Amy Fuglø

Eine färöische Kindheit


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seinem großen fjós, Stall, standen sechs Kühe. Hin und wieder hielt er sich einen Stier.

      In seiner Außenmark lebten viele Schafe und drei Widder. Die Widder gingen nie in die Nähe der Schafe, nur wenn sie zur Zucht gebraucht wurden. Außerdem besaß er Hühner, Enten, Katzen und einen Schäferhund, einen färöischen Hütehund.

      Janus hatte früh sein Lebenswerk, sein Handwerk, gewählt. Er wollte unbedingt Bauer werden. Er wollte roden, pflanzen und sein großes Stück Land urbar machen.

      Als Janus zu seinem Arbeitsplatz in der Außenmark gekommen war, setzte er sich auf die Kante des großen Felsens und machte mit der Arbeit vom Vortag weiter. Das Loch im Felsen war bald tief genug. Er nahm seinen Hammer und Meißel, sein Steinmetzwerkzeug. Daraufhin folgte Dynamit. Der Meißel war flach und an einem Ende scharf. Die stumpfen Meißel brachte er zum Schmied, der sie klopfte und schliff. Um keine Zeit zu vergeuden, hatte er immer mehrere Meißel. Alles geschah per Handarbeit. Die Steinsplitter flogen aus dem Loch. Es war eine Geduldsarbeit. Der Meißel verschwand immer tiefer im Loch.

      „So, das muss es jetzt reichen“, sagte Janus.

      Seine ältesten Söhne, Jógvan und Jóanis, waren hinzugekommen. Sie schnitten große Stücken Grassoden aus, um sie als Grasmatten auf das Felsstück zu legen.

      Janus erhob sich. Endlich sollte der spannendste Teil der Arbeit beginnen.

      „Jetzt muss das Pulver in das Loch“, verkündete er zufrieden.

      Erst legte er das Ende eines langen Taustücks in das Loch, die Lunte. Das in Benzin getränkte Seil wurde am Boden vom Sprengloch weg gerollt. Er nahm den Sack mit Dynamit und schüttete das dunkelgraue, grobkörnige Granulat hinein. Vater und Söhne halfen einander. Sorgfältig bedeckten sie den Stein mit mehreren Schichten Grassoden, um Steine und Splitter unter Kontrolle zu halten. Die Sprengung konnte beginnen.

      Die Söhne entfernten sich, bevor sie ihren Vater Feuer an das Ende der Lunte zünden sahen. Alle drei liefen so weit wie möglich weg. Der Felsen wurde in große und kleine Stücke gesprengt, die sich über die Außenmark verteilten.

      Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen passierten dennoch Unfälle. Als Janus eines Tages mit den Steinen arbeitete, traf ihn ein Splitter ins Auge und raubte ihm auf diesem für immer die Sicht. Das Auge wurde weiß. Doch er kam damit zurecht und beklagte sich nie über sein blindes Auge.

      Janus war weit bekannt für seine enorme Energie und seine ungeheuren Kräfte. Dagegen kam er mit Hausarbeit überhaupt nicht zurecht. Er konnte keine Tasse abwaschen oder einen Topf umrühren, das war Frauenarbeit. Aber man kann ja nicht in allem gut sein, oder?

      Das Schicksal wollte, dass Janus’ fleißige, unentbehrliche Frau Birita krank wurde und starb, nachdem sie ihm drei Söhne und eine Tochter geschenkt hatte. Er wurde Witwer. Er trauerte, und keine Frau konnte seitdem Biritas Platz in seinem Herzen auszufüllen. Er heiratete nie wieder. Deshalb hatte er immer eine oder zwei Haushaltshilfen, denn es gab im Haus eines Hofes so viel zu tun. Es musste gemolken, gekocht, Hausarbeit verrichtet, Wäsche gewaschen, mit Schafen, Lämmern und Wolle gearbeitet, gestrickt werden und so weiter. Sein Haus war groß.

      Sein ganzes Leben lang räumte er Steine aus der Außenmark fort. Er ging systematisch vor. Zufrieden sah er, wie sich seine bøur, Innenmark, Stück für Stück, Jahr für Jahr, vergrößerte.

      Wenn die Steine in Stücke gesprengt waren, mussten sie eingesammelt werden. Janus und seine Familie bauten kilometerlang Steinwälle, solide, ordentlich und haltbar. Sie waren breit, bestanden aus vielen Steinen und die größten waren zuunterst. Die Höhe betrug zwischen 1,20 und 2 Meter. Man konnte nicht über die höchste hinüberschauen. In den Steinwällen waren Öffnungen, so dass man von Einfriedung zu Einfriedung gehen konnte.

       Wurzeln I und II lernen sich kennen

      Eines Tages bat Janus seinen Sohn Jóanis zum Schmied zu gehen, um ein paar Meißel schleifen zu lassen. Jóanis wartete, während der Schmied seine Arbeit machte. Der Schmied erhitzte das Eisen in der Esse, bis es glühte. Dann klopfte er die Spitze flach und scharf, wobei Funken in alle Richtungen flogen.

      Jóanis wurde auf eine Tasse Tee in die Küche gebeten. Ja, danke, das wollte er gerne. Man war jederzeit gastfreundlich im Dorf. Ein Mädchen namens Anna, das er vorher noch nie gesehen hatte, schenkte ihm Tee ein. Er sah auf ihre Hände. Von nun an half Jóanis immer gerne, alle Meißel seines Vaters scharf zu halten. Er wartete und wurde in die Küche des Schmiedes zu einer Tasse Tee eingeladen. Anna war fest angestellt beim Schmied. Sie wurde Anna á Skælingi genannt. Jóanis’ Herz pochte. Ihre Gefühle zueinander stiegen wie der Dampf aus der Tasse Tee. Anna bemerkte das schüchterne Schimmern in Jóanis’ Augen und errötete. Als sich ihre Blicke über den Teetassen trafen, schaute er verlegen in die andere Richtung. Er war drei Jahre jünger als sie. Sie verliebten sich und wurden ein Paar, was von Janus gebilligt wurde. Anna kam von einem Hof auf einer ganz anderen Insel weit weg. Der Zufall wollte, dass ihre Mutter den gleichen Namen wie Jóanis’ Mutter trug: Birita.

      Die jungen Leute hatten auch den gleichen Nachnamen, Joensen, obwohl sie nicht miteinander verwandt waren. Und sie waren beide am Fuße eines pyramidenförmigen, hohen Berges aufgewachsen.

      Jóanis’ Vater, Königsbauer Janus, beschloss, ihm ein Grundstück zu schenken, damit er ein Haus für sich, Anna und ihre zukünftige Familie bauen konnte. 1906 war das Haus fertig, und sie heirateten. Im Jahr darauf, 1907, wurde ihre erste Tochter, Birthe Margrethe, geboren. Innerhalb der nächsten sechzehn Jahre brachte Anna neun Kinder zur Welt, von denen sieben lebensfähig waren. Eins dieser Kinder war Sigrid.

      Anna á Skælingi und Jóanis í Innistovu wurden Sigrids Eltern.

      Das zu unseren Wurzeln. Mit großem Interesse las ich die Jahreszahlen im Buch „Tey byggja land“ von J. Símun Hansen. Ich bin ihm sehr dankbar für seine umfangreiche Arbeit, die es ermöglichte, die Zeiten der Vorfahren zu bestimmen.

       Die nördlichste Insel der Färöer – Viðoy

      Der Name Viðoy bedeutet Holzinsel und verdankt ihr dem Treibholz, das in Viðvík, Holzbucht, an Land getrieben wird. Viðvík ist eine große Bucht südlich der Ostbucht. Das Gebiet umfasst 41 Quadratkilometer und es gibt elf Berge sowie zwei Dörfer: Viðareiði und Hvannasund. Die Berge auf der Insel sind schwer zugänglich. Der Villingadalsfjall ist 841 Meter, der Enniberg 755 Meter und der Malinsfjall 750 Meter hoch. Es gibt keine Pfade, und es wird nur erfahrenen Bergsteigern empfohlen, sich außerhalb der öffentlichen Wege zu bewegen.

      Von Viðareiði kann man bis zur Nordspitze der Insel, dem Enniberg, dem höchsten senkrechten Kliff Europas und vielleicht sogar der ganzen Welt, wandern.

      Ende des 17. Jahrhundert zerstörte ein heftiges Unwetter die Kirche von Viðareiði und spülte Teile des Friedhofes samt Gräbern ins Meer. In einem gewaltigen Wintersturm im Jahre 1847 sank die Brigg Marwood vor Viðoy. Die Dorfbewohner retteten die Besatzung, und als Dank schenkte ihnen der britische Staat feines Silber, das man in der Kirche ansehen kann.

      Hier befinden sich die Kirche und der Pfarrhof, wo die Hauptperson in Jørgen-Frantz Jacobsens Roman „Barbara“, die Pfarrersfrau Beinta, wohnte.

      DIE SIEBEN GESCHWISTER

       Ein Abend im Frühsommer am großen Stein

      Die Sonnenstrahlen färbten die Berge rotorange. Es war fast eine Stunde vor Mitternacht. Draußen am großen Stein versammelten sich die Jugendlichen.