Hans-Jürgen Hennig

Zwei gegen Ragnarøk


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genau das. Hier benutzen nur wenige Leute die Sauna, aber Alvitur und ich, wir wissen sie sehr wohl zu schätzen, dein Vater übrigens auch. Na und noch ein paar andere im Dorf.“

      Hilda griff wieder nach Fifillas Hand. „Kylikki, wo ist deine Familie? Sind sie alle schon tot?“

      „Ach Mädchen, du machst mich ja fast glücklich. Seit einer Ewigkeit hat mich niemand mehr mit meinem alten Namen angesprochen. Ja, Vater und Mutter sind hier gestorben. Sie haben wohl zu sehr die Heimat vermisst und wurden krank. Es ist schon merkwürdig mit dem Schicksal. Meine Eltern waren beide Heiler und meine Mutter so wie ich, eine Kräuterfrau. Mein Bruder Teemu ist damals mit Alvitur gegangen. Eigentlich war er noch viel zu jung für solche Abenteuer, aber er hat sich einfach heimlich davongeschlichen. Alvitur ging auch einfach weg. Er ging auf große Fahrt, ohne sich von mir zu verabschieden und ich dummes Mädchen habe jahrelang auf ihn gewartet.

      Alvitur und Teemu haben sich aber irgendwann getrennt und nur Alvitur kam zurück, mit Leif. Ein oder zwei Jahre später kam Teemu zurück und er hatte nichts besseres zu tun, als Einurd ein Kind zu machen. Kurz danach verschwand er wieder. Ob er noch lebt, weiß ich nicht.“

      „Was, du warst mit Alvitur ein Paar“, flüsterte Hilda ganz erstaunt.

      „Heute weiß ich, wir waren nicht wirklich ein Paar. Nur ich glaubte das damals. Ich liebte ihn. Er war stark, klug und ein ansehnlicher Mann, dem alle Frauen gerne nachsahen. Er nannte sich auch damals noch Djarfur.“

      „Kylikki, es tut mir leid, dass du keine Familie mehr hast.“

      „Nein Mädchen, es soll dir nicht leid tun. Ich habe ja eine neue Familie gefunden. Ihr alle hier seid meine Familie. Alle Kinder, die heute hier im Dorf umherspringen, hatte als erste ich in den Händen. Bei allen saß ich schon am Bett, wenn sie sehr krank waren und dann ist da auch noch Sigudur. Er ist ein wunderbarer Mann. Er poltert nie und ist sehr lieb zu mir.“

      Fifilla lächelte etwas verträumt. „Außerdem kann er so wunderschön auf der Flöte spielen. Er hat das Herz eines Lämmchens und doch ist er auch stark. Hi, hi, nur riecht er manchmal so arg nach seinen Schafen, aber dann schicke ich ihn immer in die Sauna. – Übrigens, noch etwas. Es war Alvitur, der mir den Namen Fifilla gab. Wir waren beide Kinder und spielten oft zusammen. Eines Tage machte ich mir einen Kranz aus Löwenzahnblüten und lief damit einen halben Tag lang herum. Alvitur gefiel dass und er nannte mich fortan Fifilla.

      Dann schwiegen beide und Hilda streichelte weiter Fifillas Hand.

      „Jetzt geh aber nach Hause, sonst verwelkt das Kraut noch in deiner Hand. Vergiss nicht, vom Bach ein paar Stängel Rauke mitzunehmen. Nun geh schon, du hast doch heute bestimmt noch einiges vor und Danke, dass du mir zugehört hast.“

      Hilda drückte Fifilla einen Kuss auf die Wange und lief los.

      Auf dem Weg kam sie an Alviturs Hütte vorbei und hörte seltsame, aber schöne Klänge von dort. Sie blieb stehen und lauschte. „Was ist das für ein Instrument? Was ist das für eine Musik?“, fragte sie sich und ging lauschend näher.

      Draußen, neben und hinter der Hütte war niemand und so schlich Hilda leise weiter, um die Quelle dieser Klänge zu finden. Vor der Hüttentür merkte sie, dass die Musik von drinnen kam. Ganz vorsichtig und leise steckte sie den Kopf zur Hütte rein.

      Alvitur war nirgends zu sehen, aber ganz hinten, hinter dem Feuer, saß Sölvi und hatte ein merkwürdiges Ding in der Hand, auf dem er mit den Fingern herumzupfte und diese wunderschönen Klänge hervorbrachte.

      Hilda sah, dass Sölvi ganz vertieft in seinem Spiel war; er hielt die Augen geschlossen. Auf Zehenspitzen schlich sie näher und ihre Augen wurden vor Staunen immer größer, denn die Töne, die Sölvi da mit diesem Instrument erzeugte, klangen so wunderschön und harmonisch in ihren Ohren.

      Sölvi wiederholte immer die gleiche Tonfolge und Hilda merkte bald, dass es wie ein Lied klang, dass sie auch kannte.

      Als sie vor Sölvi stand, flüsterte sie ganz leise: „Sölvi, das ist wunderschön, was du da machst.“

      Augenblicklich brach die Musik ab und Sölvi riss erschrocken seine Augen auf. „He, bist du verrückt, mich so zu erschrecken?“ Dann aber wurde sein Gesicht ganz mild und seine Augen strahlten Hilda an. „Entschuldige den barschen Ton, aber ich war eben ganz weit weg mit meinen Gedanken. Warum schleichst du dich so an? Du hättest doch einfach an der Tür klopfen können.“

      „Sölvi, es klang so wunderschön und ich wollte nicht stören. So etwas habe ich noch nie zuvor gehört und dann war das grade so wie ein Traum und ich musste einfach schleichen, damit ich ihn nicht unterbreche. Was ist das da, worauf du die Musik machst? Woher hast du das?“, fragte sie und konnte ihre Neugier kaum zügeln.

      „Ich wusste bis vor kurzem auch nicht, dass es dieses Ding gibt. Alvitur hat sie aus einer Kiste herausgeholt, deren Inhalt er bisher immer vor mir verborgen hatte. Vor ein paar Tagen sprachen wir etwas länger miteinander, dass heißt, er erzählte eigentlich nur, von seinen damaligen Reisen und auch von seiner Liebe, von Einurds Mutter, der schönen Saida. Alvitur meinte, dass dieses Instrument mal ihr gehört hatte. Er nennt diese Holzbirne Oud23 und sagte, dass es dort, wo Saida damals lebte, solche Instrumente häufig waren und dass Saida auch darauf gespielt hatte.“

      Hilda kicherte: „Hi, hi, Holzbirne. Na ja, das sieht schon etwas, wie eine Birne aus.“

      „Hilda, du kennst mich etwas und ahnst, dass ich sofort fasziniert war, von dieser Oud, als mir Alvitur das Instrument gezeigt hatte. Alvitur kann zwar darauf nicht richtig spielen, aber er weiß, wie man es machen muss. Hier schau mal, damit die Oud auch die richtigen Klänge macht, gab er mir dazu diese kleine Pfeife. Hör mal“, und Sölvi blies darauf einen hellen Ton.

      „Alvitur gab mir auch ein Pergament, wo aufgezeichnet ist, wie man die Finger halten muss. Jetzt über ich eben und es geht immer besser, aber die Finger tun mir schon dolle weh. Schau mal“ – und er hielt Hilda seine Fingerspitzen hin.

      „Ui“, machte Hilda, „Da sind ja richtig tiefe Rillen drin, aber ich finde das toll, dass du darauf übst. Schade, dass Alvitur nicht schon früher diese Holzbirne aus der Kiste geholt hat, dann könntest du jetzt schon richtige Lieder spielen.“

      „Hilda, sag bloß nicht Holzbirne, wenn Alvitur anwesend ist. Als er mir das Instrument erklärte, war er innerlich ziemlich bewegt, ich hab es deutlich gespürt, aber er sagte, dass er das jetzt machen musste, bevor er vergisst, wozu sie da ist. Mir macht das Spielen darauf auch große Freude und ich glaube, dass ich es bald richtig kann.“

      „Sölvi, ich höre dir noch etwas zu, dann muss ich dich verlassen, noch ein paar paar Kräuter sammeln. Spiel bitte noch etwas.“

      Sölvi lächelte Hilda an und begann wieder an den Seiten der Oud zu zupfen.

      Als Hilda nach einer Weile aufstand, um zu gehen, merkte Sölvi es nicht mal, so vertieft war er wieder in seinem Spiel.

      Hilda machte die Tür ganz leise zu und schlenderte, im Kopf immer noch Sölvis Musik, langsam zum Flüsschen.

      Sie schaute am Ufer entlang und wie Fifilla es ihr gesagt hatte, wuchs hier wirklich viel von diesem Kraut. Komisch, noch nie war es ihr aufgefallen, schon gar nicht, dass das ein nützliches Suppenkraut war.

      Hilda pflückte sechs Stängel von der Rauke und rannte damit schnell nach Hause, aber im Gedanken war sie wieder bei Fifilla und sah das kleine Mädchen, Kylikki, wie es Löwenzahnblüten sammelte.

      Zu Hause angekommen, sah sie schon, dass die Jungen um die Schmiede herumlungerten und auf sie warteten.

      Hilda legte alles in der Hütte auf dem Tisch ab und kletterte auf den Dachboden. Dort hingen an langen Fäden einige Stücken Trocken- und Räucherfleisch. Sie schnitt von beiden je ein Stück ab und kletterte wieder nach unten.

      Als Wasser und Fleisch, im Topf, über dem Kochfeuer hingen, klatschte Hilda in die Hände.

      „So, jetzt habe ich Zeit und kann die Jungen verkloppen“, dachte sie befriedigt und griff sich ihre Holzschwerter.