigem frugalen Lebensstil selbst den diesem eigentlich zugeneigten konfuzianischen Gelehrten zu weit ging. Immerhin gelang dem Shōgun dadurch die Rückkehr zur guten Münze binnen vier – nicht 20 – Jahren wie Arai Hakuseki es geplant hatte. Zwar musste 1736 die Gold- und Silberwährung erneut verschlechtert werden, das Prägen großer Mengen von Kupfermünzen stabilisierte die Lage aber langfristig. Hinzu kamen unter Yoshimune bedeutende Reformen im Rechtswesen und bei der Lokalverwaltung, die viele alte Zöpfe abschnitten. Die Staatsfinanzen wurden in den 1740ern saniert, indem Bauern in Westjapan höhere Abgaben zu zahlen hatten – in den Worten des Superintendanten des Finanzwesens, Kan’o Hirahide: »Bauern und Ölsamen sind sich sehr ähnlich: je mehr man sie drückt, desto mehr geben sie her.« Günstigerweise lebten diese Bauern fern der Hauptstadt Edo, der es im Allgemeinen wirtschaftlich gut ging.

      Yoshimune verkörperte den Typ des wohlwollenden Tyrannen – er baute seine Macht konsequent aus in der Überzeugung, dass sie, wenn weise eingesetzt, das Beste wäre, was Stadt und Land widerfahren könnte. Die harschen Realitäten des Shōgunats, das letztendlich ein Militärregime war, überdeckte er durch patriarchalische Güte, die ihm Loyalität sicherte. Wiederum Titsingh berichtet, dass einer von Yoshimunes Leibwächtern tief beschämt und beunruhigt war, weil es ihm nie gelang, auf den Jagdexpeditionen seines Herren einen Vogel zu treffen. Dies blieb auch Yoshimune nicht verborgen, und nach einem letzten traurigen Versuch bei der Vogeljagd ließ er bei der Heimkehr den ganzen Zug auf der Neuen Brücke zum Tigertor (Toranomon) zur Burg anhalten. Der Shōgun hieß den unglücklichen Schützen, ihm mit seinem Bogen einen Karpfen im Burggraben zu schießen. Dieser wimmelte nur so von Fischen – der stolze Mann konnte dem Shōgun einen selbst erlegten Karpfen überreichen. An den Ort des Geschehens erinnert heute noch der Name der U-Bahn-Station Toranomon. Dieses Tor war das südlichste, und ist zusammen mit dem äußeren Perimeter der Burg schon vor langer Zeit der städtischen Entwicklung von Tōkyō zum Opfer gefallen.

      Der gerechte Shōgun Yoshimune selbst ging 1745 in den Ruhestand. Die letzten sechs Jahre seines Lebens waren aber zunehmend von Krankheit überschattet.

      Yoshimunes Sohn Ieshige (1711 – 1761, Regierungszeit 1745 – 1760) wurde als Fünfunddreißigjähriger der neunte Shōgun. Die Historie bezeichnet ihn als einen der am wenigsten fähigen Tokugawa-Shōgune, Isaac Titsingh als nicht gesund schon bei Amtsantritt wegen einer »ungeordneten Leidenschaft für Frauen und stark alkoholhaltige Getränke«. Die Bevölkerung sprach (hinter vorgehaltener Hand) über Ieshige als anpontan, was mehr oder weniger »Dummkopf« bedeutet. Auch dem zehnten Shōgun Ieharu (geboren 1737, Regierungszeit 1760 – 1786) wurde von einem Holländer, Jan Crans, Faulheit, Dummheit und Lüsternheit unterstellt. Trotzdem lief die vom achten Shōgun Yoshimune überholte Regierungsmaschine jahrelang gut weiter, bis sich kritische Stimmen und lokale Bauernaufstände zu häufen begannen. Die wirtschaftliche und soziale Dynamik des Landes hatte sich seit 1603, dem Beginn des Shōgunats, stark verändert. Nirgendwo war das stärker zu spüren als in der Metropole Edo, aber die konservative Obrigkeit fürchtete Neuerungen und reagierte daher zunehmend unzureichend.

      Der Anfang der Regierung des elften Shōgun Tokugawa Ienari (1773 – 1841, Regierungszeit 1787 – 1837) war geprägt von der Dominanz des Fürsten Matsudaira Sadanobu (1759 – 1829), eines Verwandten des jungen Herrschers. Diesem Shōgun wird nachgesagt, im Frauenquartier der Burg Edo, dem abgeriegelten Ōoku, rund 900 Frauen gehabt zu haben, mit denen er mehr als 75 Kinder zeugte, die kostspielig versorgt werden mussten. Matsudaira Sadanobu war aus ganz anderem Holz geschnitzt. Geboren in der Burg Edo in eine Nebenlinie der Tokugawa, kam er aus einem Haus, das Wert auf männliches Auftreten und moralische Lebensführung legte. Sein Vater Munetake war ein Sohn des achten Shōgun Yoshimune, war aber zugunsten des dekadenten Ieshige übergangen worden. So bereitete Munetake seinen Sohn Sadanobu mit einer überaus gründlichen Erziehung darauf vor, die nächste Chance auf das höchste Staatsamt zu ergreifen. Doch auch Sadanobus erhoffte Adoption durch Shōgun Ieharu scheiterte. Stattdessen wurde Sadanobu von den Matsudaira von Shirakawa adoptiert.

      Adoptionen von Söhnen als Ersatz für fehlende Erben waren in den besitzenden Familien weit verbreitet; eine Fürstenfamilie ohne Erben lief Gefahr, ihres gesamten Lehens verlustig zu gehen. Für die abgebende, söhnereiche Familie war das nicht selten mit handfesten Vorteilen verbunden. So wurde der ehrgeizige Sadanobu 1783 Fürst von Shirakawa, und 1787 war er ganz oben angekommen, als er noch vor seinem 30. Geburtstag unter dem gerade fünfzehnjährigen Shōgun Ienari den neuen Posten des Obersten der Großen Räte (rōjū shūseki) übernahm, also eine Art von Premierminister wurde, dazu offizieller Berater des Shōgun (hōsa), ein Posten, der 150 Jahre vakant gewesen war. Alle Reformen mussten mit der verkrusteten Regierungsbürokratie beginnen, und hier war ein charismatischer Mann gefragt (Charismatic Bureaucrat ist der Titel von Sadanobus moderner Biographie von Herman Ooms). Sadanobu wurde zum Architekten der Kansei-Reformen. Kansei bedeutet in etwa »milde Regierung«, aber tatsächlich war seine Regentschaft das Gegenteil. Zuerst entledigte er sich seiner Gegner in der Regierung. Sein Geheimdienst nahm Edo und die Provinzen in den Griff und verbreitete Furcht. Informanten und Denunzianten konnten auf reichen Lohn hoffen. Matsudaira Sadanobu sah den Staat der Tokugawa fatal bedroht und kämpfte um dessen Überleben. Eine ungewöhnliche Häufung von Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Missernten und Bränden hatte Japan in Unruhe versetzt. 1786 gab es 57 Bauernaufstände, 1787 Aufstände sogar in Edo und 1788 insgesamt 117 Revolten. Allein im Bezirk Kuramae in Edo, wo gut gefüllte Lagerhäuser standen, fielen hungrige Massen über fast 1.000 kura her und plünderten sie. Sadanobu ordnete an, dass die allzu lasch gewordenen Samurai der Tokugawa verstärkt Kampfkünste zu trainieren hätten und der ganzen Gesellschaft verordnete er zur »Gesundung« strikt orthodox konfuzianische Werte. Er ließ andere philosophische Richtungen als Häresie brandmarken und bannte »Pornographie«, was zur Verfolgung einer Reihe prominenter Autoren und Künstler in Edo führte, die sich vor den Zensoren der Regierung in Acht nehmen mussten.

      Andere Maßnahmen, die Edo betrafen, erscheinen aus heutiger Sicht sinnvoller: So gab die Regierung Bauern aus verwüsteten Dörfern, die in der Hoffnung auf ein Auskommen in die Hauptstadt geflutet waren, Reisegeld, Werkzeug und teils sogar Land, wenn sie in die Provinz zurückkehrten, wodurch die Agrarproduktion gestärkt und die Spannungen in Edo gemindert wurden. Trotzdem zogen viele ehemalige Bauern eine marginale Existenz in der Hauptstadt der Schufterei auf dem Lande vor. Für Wohnungslose richtete Sadanobu ein Wohn- und Arbeitshaus in Ishikawajima ein, das aber verhasst war selbst bei den Ärmsten wegen der Zwangsarbeit und ungenügenden Ernährung und Kleidung.

      Auch am anderen Ende der Einkommensskala in Edo wurde Sadanobus Regierung aktiv, indem sie Gruppen von reichen Kaufleuten, die vorher wegen ihres geringen sozialen Status offiziell missachtet worden waren, mehr Anerkennung entgegenbrachte und gleichzeitig finanzielle Anforderungen an sie stellte. Dies waren zunächst die auch den Tuchhandel dominierenden Gold- und Silbergilden, dann der Verband aller Edo-Niederlassungen der wichtigsten Kaufleute des ganzen Landes und schließlich diejenigen Unternehmer aus Edo, die sich mit neuartigen Geschäften befassten. Schließlich arbeitete die Regierung mit zehn solchen Gruppen zusammen, der wirtschaftlichen Elite von Edo. Und tatsächlich ließ sich diese darauf ein, dass die Regierung einen generellen Schuldenerlass für alle Samurai verhängte, der natürlich die Kaufleute schädigte. Aber die fortgesetzte Unterstützung durch die Regierung machte diesen Verzicht erträglich, der wiederum dazu beitrug, die Lage in der Stadt zu entschärfen.

      Bei fast allem, was er veranlasste, machte sich Matsudaira Sadanobu, der politisch Verantwortliche, unbeliebt. Zwischen 1791 und 1793 bat er den Shōgun drei Mal darum, von seinen Pflichten entbunden zu werden. Beim dritten Mal entsprach Ienari seinen Wünschen.

      Matsudaira Sadanobu zog sich nach und nach aus der shōgunalen Politik zurück und widmete sich noch viele Jahre anderen Aufgaben. Anscheinend gehörte zu seinem wirklichen Wesen aber noch mehr als sein Ruf als drakonischer Reformer