Hans-Jürgen Hennig

Zwei gegen Ragnarøk


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Hilda erst ernst, dann fast gebieterisch an, machte eine Pause und lächelte dann wieder: „Hilda, du bist heute eine Frau geworden und ich weiß, dass du ein kluges Mädchen, ääh, nun eine kluge Frau sein wirst. Du hast so viele gute Anlagen und Fähigkeiten, dass ich mir sicher bin, du wirst das alles verstehen. Ist dir noch nie aufgefallen, dass du Fähigkeiten hast, die dich von anderen unterscheiden? Wenn du mit den Jungen Kampfspiele machst, bist du um keinen Deut schlechter als der Beste von ihnen. Du kannst kämpfen wie ein Junge. Ein wacher Blick und Klugheit zeichnen dich aus, du riechst oder spürst, was dein Gegenüber fühlt, du sprichst mit einem Raben, hast ihn sogar selbst ausgebrütet und du weißt ganz sicher, wenn jemand nicht die Wahrheit spricht. Niemand sonst von uns hat je mit einem Troll gesprochen, aber du kennst sogar einen persönlich.“

      Hilda schaute plötzlich ertappt drein. „Was, das weißt du? Woher?“

      Da lächelte Alvitur gütig und den Blick seines Auges spürte Hilda wieder bis in die Zehenspitzen.

      „Ich bin zwar der Älteste in unserem Dorf, aber ich habe auch einen wachen Verstand und seeehr gute Ohren, die auch manchmal das hören, was niemand hören soll! Wenn du mit deinem Raben sprichst, schau dich beim nächsten Mal um, wer noch in der Nähe ist. Doch lasst uns jetzt davon reden, weshalb wir hier sind. Fifilla, du fängst am besten mal an und beginnst mit dem Morgen, als wir zu Hildas Geburt gerufen wurden.“

      Fifilla schaute einen Augenblick nachdenklich ins Feuer und richtete dann ihren Blick auf Hilda, die vor Spannung fast platzte.

      „Ich sage euch, wie es damals war, und ich weiß es noch so genau, als ob es erst gestern gewesen wäre, als du geboren wurdest. Ernir, dein Vater hatte mich gerufen und auf dem Wege zu deiner Mutter, die in den Wehen lag, ging ich erst bei Alvitur vorbei und sagte ihm, dass unser Dorf wieder Zuwachs bekommt, dass Hilda und Ernir ihr zweites Kind erwarten. Alvitur war sofort bereit und kam mit mir. Ich machte ihn unterwegs auf das Gänseblümchenwunder aufmerksam, das überall auf den Rasenflächen zu sehen war. Es war eine Blütenpracht, wie nie zuvor. Für mich war das ein deutliches Zeichen, dass Freyja anwesend war und wir wussten sofort, dass mit der Geburt alles gut gehen würde. Komm, Alvi, lass es uns vollenden, sagte ich damals zu Alvitur und zog ihn weiter. Als wir dann in die Nähe eurer Hütte kamen, hörten wir das mehrstimmige Gekrächze von zwei Raben und wir wussten sofort, dass das keine gewöhnlichen Raben waren. Sie waren riesig und ihre Stimmen waren so eindringlich. Sie saßen auf eurem Dachgiebel, Odins Raben, Hugin und Munin. Wir waren beide fast sprachlos, als sie uns entgegen krächzten. Sie saßen auf dem Kreuz des Giebelbalkens, flatterten mit den Flügeln und krächzten, als wollten sie uns auf etwas aufmerksam machen. Die Morgensonne schien und doch war so eine Spannung in der Luft, das es uns am ganzen Körper schauerte. Die Luft war wie vor einem gewaltigen Gewitter. Wir waren uns nun ganz sicher, dass hier ein besonderes Kind geboren wurde, wenn selbst Odin bei der Geburt anwesend war. Mir stockte der Atem und ich hielt mich an Alviturs Arm fest. Ich spürte es damals, bis in den tiefsten Winkel meiner Seele: Wir sind ein besonderes Dorf.“

      Alvitur nickte nachdenklich, legte seine Hand auf Fifillas Arm und übernahm das Reden.

      „Meine gute Fifilla, ja wir sind ein besonderes Dorf, zumindest, seit diesem Tag, vor vierzehn Jahren. Wir sollten uns dieser Tatsache immer bewusst sein und dieses Kind immer im Auge behalten. Das wurde mir damals, nach diesen deutlichen Zeichen klar.“

      Fifilla räusperte sich. „Ja, Hilda, so war das damals als du auf die Welt kamst. Deutlichere Zeichen für die Anteilnahme der Götter gibt es wohl nicht. Ich habe darum aus den Zeichen dieses Morgens ein kleines Amulett für dich gemacht. Hier, nimm es. Alvitur sagte mir, dass ich es dir geben soll, wenn du zur Frau gereift bist.“

      Fifilla gab ihr ein ganz kleines Beutelchen. „Schau nur hinein, es sieht ganz unscheinbar aus, dennoch sind es die Zeichen dafür, dass du unter dem Schutz von Odin und Freya stehst.“

      Neugierig geworden, öffnete Hilda, vorsichtig und fast andächtig, den kleinen Beutel. Zwei daumenlange, schwarze Federn und ein kleines Stück von feinem Stoff, auf den ein Gänseblümchen gestickt war, lagen nun auf ihrer Hand.

      Alvitur bewegte eine Hand zum Zeichen, dass er sprechen wollte. „Hilda, ich hatte lange vor deiner Geburt einen sehr merkwürdigen Traum und ein sehr drastisches Erlebnis. Mit der Zeit wurde mir beides verständlicher.“

      Er nahm einen langen Schluck von seinem Tee, lehnte sich zurück und schloss sein Auge, so als ob er sich erinnern wollte.

      Alle drei schauten auf Alvitur und bemerkten, dass es nicht das Nachdenken war, was den Alten zögern ließ. Alvitur schien bewegt zu sein; um seinen Mund zuckte es und auf seiner Stirn erschienen Sorgenfalten.

      Er nahm beide Hände vor sein Gesicht und man konnte hören, wie er heftig atmete und dann schluckte. Sein Gefühlsausbruch war nur kurz, dann schaute er wieder ernst und konzentriert in die Runde.

      „Die Zeit meiner Reisen war zu Ende und so kehrte ich nach vielen Abenteuern zurück nach Hause, heim, nach Björkendal. Damals nannte man mich noch Djarfur und fast wäre ich der glücklichste Mann der Welt geworden. Meine Reisen waren erfolgreich. Ich hatte unendlich viel nützliches Wissen, als Heiler erworbenen, hatte die wunderbaren Apfelsetzlinge in der Schiffsladung und ich hatte bescheidenen Reichtum erlangt. An meiner Seite war die schönste Frau der Welt, meine geliebte Saida. Sie war vom Volk der Umayyaden. Unser Glück schien vollkommen zu sein, denn wir hatten auch eine süße, kleine Tochter. Leider endete mein Glück mit dieser Fahrt. Als wir schon fast zu Hause waren, wurde Saida sehr krank. Selbst mein umfangreiches Wissen über so viele Erkrankungen und über Arzneimittel, halfen ihr nicht mehr. Sie wurde von Tag zu Tag weniger. Wie eine Blume welkte sie dahin und verdorrte. Ich konnte einfach nichts für sie tun.“

      Alvitur stockte einen Moment und man sah, dass diese Erinnerung ihn peinigte.

      „Dann gerieten wir auch noch in einen Sturm, der uns auf dieser verdammten Insel stranden ließ. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich diese Nebelinsel Hel genannt. Diese verdammte Insel, es gibt sie gar nicht. Niemand, der sie sucht, wird sie jemals finden. Sie ist wie das Schicksal. Man landet durch das Schicksal auf ihr oder nicht. Wir saßen also dort fest und Saida, vom Sturm vollends geschwächt, starb dort, in meinen Armen. Bis zum letzten Moment sah ich in ihren Augen ihre unvergleichliche Liebe. Ganz still schlief sie in meinen Armen ein, um nie mehr zu erwachen. Ich baute ihr auf der Insel ein Schiff aus Steinen und legte sie dort zu Ruhe. Was konnte ich sonst noch tun? Danach war ich wie tot. Wenn unsere Tochter nicht gewesen wäre, hätte ich sterben wollen, so öde und leer, wie diese Insel, war mit einem mal das ganze Leben für mich geworden. Mein einziger Gefährte, Leif, setzte sich zu mir und sah mir tief in die Augen. Seine Worte waren es, die mir damals die Kraft gaben, weiterleben zu wollen. Er saß neben mir, zeigte auf Einurd und sagte nur: „Dafür musst du weiterleben. Es lohnt sich.“

      „Ja, er hatte wirklich Recht. Das einzig Tröstliche an dieser elenden Insel war, das Einurd unser Elend nicht zu sehen schien. Sie verzweifelte nicht und gab mir die Kraft, die ich zum Weiterleben brauchte.“

      Hilda platzte dazwischen: „Das war Einurd?“

      „Ja, das war Einurd, Alfgers Mutter, mein größter Schatz, aber das war mir in dem Moment der Trauer nicht so bewusst. Heute gleicht sie im Aussehen ihrer Mutter so sehr, dass ich manchmal glaube, zu träumen.“

      Alvitur lächelte bei diesen Worten, aber man konnte sehen, dass er eine Träne im Auge hatte.

      Er zwinkerte und fuhr fort: „Ich gab Leif meine Tochter in Obhut und bat ihn, mir etwas Zeit zum Trauern zu geben. Ich begrub Saida auf dieser Nebelinsel und trank soviel Bier, dass ich irgendwann einschlief. Bis zu diesem Punkt hatte ich nicht viel über diese merkwürdige Insel nachgedacht, auch nicht, als mir Leif sagte, dass hier eigentlich gar keine Insel liegen dürfte. Leif kannte ja diese Gewässer so gut wie ich, denn er fuhr früher hier so oft, dass er den Kurs schon im Gefühl hatte. Wir fuhren ja auch eine bekannte Rute von Haithabu nach Hause. Vom vielen Bier benebelt, schlief ich also über meine Trauer ein. Als ich irgendwann erwachte, stand ich plötzlich mutterseelenallein auf dieser verfluchten Insel; kein Leif war mehr da und mein Töchterchen war auch weg. Nur diese elende Hütte stand noch dort