Kopf.
Inzwischen war es dämmerig geworden, aber sie konnte ganz deutlich einen Zottelkopf am oberen Rand der Grube sehen und sein eigentümliche Geruch, drang ihr ganz deutlich in die Nase.
Der Zottelkopf beugte sich etwas zu ihr herunter und große Augen schauten sie fragend an.
Hildas Herz begann vor Erregung, wild zu klopfen, hoch bis in den Hals. Sie spürte den Troll und auch dass er nichts Böses im Sinn hatte. Es war fast so, als ob sie hörte, dass er ihr gut war und nur helfen wollte.
„Trolli, bis du das?“, sprach sie ihn an. Hoffnung kam in ihr auf und sie rief: „Trolli, ich bin es, die Hilda. Ich habe dir damals unseren Brei gegeben. Ich bin Hilda. Erinnerst du dich? Hilda, die dir Essen gab.“
Der Troll brummelte etwas und dann formten seine Lippen das Wort „Iiidaaa.“
„Hilda, nicht Ida“, rief sie zurück.
Der Troll schaute weiter von oben, mit seinen großen Augen, auf sie herab und wiederholte: „Iiidaa.“
„Na gut, dann bin ich eben Ida. Trolli, hilf mir! Ich komme hier alleine nicht mehr raus!“
„Iiidaa“, tönte es wieder von oben, dann verschwand der Kopf plötzlich.
Hilda brüllte nun aus Leibes Kräften: „Nein! Trolli, bleib hier! Bitte, geh nicht weg! Trolli, komm zurück!“
Nichts rührte sich, da fing sie wieder an zu weinen und setzte sich verzweifelt hin. Bittere Tränen tropften auf ihre Knie.
Etwas entfernt, hörte sie plötzlich ein Schaben und Rascheln. Sie hob den Kopf und lauschte. Ganz schnell waren die Tränen versiegt. Nun hörte sie lautes Knacken, das Brechen von Ästen, dann das Krachen von dickerem Holz.
Sie wusste sofort, das war der Troll. „Er ist also noch hier und will mir helfen“, ging es ihr erfreut durch den Kopf. Hilda stand auf und schaute ungeduldig nach oben und dann sah sie wieder den Kopf über den Grubenrand schauen. Er brummelte etwas in seiner Trollsprache und Hilda wusste jetzt, dass er ihr helfen würde.
Die Rettung kam wirklich und ein kleiner Baum wurde über den Grubenrand geschoben. Der Troll brummelte wieder etwas, dann schob er den Stamm immer tiefer, bis er auf dem Boden aufsetzte.
Mit Freuden stellte Hilda fest, dass am Stamm die Äste, zwar abgebrochen waren, aber so, dass man auf den Aststümpfen, wie auf einer Leiter, nach oben klettern konnte.
Der Troll beugte sich weiter vor und wie eine Aufforderung klang es diesmal: „Ida“, aus seinem Mund. Er brummelte noch etwas und zeigte eindeutig auf den Baum, der nun fest auf dem Boden stand.
Hilda sprang vor Freude in die Luft und rief: „Trolli, mein Retter, danke!“, dann griff sie ihre Sammelkörbe. Einen Korb hängte sie sich um, den anderen nahm sie zwischen die Zähne und kletterte am Stamm empor, den der Troll oben festhielt.
Inzwischen war es Nacht geworden und es nieselte immer noch. Wegen der dicken Wolken war der Mond nur schemenhaft zu sehen und der Troll erschien ihr wie ein Schatten, der nur wenig größer war als sie selbst.
Es war kälter geworden und in ihrer nassen Kleidung begann Hilda zu zittern.
Bevor sie noch irgendetwas überlegen konnte, griff eine große, feste und behaarte Hand nach ihrer und zog sie mit sich fort.
Hilda war erst überrascht, aber da sie immer noch die Freundlichkeit spürte, folgte sie ohne zu zögern. Sie wusste, dass Trolli, wie sie ihn nun nannte, ihr nichts Böses antun würde. Mit diesem neuen Gespür, diesem neuen Sinn, merkte sie es ganz deutlich und hatte sofort Vertrauen zu ihrem zotteligen Retter.
Hoffentlich führt er mich in die richtige Richtung, ich sehe ja nicht mal den Boden, dachte sie und stolperte laufend über die Äste. Doch der Troll hielt sie fest und Hilda überließ sich willig seiner Führung.
Es regnete immer stärker und Hilda wurde nass bis auf die Haut. Eine kleine Wolkenlücke und das hellere Mondlicht zeigten ihr, dass sie jetzt wieder in der Nähe der drei Felsen waren, also war ihr Weg richtig. Die Silhouette der Felsen zeichnete sich undeutlich vor dem Nachthimmel ab.
Hilda wurde es lausekalt und sie zitterte immer stärker. Der Troll zog sie plötzlich näher an die Felsen heran. Hilda wunderte sich erst, doch dann merkte sie, dass er sich sehr gut auskennen musste, denn er schob sie in eine Felsöffnung, die sie hier nicht kannte.
Sie fand sich plötzlich in einer kleinen Höhle wieder, die hinter dichtem Gestrüpp verborgen war.
Trolli schob Hilda ganz hinein und drückte sie auf den Boden. Als sie saß, bemerkte sie auch, dass der Boden kein harter Fels war, sondern dass alles mit Reisig und Moos ausgepolstert war, so dass sie weich saß.
„Das wird wohl Trollis Lager sein“, stellte sie fest und wurde plötzlich hundemüde. Als der Troll sich neben sie hinsetzte, konnte sie nicht anders, als sich an ihn anzulehnen. Sie merkte noch, wie er einen Arm um sie legte und schlief augenblicklich ein.
Als Hilda langsam erwachte, dachte sie im Halbschlaf: „Puuh, mein Bett riecht aber merkwürdig“, dann wurde ihr bewusst, das ihr Bett Trollis Pelz war und sie immer noch in seinen Armen ruhte. Jetzt wurde sie schlagartig wach, richtete sich auf und sah, im Dämmerlicht, genau in die großen Augen ihres Retters.
Er schaute fragend auf Hilda und sie spürte, da war etwas, das ganz tief in ihre Seele ging. Sie spürte Wärme und seine Umarmung. Es war sonderbar, aber sie fühlte sich sonst nur in den Armen ihrer Mutter so sicher, wie jetzt hier. Hilda genoss dieses Gefühl und lehnte sich wieder an den Troll, bis sie feststellte, dass sie Hunger hatte.
Sie war froh, als sie daran dachte, wie der Troll sie gerettet und dann die ganze Nacht bei ihr gesessen hatte, um sie zu wärmen. Das Gefühl ihrer Dankbarkeit wurde so drängend, dass sie den Troll umarmen musste, ihn noch einmal fest drückte und dann flüsterte: „Trolli, mein guter Trolli.“
Der Troll murmelte etwas, das sie nicht verstand und dann wieder: „Ida.“
Nun wusste sie wirklich, dass er sie meinte. Er konnte ihren Namen nicht anders aussprechen. Mit Ida meinte er Hilda.
„Na gut“, flüsterte sie, „dann nennst du mich eben Ida, das geht auch.“ Sie tippte ihn mit dem Zeigefinger an die Brust und sagte: „Trolli“, dann auf ihre Brust, „Ida.“
Sie sah, wie Trolli seinen Mund verzog und dann wieder brummte: „Ida.“
Hilda war froh. All die Geschichten von Trollen stimmen wohl nur zur Hälfte; es gab sie, aber sie waren nicht böse. Trolli war kein Ungeheuer. Er war einfach nur gut zu ihr und hatte sie aus einer schlimmen Situation befreit. Wer weiß, ohne seine Hilfe würde sie bestimmt immer noch in diesem Loch sitzen und zittern. Bestimmt hätten ihre Leute sie irgendwann gefunden, aber erst heute und sie hätte die ganze Nacht in dem Loch sitzen und frieren müssen.
Sie umarmte den Troll noch einmal und drängelte sich dann an ihm vorbei aus der Höhle.
Vogelgezwitscher empfing sie und milde Helligkeit, in einem schattenhaften Wald, der im Morgenlicht dampfte, unwirklich und märchenhaft aussah. Der Regen hatte aufgehört und die Luft roch wunderbar frisch. Es war auch nicht mehr so kalt wie in diesem Erdloch. Hildas Sachen waren durch Trollis Wärme getrocknet und sie konnte jetzt nach Hause gehen.
Irgendwie wollte sie ihm danken und drehte sich zum Troll um. „Trolli, ich muss nach Hause gehen. Meine Leute machen sich bestimmt Sorgen um mich und meine Mutter wird ganz traurig sein. Trolli, ich werde dich nie vergessen. Du bist ein Freund.“
Dann suchte Hilda ihre Körbe und fand sie auch in der Höhle, aber sie waren leer. Trolli schob sich grade noch einen Pilz in den Mund und grummelte etwas, das ganz nach Zufriedenheit klang.
„Na gut, dann gehe ich eben ohne Pilze und Beeren nach Hause. Du hast sie dir wirklich verdient und ich hoffe, sie haben dir auch geschmeckt.“
Der Troll saß da und schaute sie nur aus großen Augen an. Hilda ging wieder einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn noch einmal.