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Der einsame Schwan in seiner Märchenwelt
Wir hatten Ferien im Südtirol. In einer Broschüre lasen wir, dass es in Kurtatsch ein großes Weingut gebe. Dazu gehöre das Castel Turmhof, mit einem Märchengarten. Alles Märchenhafte bezaubert mich! »Da müssen wir unbedingt hingehen«, sagte ich zu Walter. Ob der Garten öffentlich sei? »Nein. Aber Morgen um elf Uhr gibt es eine Führung. Treffpunkt ist der Vorhof des Schlosses.« Wir waren pünktlich. Aber niemand kam.
Hier gebe es doch eine Jausenstation, meinte Walter. Dort fragten wir, an wen wir uns wenden müssten. Im gemütlichen Hof, mit Holztischen und Bänken, saßen viele Menschen, verzehrten genüsslich den feinen Tiroler Speck und tranken dazu den Hauswein. Als die Wirtin kam, fragte Walter: »An wen muss ich mich wenden, wir wollen den Märchengarten besichtigen?«
»Warten Sie hier, ich werde mit dem Hausherrn telefonieren.«
Wenig später erschien ein gutaussehender, älterer Herr. Aufrecht, ganz aristokratisch, kam er mit einem Gehstock in der Hand auf uns zu.
»Sie wollen in den Märchengarten?«, fragte er. Dabei schaute er uns prüfend von oben bis unten an. »Sie sind nur zu zweit?« Er überlegte sich, ob er zusagen sollte.
»Ich wäre sehr glücklich, wenn wir den Märchengarten sehen könnten«, sagte ich.
»Also gut, dann gehen wir«, meinte der Herr. »Ich führe sie jetzt in meinen Privatbereich.«
Bedächtig ging er vor uns her, bis zu einem schmiedeeisernen Seitentor. Aus seiner Westentasche nahm er einen langen, uralten Schlüssel und schloss auf.
Eine schmale Treppe führte hinab, zu einem wunderschönen See. Dieser war umgeben von jahrhundertealten Eiben, Kiefern, dunklen Tannen und Fichten.
Vor dieser Kulisse am See erhob sich eine skurrile Märchenbergwelt. Von den Bergen stürzten kleine Wasserfälle in den See. In den Höhlen der Bergwelt lebten Fabelwesen und Tiere. Ein Tatzelwurm schaute uns entgegen, eine Schlange, ein Adler, ein Uhu und ein dürrer Steinbock.
Poseidon stieg aus dem See, mit dem Dreizack in der Hand, ihm folgte Aphrodite. Sie erstrahlte in Schönheit und Liebe. Unter einem Felsvorsprung entdeckten wir ein schwarzes Boot. Den Bug zierte ein weißer Schwan. Wir dachten an Wagners Lohengrin und waren verzaubert.
Diese wundersamen Figuren waren allesamt aus Tropfstein gemeißelt worden, von einem Vorfahr, der sich außer dem Weinbau auch der Kunst verschrieben hatte.
Unerwartet leise schwamm majestätisch ein weißer Schwan auf uns zu. Er war neugierig und begleitete uns auf dem Weg am Rande des Sees.
»Wie traurig er aussieht, er ist ja so alleine«, sagte ich.
»Das war nicht immer so«, antwortete der Schlossherr. »Setzen wir uns doch auf die Bank hier am See, ich werde ihnen alles erzählen.« Und er begann: »Ich hatte einmal zwei Schwäne gekauft. Es sollten Mann und Frau sein, aber ich wurde betrogen: Es waren nämlich zwei Männchen. Sie stritten sich ständig!
Hansel, der noch da ist, war der Stärkere. Er plagte seinen Artgenossen so sehr, dass ich ihn zurückbringen musste.
Dann habe ich dem Hansel ein Weibchen gekauft, das wir Gretel nannten. Hansel nahm seine Schwänin liebevoll an. Sie schwammen in einem See von Glück. Auf der Insel, in der Mitte des Sees, dort, wo die Fischerhütte steht, bereitete ich dem Paar ein Nest. Ich dachte, dort seien sie ungestört. Sie bauten sich ihr Nest aber selbst, auf der offenen Seite des Sees, die in die Reben führt. Zum Nestbau verwendeten sie Rebzweige und Stroh.
Bald lagen drei Eier im Nest! Das Glück von Hansel und Gretel war vollkommen – die Schwänin brütete.
Doch eines Tages – ich wollte ihnen frische Salate bringen – da sah ich das Entsetzliche: Das Nest war offensichtlich von bösen Menschen zerstört worden! Die Eier, kaputtgeschlagen! Aufgeregt standen die Schwäne vor dem Nest. Als ich mich Hansel nähern wollte, mit dem ich sehr vertraut bin, schlug er mich mit der ganzen Wucht seines Flügels.
Das hatte ich nie für möglich gehalten! Der Schmerz hatte meinen Schwan überwältigt.
Gretel litt so sehr, dass sie das Fressen so lange verweigerte, bis ich sie tot am Ufer fand. Es war ein Drama. Ich vergoss Tränen.« – Der Schlossherr schwieg ergriffen. Nach einer Weile fuhr er fort: »Ich wollte meinem Hansel wieder eine Freude bereiten und kaufte ihm eine andere Schwänin. Aber er konnte sie wohl in seiner Trauer und dem Schmerz nicht annehmen. – Er tötete sie. Seine Liebe zu seiner Gretel bleibt unstillbar. Denn nun baut Hansel jedes Jahr am gleichen Ort in den Reben ein neues Nest.«
Daheim in unserer hohen Tanne
Darf ich euch Familie Eichhörnchen vorstellen, unsere liebenswerten Nachbarn?
Familie Eichhörnchen lebt in unserem Garten, nahe am Waldrand. Mutter Eichhörnchen ist sehr gepflegt, sie hat ein wunderschönes rotbraunes Fell. Vater Eichhörnchen erkennt ihr sofort an seinem seidigen, dunkelbraunen Fell. Beide besitzen einen dichten, buschigen Schwanz. Und klettern können die beiden! Leicht und sicher gehen sie die höchsten Bäume hinauf.
Damals suchten sie lange nach einem geeigneten Haus, denn Mutter Eichhörnchen erwartete zwei Kinder.
»Unsere Kinder sollen es einmal schön haben, im Grünen aufwachsen, in viel frischer Luft«, meinte der Vater. »Und spielen sollen sie können, ganz ohne Angst! Heute gibt es ja so viele Gefahren für kleine Eichhörnchenkinder! Ich denke an die frechen Feldkatzen, die schnellen Füchse, an Edelmarder und an große Raubvögel.«
»Oh je, oh je, an so etwas habe ich überhaupt nicht gedacht! Du hast vollkommen recht!«
»Beruhige dich! Ich habe nochmals Ausschau gehalten und einen geeigneten Garten am Waldrand entdeckt. Auch Menschen leben dort. Da gibt es weniger Gefahren als im tiefen Wald. Die Menschen freuten sich sehr, als sie mich sahen. Außerdem gibt es große Kirschbäume, Birnen- und Apfelbäume im Garten. Läuft dir nicht das Wasser im Munde zusammen? Früchte isst du doch so gerne.«
»Ach, das tönt ja wunderbar! Du bist der liebste Eichhörnchenmann!«
»Pass auf, was ich dir noch verrate!«
Nun spitzte Mama Eichhörnchen ganz fest die Ohren, auf denen zierliche Haarbüschel sitzen die sogar mithelfen, selbst leise Gesprochenes zu verstehen.
»Im Garten, in der äußersten Ecke, steht eine stattliche Tanne. An ihrem Hauptstamme bauen wir unser Haus.«
Da leuchteten die schönen, schwarz glänzenden Augen der werdenden Mutter. Sogar die Oberlippe mit ihrem stattlichen Schnurrbart zitterte vor Freude. Und so geschah es, dass Vater und Mutter Eichhörnchen ihr Haus in unserer hohen Tanne im Garten bauten. Fleißig besorgte der Vater viele zähe Baumwurzeln und biegsame Reiser und trug sie hinauf zum Baumhaus. Dort schlang er alles geschickt ineinander, das ergab Stabilität.
Er ruhte nicht, bis der Bau fertig war. Am Schluss polsterte er alle Wände mit einem dicken Moospolster aus, so konnte die Winterkälte nicht ins Haus.
Bald kamen zwei gesunde, prächtige Eichhörnchenkinder zur Welt. Die Eltern waren überglücklich. Wir sind es auch, weil wir dieses Glück hautnah miterleben dürfen.
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