befand, das sich vor den Jägern hüten mußte.
»Du könntest mal zu Hein Henne hingehen und die Lage peilen«, sagte Jan zu Christoph. »Damit wir erfahren, wie es eigentlich steht und wer von den Genossen noch lebt. Man ist ja aus allem raus.«
»Der Gedanke ist nicht schlecht«, stimmte Christoph zu. »Ich würde selbst gehen«, sagte Jan, »aber mich kennen die Frau und die Kinder. Die Frau und die Kinder brauchen nichts von uns zu wissen.«
»Ich sehe mal zu.« Christoph überwand seine Erschöpfung und erhob sich. Er versicherte sich noch einmal, daß rings alles still und menschenleer war, dann schlich er vorsichtig durch das Gehölz. Die beiden Zurückbleibenden lauschten noch auf seine Schritte, die aber bald nicht mehr zu hören waren.
»Ist das nicht gefährlich?« fragte Franz.
Jan zuckte die Achseln. »Hein Henne ist Genosse, und er wohnt in einem Häuschen am Wald allein. Wenn Christoph sich in acht nimmt, kann eigentlich nichts passieren. Wir müssen uns doch orientieren, wie es politisch aussieht.«
»Ja, ja.« Franz hatte eine unreife Brombeere gefunden und zerkaute sie. »Wir können die Zeit hier zu so etwas ausnützen, das ist schon richtig. Vor Abend kommen wir ja doch nicht weiter.«
»Nein, den Tag über müssen wir hier versteckt bleiben. Sobald es dunkel wird, machen wir uns auf nach Hamburg. Den Weg bis Hamburg schaffen wir in der Nacht.«
»Mhm.« Franz legte sich etwas bequemer zurecht, aber auch er dachte noch nicht ans Schlafen. »Wann kann Christoph zurück sein?«
»In einer halben Stunde – in einer Stunde, je nachdem.«
Jan hatte zwei Ausguckstellen gefunden. Von der einen konnte er den Weg, von der zweiten aus ein Stück von Hein Hennes Häuschen am Waldrand erkennen.
Abwechselnd hielt er nun Ausschau, blieb dabei aber selbst gut versteckt.
Die Strahlen der Morgensonne wärmten jetzt schon mehr. Die Sonnenscheibe war am Himmel zu sehen. Aber es war noch sehr früh am Tage. »Im Moor sind sie vielleicht noch nicht einmal aufgewacht«, sagte Jan.
Franz lachte ein wenig und dehnte die Glieder. Merkwürdig war es, wenn man tun konnte, was man wollte und nirgends ein Vürmann mit einem Karabiner stand, um Befehle zu erteilen.
Eine halbe Stunde verging. Christoph war noch nicht zurück. Die entflohenen Gefangenen besaßen keine Uhren, aber sie hatten ihren Zeitsinn gut entwickelt und wußten gut abzuschätzen, was eine halbe Stunde und was eine Stunde war.
Endlich knackte es wieder leise im Gebüsch, und die aufhorchenden Flüchtlinge erkannten auch bald die schwarze Leinenhose ihres Gefährten.
Der Zurückkehrende legte sich in die Mulde, die als Versteck diente, und schaute Jan aufmerksam an. »Also nun paßt auf«, sagte er. »Mit dem Hein ist das so. Ich habe ihn eben mal gesprochen. Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich ihn ans Fenster herausgeklopft hatte. Dann erschien er, kreideweiß, und ich habe mit ihm gesprochen. Er steht unter Polizeiaufsicht. Sonst wäre er gleich mit mir hierher gekommen. Aber nun muß er noch eine Stunde warten, vorher darf er das Haus nicht verlassen. Dann kommt er mal her, und wir können ihn fragen, was wir wissen wollen.«
»Na meinetwegen«, knurrte Jan. »Also in einer Stunde.«
Franz gähnte. Christoph war sehr elend. Er schloß die Augen, und seine Gefährten merkten, daß er einschlief. Bald hatte der Schlaf auch Franz überwältigt.
Jan hielt mit Gewalt die Augen offen. Er durfte nicht schlafen, so müde er auch war. Mit mißtrauischer Aufmerksamkeit beobachtete er das Haus des Hein Henne. Die Mitteilung, die Christoph mitgebracht hatte, gefiel ihm nicht.
Obwohl der Tag warm war, fror Jan aus Müdigkeit. Die Stunde Wartezeit war schon vorbei, aber der Erwartete war noch nicht erschienen. Da … jetzt! Jan beobachtete, wie Hein Henne aus dem Hause kam. Er hatte sein Rad bei sich. Wozu das? Mit dem Rad wollte er in das Gehölz kommen? Nein. Hein Henne fuhr den Weg zur Stadt. Jan wartete gespannt. Es blieb ihm nichts übrig als zu warten. Am Tage durften sich die Flüchtlinge nicht aus dem Walde hinauswagen. Es dauerte nicht lange, da kam Henne wieder. Er brachte das Rad ins Haus und blieb auch selbst darin verschwunden. Wenig später verließ die Frau des Henne das Haus und schlug ebenfalls den Weg zur Stadt ein. Es mag sein, daß sie Milch holen will, dachte Jan. Sie blieb nicht lange aus, und als sie wiederkam, konnte Jan nicht erkennen, ob sie irgend etwas mitgebracht hatte. Jan schätzte, daß es neun Uhr sein mochte. Seine beiden Gefährten schliefen fest. Jan vernahm auf einmal das Geräusch eines Motorrades. Das brauchte nichts Besonderes zu besagen, denn am Sonntag konnte leicht einer auf den Gedanken kommen, mit dem Motorrad auszufahren. Trotzdem lauschte Jan angespannt. Das Geräusch verstummte, das Motorrad hielt. Jan konnte das Rad selbst durch die Bäume nicht sehen, aber als der Fahrer und der Beifahrer abgestiegen waren und etwas vortraten, kamen sie in das Gesichtsfeld des Flüchtlings. Jan erkannte einen SA-Mann im braunen Hemd und einen uniformierten Polizisten. Dicke Luft!
Jan weckte seine beiden Gefährten. Er ließ sie in Eile sehen, was er selbst gesehen hatte.
»Verrat!« sagte Christoph erbittert, als er den Kopf vom Ausguck wieder zurückzog. »Der Henne, der Lump … daß der Henne so ein Lump geworden ist! Er hat uns verpfiffen!«
Franz und Christoph schauten unwillkürlich auf Jan, der sich in dem Gelände am besten auskannte. Was tun?
Jan winkte den beiden, ihm zu folgen. Das Versteck, in dem sich die drei Flüchtlinge bisher befunden hatten, war jetzt zu sehr gefährdet.
Leise und schnell huschten die Flüchtlinge durch Heide und Buschwerk. Sie hielten sich immer sorgfältig in Deckung. Es war eine Waldschlucht zu durchqueren. Jan spähte die Schlucht hinauf. Oben auf dem Hügel stand ein Polizist.
»Es ist klar«, flüsterte Jan, »wir sind umstellt.«
Die drei Männer versteckten sich, so gut es ging. Jan hatte in der Schonung ein Loch aufgespürt, das günstige Deckung versprach. Mit seinen Gefährten verkroch er sich darin, und alle deckten sich mit Heide und altem Laub zu. Es blieb ihnen nichts übrig als zu warten, ob man sie entdecken werde oder nicht.
Schwere Schritte knackten jetzt durch die Schonung. Jan und seine Gefährten lauschten angestrengt. Nach den Geräuschen zu schließen, kam eine Reihe von Polizisten oder SA-Männern von oben her den Hang herunter, im Abstand von je drei Metern. Die ganze Schonung wurde offensichtlich »durchgekämmt«. Die versteckten Flüchtlinge erblickten zwei Männer in braunen Hemden, die mit schußbereiten Pistolen geradewegs auf das Versteck zusteuerten. Noch hatten die SA-Leute die Flüchtlinge nicht bemerkt. Aber im nächsten Augenblick schon mußte das Zusammentreffen erfolgen.
Die entflohenen Gefangenen hatten die Wahl, einen Kampf zu wagen, der für sie aussichtslos war, oder sich zu ergeben.
Jan faßte als erster den bitteren Entschluß. Als die beiden braun Uniformierten kurz vor dem Versteck angelangt waren, sprang er auf und nahm die Hände hoch.
Die beiden SA-Männer stockten überrascht. Sie legten die schußbereiten Pistolen an und warteten. Christoph und Franz erhoben sich auch und stellten sich neben Jan.
Es herrschte einen Augenblick Stille.
»Hallo!« rief dann der eine der braun Uniformierten. »Da ist ja auch der Möller dabei, der Jan! Ergebt ihr euch?«
»Das siehst du ja!« antwortete Jan trocken.
Die lauten Worte hatten die übrigen SA-Leute und Polizisten auf den Vorgang aufmerksam gemacht. Sie eilten herbei. Die Flüchtlinge wurden umringt.
»Wahrhaftig, der Möller!« wiederholte einer der Ortspolizisten. »So sehen wir uns auch mal wieder! Na, denn kommt mal mit. Du machst den Weg mit uns ja nicht das erstemal, Möller.«
»Nee, so an zehnmal habt ihr mich schon geholt«, meinte Jan und dachte an die zahlreichen Verhaftungen, denen er seit Beginn des Hitlerregimes ausgesetzt gewesen war. »Dann komme ich auch das elftemal mit euch.«
Die Gefangenen stiegen langsam den Hang aufwärts, eskortiert von Polizei und