Die Sicherheitsbeamten fanden in Teheraner Wohnviertel mehrere bewaffnete Terrorgruppen. Diese wollten Polizeistationen angreifen und Banken überfallen …
Kak Foad im Hungerstreik
Während unseres Abendessens sagte mein Vater zu mir: „Komm morgen Vormittag in mein Geschäft.“
Ich entgegnete: „Warum soll ich kommen?“
Er war schlecht gelaunt. „Das ist egal. Wenn ich das sage, hast du zu kommen. Bevor du auf der Straße herumhängst, kannst du lieber etwas Sinnvolles tun und mir helfen. Außerdem ist morgen Freitag und du hast keine Schule.“
Meine Mutter unterbrach meinen Vater: „Warum kannst du das nicht in einem normalen Ton sagen? Weshalb bist du so schlecht gelaunt?“
„Du und deine Söhne!“, stöhnte er. „Ich brauche eben Hilfe. Ich erwarte neue Ware aus Teheran und außerdem gehe ich zum Freitagsgebet in die Moschee, wie ich das jeden Freitag tue.“
Um die schlechte Laune meines Vaters zu dämpfen, sagte ich: „Ja, ja, mein lieber Vater, ich komme morgen.“ Ich zwinkerte meiner Mutter zu, die heimlich zurücklächelte. Mein Vater setzte eine grimmige Miene auf.
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück lief ich zum Geschäft meines Vaters auf dem Basar. Trotz des Sonnenscheins war es kalt. Der kühle Wind kam von Darsiran. Der Basar war voller Menschen, wie jeden Freitag, weil es der einzige freie Tag war und alle Ämter und Schulen geschlossen hatten. Die Beamten genossen die freie Zeit, um ihre Einkäufe meist für die ganze Woche zu erledigen. Es war ein Markttreiben in bunten Farben. Die Gemüsehändler schrien und präsentierten ihr frisch geerntetes Obst und Gemüse. Alte Bäuerinnen verkauften am Rande des Basars ihren selbstgemachten Joghurt und andere Köstlichkeiten wie Marmelade und selbstgebackene Kuchen. Die kleine Welt in Marivan war in vollem Gang. Das Stimmengewirr war laut und hatte seinen eigenen Charme.
Von Weitem sah ich, dass Arbeiter mit Schubkarren die Ware von dem Terminal der Busstation zum Geschäft meines Vaters brachten. Ich beeilte mich und fand meinen Vater schwitzend bei der Arbeit. Er sah mich und sagte: „Ach, bist du auch schon da! Das wird aber Zeit. Du siehst, was hier los ist.“ Er gab mir ein Messer zum Öffnen der vielen Kartons und fuhr fort: „Stelle alles ordentlich in die Regale.“
Während ich vor dem Laden die Ware auspackte, sah ich plötzlich Jewad auf seinem Motorrad. Hinter ihm saß jemand. Ich ließ alles stehen und liegen und rannte hinter ihm her. Laut rief ich: „Jewad, Jewad, bleib stehen!“
Er reagierte sofort und stoppte das Motorrad.
„Hallo Jewad, wo steckst du nur, ich habe dich tagelang nicht gesehen. Du hattest mir doch versprochen, mir ein Buch zu geben.“
Wie immer lächelte er. „Erst einmal einen guten Tag, wie geht es dir, Hussein? Darf ich dir einen Freund vorstellen. Das ist Abe Kaweh, der Bruder von Kak Foad.“
Ich antwortete mit einem freundlichen Gruß und sagte: „Ah ja, ich kenne Herrn Soltani. Ich helfe übrigens heute meinem Vater.“
„Bist du allein im Laden?“
„Nein, aber später geht mein Vater zum Gebet in die Moschee, dann werde ich hier allein sein.“
Jewad nickte: „Gut, wir müssen jetzt erst einmal ins Stadtzentrum fahren und kommen nachher zu dir, während dein Vater in der Moschee ist. Es gibt sehr viele Neuigkeiten, die ich dir erzählen will.“
Schnell ging ich in den Laden zurück und tat so, als hätte ich unbeobachtet gearbeitet. Mein Vater sagte nichts, doch sein Blick fragte, mit wem ich die wenigen Minuten gesprochen hatte. Na ja, Hauptsache, er war nicht böse mit mir. Ich gab mein Bestes. Ich hoffte, nach der Arbeit ein kleines Taschengeld zu bekommen, aber ich wusste, wie geizig mein Vater war. Im Grunde war das auch egal. Vielmehr war ich gespannt auf die Neuigkeiten, von denen Jewad gesprochen hatte. Bestimmt hatte es etwas mit Kak Foad zu tun. Ob er Kak Kaweh, der auf dem Motorrad mitgefahren war, mit in den Laden bringen würde? Abe Kaweh war Lehrer, ich hatte ihn aber nie bei den Gruppen im Kaffeehaus oder in Kak Jamschids Bücherei gesehen. Wenn ich mir alles zusammenreimte, mussten die Neuigkeiten mit Kak Foad zu tun haben. Seit dem Stromausfall und dem Streit mit dem Bürgermeister hatte man Kak Foad nicht mehr in unserer Stadt gesehen. Die Bevölkerung hatte viele Theorien, wo Kak Foad sein könnte. Die einen dachten, er sei als Leiter der Stromgesellschaft in eine andere Stadt versetzt worden, die anderen waren der Meinung, dass er von der Savak festgenommen worden sei. Hoffentlich war nichts Schlimmes mit Kak Foad passiert. Die Menschen redeten und quatschten und am Ende stimmte es nicht, wie so oft. Ich musste abwarten, was Abe Kaweh und Jewad mir sagen würden. Mein Vater hatte vor Kurzem von einem sehr wichtigen Thema für unsere Stadt gesprochen, aber ich hatte nicht genau verstanden, was er damit meinte. Hoffentlich würden die zwei Stunden schnell vergehen, bis mein Vater sich auf den Weg zur Moschee machte.
Endlich war es so weit. Aus dem großen Lautsprecher hörte ich Allah und Akbar. Man rief alle Gläubigen zum Freitagsgebet. Eilig sagte mein Vater: „Du passt hier im Laden auf, bis ich zurück bin. Wenn Kunden kommen und größere Bestellungen haben, schreibst du das alles unter dem Tagesdatum in das Buch hinter der Kasse. Das Buch ist sehr wichtig – auch für die Finanzbehörde. Schreibe alle Bestellungen auf und die kleineren Aufträge kannst du den Kunden gegen Barzahlung geben. Wenn jemand kommt, der hier anschreiben lässt, sagst du höflich: ‚Mein Vater ist bald zurück.‘ Verärgere diese Kunden nicht, denn sie haben oft kein Geld und zahlen erst nach einer Woche. Man muss auch diesen Menschen helfen, denn sie leben in einer anderen Welt. Die sind das so gewohnt. Manchmal ist es für sie auch eine gewisse Wertschätzung, wenn man sie anschreiben lässt.
„Ja, Vater, ich habe alles verstanden und passe auf den Laden auf.“
Mein Vater merkte, dass ich, statt ihn anzusehen, dauernd zum Ladenfenster herausschaute. „Hussein, wo bist du mit deinen Gedanken? Was schaust du ständig auf die Straße, wartest du auf jemanden?“
„Nein, nein, mein lieber Vater, gehe nun endlich zu deinem Freitagsgebet. Du kannst dich auf mich verlassen.“
Im selben Moment, als mein Vater den Laden verließ, kamen Jewad und Abe Kaweh mit dem Motorrad um die Ecke gefahren. Glück gehabt, dachte ich.
Jewad fing gleich an zu erzählen: „Wir waren gerade bei Freunden. Mit ihrer Hilfe und mit der ihrer Familien werden wir für die Gefangenen demonstrieren, damit alle Inhaftierten ihre Ziele erreichen und ihren Hungerstreik beenden. Ihr Leben und ihre Gesundheit sind in Gefahr. Manche sind schon vollkommen abgemagert. Das können wir nicht zulassen, sonst sterben sie alle. Besonders auch Kak Foad. Er ist Gefangener im Gefängnis in Sene und befindet sich im Hungerstreik.“
Wie ein Blitz schoss diese Nachricht durch mein Gehirn. „Warte mal, Jewad“, sagte ich. „Was sagst du da? Kak Foad ist im Gefängnis in Sene? Niemand hat das in unserer Stadt gewusst. Es gab verschiedene Geschichten, die erzählt wurden, aber das, was du sagst, ist wohl die Wahrheit.“
Jewad und Abe Kaweh lächelten mir zu und Jewad sagte: „Ja, so ist es. Er war vier Jahre in Teheran und wird seitdem in Sene gefangen gehalten. Aber wir wissen das auch erst seit zwei Wochen und seitdem bin ich sehr mit dieser Sache beschäftigt. Ich war nun schon einige Male in Sene.“
„Und wir dachten, er sei wegen des Streits mit dem Bürgermeister nach dem Stromausfall versetzt worden.“
Abe Kaweh ergriff das Wort: „Nein, nein, deswegen wurde er nicht festgenommen. Er war zu der Zeit Lehrer an der Technischen Universität in Sene. Dort nahm ihn die Savak fest.“
„Aber er war doch Leiter der Stromgesellschaft und Ingenieur bei uns in Marivan!?“ Ich verstand das Ganze nicht.
„Ja“, sagten beide gleichzeitig und Abe Kaweh sprach weiter: „Nach seinem Studium und Wehrdienst arbeitete er als Lehrer an der Universität und unterrichtete.“
„Aber warum ist er trotz des langen Studiums Lehrer geworden? Ein Ingenieur zu sein, ist doch viel besser als ein einfacher Lehrer.“