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jauchzend bis zu Tode betrübt. Mir wurde klar, wie wichtig gute Theaterpsychologen sind!

      Es stand uns wieder eine Premiere bevor, ein historisches Stück stand auf dem Spielplan. Tag und Nacht war ich beschäftigt. Es hatte sich gelohnt, die Premiere wurde ein Erfolg.

      Unerwartet stellte man mir nach der Vorstellung einen berühmten italienischen Modeschöpfer vor. Er war mir nur durch die Medien bekannt. Überschwänglich lobte er meine historischen Entwürfe. »Sie haben eine hervorragende Leistung vollbracht, ganz außergewöhnlich«, beteuerte er immer wieder. »Darf ich Sie morgen Nachmittag zum Tee einladen, in mein Zürcher Feriendomizil? Sie würden mich sehr glücklich machen!«

      Ich war überrascht und zugleich verwirrt, nickte nur. Was will der Mann bloß von mir, schoss es mir durch den Kopf?

      »Bis morgen, Madame.« Er hauchte einen zarten Kuss auf meinen Handrücken. »Mein Chauffeur wird Sie um 16.30 Uhr abholen.«

      In dieser Nacht fand ich lange keinen Schlaf.

      Der Chauffeur kam pünktlich.

      Der Hausherr empfing mich herzlich und führte mich in den großen Salon. Der Tisch war reich gedeckt, mit feiner Patisserie. Das Teegeschirr war hauchdünn und bemalt mit filigraner japanischer Kunst. Eine üppige Blumenschale im gleichen Stil zierte den Tisch, in der weiße Orchideen schwammen. Es gefiel mir, war stilvoll.

      »Der Tee wird gleich serviert, Madame, man weiß, dass Sie angekommen sind. Dürfte ich Sie inzwischen bitten, mit mir mein neu erstandenes Kunstwerk zu betrachten?«

      »Oh ja, ich liebe Kunst!«

      »Dann darf ich vorausgehen«, meinte er freudig.

      Als er die Türe zu einem Nebenraum öffnete, sah ich an der Wand ein großformatiges Gemälde, in dessen Mitte ein überdimensionaler großer, schwarzer Punkt prangte. Sonst war nicht das Geringste zu sehen. Er stand einige Minuten ganz verzückt und still vor dem Gemälde, dabei starrte er unaufhörlich auf die Leinwand mit dem schwarzen Punkt.

      »Furchtbar«, dachte ich!

      »Es ist doch wunderbar, nicht wahr?« Er schaute mich erwartungsvoll an.

      »Ja, sehr interessant, sehr interessant!« Es war das Einzige, was mir dazu im Moment einfiel. Ich wollte die Gefühle meines Gastgebers nicht verletzen.

      »Ja, ja«, sagte er, »der Punkt hat ein ganz besonderes Schwarz! Jetzt werden wir aber unseren Tee trinken.«

      Beim Tee trinken wurde das Geheimnis gelüftet, warum ich von diesem berühmten Mann netterweise eingeladen worden war. Er wollte mich vom Theater abwerben und für seine Ideen gewinnen.

      »Sicher wäre es für Sie viel interessanter, etwas Moderneres, Zeitgemäßeres, Lebendigeres zu kreieren«, meinte er. »Am Salär soll es nicht scheitern.«

      Die Summe war beachtlich. Ich lehnte trotzdem ab. Vermutlich lag es an dem überdimensionalen, großen Punkt, mit dem ganz besonderen Schwarz.

      Chagalls Inspiration

      »Chagall: Chagall, wir kennen ihn alle.« Aber wer weiß, wie wichtig Bella, seine erste Frau, für ihn war. Bella, man kennt sie von seinen Bildern, zum Beispiel »Die Braut mit den roten Brüsten« oder »Die Braut mit den giftgrünen Handschuhen«, mit schwarzem Kleid und weißem Spitzenkragen. Sie war jung, erst fünfzehn Jahre alt, als er sie kennenlernte in Witebsk. Chagall heiratete seine Bella 1915. Sie ging mit ihm nach Paris. Später lebten sie erneut in Witebsk. Er war aktiv bei der Kulturrevolution engagiert. Zum Jahrestag der Revolution malte er ein verrücktes, wunderbares Bild mit roter Fahne. Darauf auch ein Mann, der auf dem Tisch steht, kopfunter, clownesk, der wie Lenin aussieht. Das konnte nicht gut ausgehen! Nun wurde er im niedrigsten Rang der russischen Maler eingestuft, was sich erst später durch seinen Amerika-Aufenthalt änderte. In Russland wurden weniger begabte, dem Regime angenehme Maler bevorzugt.

      Es kamen harte Jahre für Chagall. Versuche mit Bühnenbildern, Schulunterricht und vielem mehr.

      Schließlich wieder Paris. Aber alle Wege waren nicht schrecklich für ihn, denn da war Bella, sie bedeutete ihm Heimat. Neunundzwanzig Jahre lebten sie zusammen. Als Bella 1944 in Amerika starb, verstummte Chagall.

      Es dauerte fast ein Jahr, ehe er sich wieder erhob, wieder malen konnte.

      Was viele nicht wissen: Bella schrieb Erzählungen, die Chagall bildlich darstellen konnte.

      Fast zu allen Erzählungen malte er Bilder – von Russland, Märchen, Pferden, Vätern, Landschaften und zu Religiösem. Bella war für mich seine Inspiration.

      Ich wurde sogar an meinen Mann erinnert. »Erzähle«, sagte er oft zu mir. Wenn ich einmal nichts erzählte, fürchtete er, ich sei krank.

      Chagall heiratete später wieder. Es war nie mehr wie zuvor.

      Ein kurzer Aphorismus zu diesem Text (von mir): »Glückliche Menschen sind ideenreich.«

      Das zerplatzte Geschenk

      Wir wohnen außerhalb der Stadt, nahe am Waldrand, in einem hübschen Dorf. Hier gibt es sie noch: Die unberührte Natur! Füchse, Rehe, Wildschweine und viele seltene Vogelarten wurden hier heimisch. Nur ein Geschäftsviertel haben wir nicht. Um einzukaufen, fahre ich deshalb einmal in der Woche mit dem Bus in die naheliegende Stadt.

      Auch heute war ich wieder unterwegs.

      Meine Einkaufsliste ist lang. Bald kommt die Station, wo ich aussteigen muss. Schon von weitem sah ich eine große Menschenmenge auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Meine Neugier war geweckt! Rasch überquerte ich die Straße und fragte eine Dame: »Was ist denn hier los, wird ein Fest gefeiert?«

      »Ja, wissen Sie es nicht? Die neue Bankfiliale wird heute eröffnet. Es gibt gratis Würste und Freibier!« Auf dem Trottoir vor der Bank waren viele Tische und Bänke aufgestellt. Die Leute saßen da und verzehrten die herrlich duftenden, knusprig gebratenen Würste genüsslich. Manche tranken dazu ein kleines, helles Bier. Aber auch die ganz Kleinen wurden nicht vergessen. In Reih und Glied warteten die Kinder geduldig, bis sie zu dem freundlichen Mann kamen, der die bunten Luftballons mit Gas füllte. Ihre zarten Händchen umfassten die Schnur des Luftballons und ließen sie nicht mehr los. Manche baten den liebenswerten Mann sogar: »Bitte! Binde mir den Ballon um das Handgelenk, damit er mir ja nicht davonfliegen kann.«

      Erst dann konnten sie beruhigt zu ihrem farbenfrohen Ballon hinaufschauen. Ach, wie können diese Kindergesichter noch strahlen! War ich nicht erst auch noch so klein gewesen?

      Kindheitserinnerungen kamen zurück. In Gedanken versunken stand ich da. Nun war es aber allerhöchste Zeit für meine Einkäufe. Als ich im Begriff war weiterzueilen, tippte mir jemand von hinten auf die Schulter. Ich drehte mich um. Liebevolle blaue Augen schauten mich an.

      Es war ein Clown, mit weißer Halskrause, in einem bunten Flicken-Gewand. Er sagte: »Ich habe Sie beobachtet. Wie konnten Sie sich über die Kinder freuen! Zwar bin ich für die Kinder da, aber Sie möchte ich auch beschenken. Bleiben Sie noch einen kurzen Moment stehen.« Umständlich kramte er aus seinen Hosentaschen ein großes dickes Röhrchen hervor. Er schüttelte es kräftig. Dann nahm er den Deckel ab, tauchte den Pustering in das Seifenwasser, zog ihn wieder heraus und blies große Seifenblasen in die Luft. Danach folgten viele, viele kleine Blasen. Dabei betrachtete er mich immer wieder mit seinen freundlichen Augen. Einen Moment lang waren wir beide in einer farbig schillernden Welt von runden Seifenblasen eingehüllt.

      Ich war glücklich! »Vielen Dank für das wunderschöne Geschenk«, sagte ich zu dem Clown.

      Er sagte nur: »Ich wusste, es würde