Shōgun gefolgt. Trotz der erhabenen Inszenierung seiner Majestät ist er in der japanischen kollektiven Erinnerung eher unvorteilhaft als der »Hunde-Shōgun« bekannt.
Dabei hatte seine Herrschaft vielversprechend begonnen. Belesen, in konfuzianisch-patriarchalischer Manier um das Wohlergehen seiner Untertanen besorgt, entzog er insgesamt 46 Fürsten ihre Lehen ganz oder teilweise wegen Missregierung, bannte die in Edo blühende Prostitution sowie Kleiderluxus und erteilte seiner Regierung den Auftrag, den allgemeinen Lebensstandard anzuheben. 1691, im Jahr von Kaempfers erstem Besuch, gründete er in Edo die neokonfuzianische Akademie Yushima Seidō, die Isaac Titsingh als »Universität« bezeichnet. Die fünf Werte Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Ethisches Verhalten, Weisheit und Güte sowie die Betonung väterlicher Autorität sollten Regierungsmitarbeitern wie dem einfachen Volk nahegebracht werden. Doch übertrieb Tsunayoshi den religiös begründeten Eifer, als er ein »Gesetz zum Mitleid gegenüber Lebewesen« erließ, das zum Beispiel den Verkauf von Vögeln und Schildkröten als Nahrungsmittel untersagte und besonders Hunde geradezu zu »Heiligen Kühen« machte. Tsunayoshi selbst war im Jahr des Hundes geboren worden und ließ nun jede Grausamkeit gegenüber Hunden mit Strafen bis hin zum Tod belegen. Bald war die Stadt angefüllt von wilden Hunden, von denen 50.000 in ein Gehege in der Vorstadt transportiert wurden, wo sie auf Staatskosten mit Fisch und Reis gefüttert wurden (Bauern und Tagelöhner in Edo hatten oft nur Hirse als Hauptnahrungsmittel). Das Leben in Edo war hart genug für die meisten Bewohner und an Hunde gab es nichts zu verschenken. Die öffentliche Stimmung verschlechterte sich, weshalb es leicht war den erneuten, auch von Kaempfer bezeugten Brand von 1692, den Taifun von 1706 und den Ausbruch des Fuji 1707 als schlechte Zeichen zu deuten.
Tsunayoshis Ende kam aber infolge einer anderen Leidenschaft. Wie in vielen historischen Kriegergesellschaften war es zwar im feudalen Japan durchaus nicht unüblich, sexuelle Beziehungen zu Männern zu unterhalten, aber Tsunayoshi ging zu weit, als er sich 1709 entschloss, seinen aktuellen Liebhaber, den Sohn des Fürsten von Kai, zu seinem offiziellen Nachfolger zu ernennen. Die Legitimität der Tokugawa-Dynastie hing von der Erbfolge ab, und ein solcher Tabubruch hätte der Anlass zu einem neuen Bürgerkrieg werden können. Nachdem alle Überredungsversuche scheiterten, nahm es Tsunayoshis Frau, selbst die Tochter eines Kaisers, auf sich, ihn am Vortag der Proklamation im Ōoku, dem Frauenteil des Palastes in der Burg, zu erdolchen, bevor sie sich mit derselben Waffe das eigene Leben nahm. Ob es sich dabei um dieselbe Dame mit »schwarzen Augen voller Feuer und Vigeur« handelte, der Kaempfer begegnet war, wissen wir leider nicht genau. In Titsinghs dramatischer Schilderung weist Tsunayoshi die beschwörenden Bitten seiner Frau mit den Worten »Das Reich gehört mir! Ich werde tun, was mir gefällt!« zurück. Genau an dieser Stelle irrte der Hunde-Shōgun. Die meisten Shōgune nach Ieyasu hatten genauso wenig wie andere Fürsten persönlich absolute Macht. Sie standen der Regierung als Symbol und Quelle der Autorität vor und konnten gelegentlich eigene, sogar auch eher seltsame Ideen umsetzen. Letztlich lenkten die Geschicke des Reichs in der Regel hohe Regenten, Vorsteher des Haushalts und Verwandte des Shōgun, wie unter Tsunayoshi zuerst Hotta Masatoshi, später Yanagisawa Yoshiyasu und bis 1705 auch seine kluge Mutter Keishōin. Wenn der Shōgun den Kern seiner Pflichten – den Erhalt der Macht des Hauses Tokugawa – in Gefahr brachte, begab er sich auf dünnes Eis. In den drei Hauptlinien der weit verzweigten Familie Tokugawa war stets geeigneter Ersatz zu finden.
Einschränkend muss aber noch erwähnt werden, dass die Geschichte der Ermordung des Shōgun mit ihren spektakulären Details natürlich nicht in den offiziellen Geschichtsbüchern verzeichnet ist – sie gehörte wohl zu den Gerüchten, die Titsinghs japanische Gewährsleute berichteten; ein Gerücht allerdings, das sich den größeren Teil eines Jahrhunderts gehalten hatte.
Der gerechte Shōgun Yoshimune (1684 – 1751)
Der sechste Shōgun, Tokugawa Ienobu (geboren 1662, im Amt 1709 – 1712) war Tsunayoshis Neffe. Er beeilte sich, die Tierschutz-Gesetze seines Vorgängers zu widerrufen und eine große Amnestie zu verkünden. Ienobus Tutor, der berühmte Gelehrte Arai Hakuseki (s. Der Historiker Arai Hakuseki, S. 82), stand hinter mancher menschenfreundlichen, im besseren Sinne konfuzianischen Entscheidung des Shōgun.
Auf Ienobu folgte 1712 als siebter Tokugawa-Shōgun der vierjährige Ietsugu. Wie sein Vater Ienobu war er kränklich veranlagt und starb bereits 1716. Arai Hakuseki und Manabe Akifusa führten de facto die Regierung und gingen 1714 ein schon lange bestehendes Problem an: Die Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktivität um rund 60 % in den letzten 100 Jahren hatte, außer bei Missernten, zu einem Überangebot an Reis geführt, das auf den Preis drückte. Samurai aller Ränge wurden aber auf Reisbasis bezahlt, meistens in einer Mischung aus Bargeld und Reis, für den sie seit langem immer weniger Geld oder Waren bekamen. Ihre kostspieligen gesellschaftlichen Pflichten waren aber die gleichen geblieben, was zu Verschuldung führte. Arai Hakuseki beschwor den kindlichen Shōgun mehrfach, seinen Finanzminister Ogiwara Shigehide zu entlassen, dessen Politik der wiederholten Geldentwertung durch Münzverschlechterung ihm ein Dorn im Auge war.
Einen Monat vor dem Tod des Shōgun hatte Arai Erfolg. Der Abfluss von Edelmetall durch den Handel mit Chinesen und Holländern sollte reduziert, die heimische Produktion von sonst importierten Gütern wie Seide und Arznei angekurbelt werden. Zu diesen merkantilistischen Maßnahmen trat eine Rückkehr zur guten Münze von früher, was den langfristigen und wohl eigentlich nicht erwünschten Effekt hatte, die finanzielle Position der bürgerlichen Kaufleute gegenüber den sozial weit höher gestellten Samurai zu stärken. Das 18. Jh. in Edo gehörte auch kulturell zunehmend den Bürgerlichen, während der Schwertadel mit Einkommensverlusten und Schulden zu kämpfen hatte.
Neben Tokugawa Ieyasu selbst wird der achte Shōgun Yoshimune (1716 – 1745) zu den bedeutendsten im Amt gezählt. Geboren 1684, war er ganz anders als seine drei direkten Vorgänger, die die Bedeutung von neokonfuzianischer Gelehrsamkeit für einen Shōgun und seine Regierung betont hatten. Yoshimune war Samurai durch und durch; und da es im 18. Jh. keine Kriegszüge mehr anzuführen gab, widmete er sich den Kampfkünsten, der Jagd und der Falknerei. Als ehemaliger Fürst von Kii, also Oberhaupt einer der drei Hauptlinien der Tokugawa (die anderen waren Owari und Mito), eilte ihm ein Ruf als Macher voraus. Ienobus und Ietsugus gelehrte Berater Arai und Manabe entließ er sofort, wodurch er den lähmenden Antagonismus zwischen den persönlichen Beratern der alten Shōgune sowie den fünf Mitgliedern des Großen Rats, dem traditionellen Herzstück der Tokugawa-Regierung, aufhob. Die Mitglieder des Großen Rats waren Fürsten aus der Gruppe der fudai, den »inneren« Fürsten, die den Tokugawa schon lange treu gedient hatten. Trotzdem überließ Yoshimune diesen Herrschaften die Regierung nicht allein; er sprach auch mit niederrangigen Würdenträgern, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen, falls ihm dies nicht sein eigener Geheimdienst, die 20 Männer des oniwaban, vermittelte. Seit 1721 ließ er dreimal pro Woche einen Zettelkasten für Verbesserungsvorschläge vor dem Obersten Gericht aufstellen, was den Bürgern von Edo das erste Mal seit langem das Gefühl gab, der Shōgun nehme Anteil an ihrem Los. Durch diese Eingaben erfuhr Yoshimune von Verfehlungen seiner Regierung und konnte einige korrigieren.
Keine Geschichte aus seiner Amtszeit verdeutlicht mehr den Geist der Gerechtigkeit seiner Herrschaft als die von Ōoka Echizen, dem legendären Stadtmagistraten von Edo (s. Edos legendärer Richter Ōoka Echizen, S. 129). Yoshimune revitalisierte die Verwaltung, indem er viele Positionen und mit ihnen verbundene Einkünfte nicht mehr nach feudalen Prinzipien vergab, also lebenslang und oft genug vererbbar, sondern auf Zeit und nur für diese mit den höheren Einkünften versehen – der erste Schritt in Richtung einer regulären Besoldung in einem neuen System, in dem die Begabtesten und nicht die Erbberechtigten gefördert werden. Effektivität und Professionalität hielten in einem gewissen Rahmen Einzug in die Burg Edo. Trotzdem blieben alle Posten in der Verwaltung weiterhin den Samurai vorbehalten. Über Mizuno Shobei, den Yoshimune bis zum Hauptmann der Wache in den Privatquartieren des Shōgun beförderte, erzählt Isaac Titsingh die Anekdote, dass eines Tages beim Shōgun getanzt wurde und einer der Staatsräte den Hauptmann der Wache fragte, ob einer seiner Männer sich mit Musik auskenne. Darauf erwiderte Mizuno: »Meine Männer kennen sich mit militärischen Dingen