Roman Sandgruber

Traumzeit für Millionäre


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des Verlagswesens und Buchhandels ermöglichte und einer Reihe berühmt gewordener Verleger und Buchhändler eine Chance gab, zum Beispiel Georg Freytag, Alfred Hölder oder Franz Pichler.

      Shopkeepers waren nicht salonfähig, schreibt Heinrich Treichl über die Gesellschaft des Fin de Siècle.109 Besitzer von Warenhäusern, Handelsketten oder auch einfachen Ladengeschäften hatten gegen sehr große gesellschaftliche Widerstände anzukämpfen und genossen bei weitem nicht jenes Ansehen, das sich andere Wirtschaftstreibende, Bankiers, Industrielle, geschweige denn Beamte oder Künstler verschaffen konnten.

      Die klassische Domäne des Handels war und ist der Textilhandel: Stoffe, Kleider, Kurzwaren, Teppiche. In Wien traf man auf eine bunte Palette von Textilgeschäften: Leinwandhändler, Pfaidler, Tuchschneider, Currentwarenhändler, Galanteriewarenhändler, Kurz- und Weißwarenhändler, Händler mit roher und gefärbter Seide, Händler mit reichem und schwerem Seidenzeug, Spezereiwarenhändler sowie die „gemischten Warenhändler vor der Stadt“. Vermögende Kunden in Wien, vereinzelt auch in der Provinz, bezogen ihre Kleidung im späten 19. Jahrhundert immer noch direkt aus Paris, London oder Brüssel. Der Handelsvertreter kam mit einem Berg von Schachteln ins Palais oder die Villa. Da wurde anprobiert, ausgesucht, gekauft. Kam der Vertreter nicht direkt ins Haus, so legte man im Geschäft Wert auf diskrete Bedienung und Zustellung der erworbenen Ware durch das Personal. Man kaufte feine Stoffe bei Jungmann & Neffe, exquisite Herren- und Damenkleidung bei Heinrich Grünbaum und Reformmode bei den durch Gustav Klimt bis heute bekannt gebliebenen Schwestern Flöge. Zu einem Millioneneinkommen brachte es zum Beispiel Grünbaum, dessen Witwe 1910 ein Jahreseinkommen von 162.180 Kronen deklarierte.

      

       Palastarchitektur für ein Warenhaus: die Fassade des 1897/​98 nach Plänen von Maximilian Katscher errichteten Stammhauses von August Herzmansky in der Mariahilfer Straße, 1899.

      Die neuen Tempel der Kauflust waren die Warenhäuser. „Kathedralen des Massenkonsums“ und „Museen des kleinen Mannes“ lauteten die Schlagwörter. Emile Zola hatte mit seinem Kaufhausroman die Vorstellung vom „Paradies der Damen“ geprägt, auch wenn es vor allem die Herren waren, für die vorerst die dort angebotenen Waren gedacht waren: Reise-, Jagd- und Stadtkleidung, Herrenpelze, Fräcke und Gehröcke, Livreen, Schlafröcke, Turnanzüge, Knabenkleidung und Priesterröcke umfasste das Sortiment bei Rothberger. Nach 1900 kam auch Automobilkleidung dazu. Das Angebot wurde immer breiter, bis zuletzt die ganze Warenfülle der beginnenden Massenkonsumgesellschaft in einem pompösen Ambiente für jedermann zu bestaunen war. Denn die Unterschichten konnten bestenfalls staunen. Zum Kaufen fehlte das Geld. Aber man musste ja nicht kaufen. Und der Zutritt war gratis.110

      Die Warenhäuser waren die Leuchttürme der neuen Zeit. In religiöser Feierlichkeit wurden sie inszeniert. Die Palastarchitektur schuf Gefühle des höchsten Luxus. Verkauft wurden die Massenwaren des Fabrikszeitalters. Im Erdgeschoß gab es die Schwemme, in den oberen Stockwerken waren die Verkaufssalons und ganz oben die Werkstätten. Orientalische Basare waren sie in den Augen ihrer antisemitischen Kritiker, die Vorhut des Massenkonsums für die Stadtflaneure. Rothberger platzierte sein Warenhaus direkt gegenüber dem Haupttor des Stephansdoms, Neumanns hochtrabender Metropolitan Clothing Palace in der Kärntner Straße mutierte im Mund der Wiener bald zum „Steffl“. Die Mariahilfer Straße, der tägliche Weg des Kaisers von Schönbrunn in die Hofburg, war der rechte Ort für die Zurschaustellung dieser neuen Stadtwahrzeichen. So konnte der Kaiser tagtäglich die Paläste der neuen Zeit vor Augen haben. Von den 24 im Jahr 1907 als Warenhäuser erfassten Wiener Unternehmen befanden sich zwölf im 1. Bezirk und zehn in der Mariahilfer Straße. Hier waren auch die drei weitaus größten nahezu benachbart: Gerngroß, Herzmansky und Esders „Große Fabrik“. Während bei den übrigen die Umsatzhöhe zwei Millionen nicht überschritt, gaben Esders 7,5 Millionen, Herzmansky acht bis zwölf Millionen und Gerngroß über 10 Millionen an. Die Beschäftigtenzahl bei Gerngroß überstieg die 1000er-Grenze. Gerngroß war auch bereits in den Möbel-, Haushalts- und Lebensmittelbereich eingestiegen. Rechnet man alle fünf Gerngroß-Brüder zusammen, so versteuern sie mehr als 700.000 Kronen Einkommen im Jahr, Vater und Sohn Esders zusammen fast 800.000 Kronen. Herzmansky lag da schon weit abgeschlagen zurück.111 Die 29 Millionäre unter den Warenhausbesitzern brachten es auf Durchschnittseinkommen von etwa 200.000 Kronen.

      Als Pionier der österreichischen Kleiderhäuser gilt Mayer Mandl. 1843 hatte der Sohn des Prossnitzer Altkleiderhändlers Moses Mandl um die Kleinhandelsbefugnis für alte Kleider eingereicht. 1849 kam jene für neue Kleider dazu. Bald beschäftigte Mayer Mandl mehrere 100 Schneider, die aus billigen Stoffen Konfektionsstücke für den Vertrieb in Ungarn und am Balkan fertigten. Im Krimkrieg war er als Lieferant der osmanischen Armee zu derartigem Ansehen gelangt, dass ihm die osmanische Regierung für einige Zeit die Ausstattung ihrer gesamten Armee übertrug. 1858 suchte er um die Fabriksbefugnis für die Erzeugung von Männerkleidung an. Es war die erste Kleiderfabrik Österreichs. In den 1860er Jahren etablierte sich Mandl direkt in Wien. 1910 stellte die Mandl-Familie eine Reihe von Millionären: Julie Mandl, die Witwe des 1888 verstorbenen Mayer Mandl, ihren Sohn Arnold Mandl, Inhaber des Bank- und Großhandlungshauses J. & M. Mandl und M. Mandls Söhne und 1881 zusammen mit Salomon Kohnberger Gründer der Österreichisch-Amerikanischen Gummiwarenfabrik in Breitensee bei Wien, ferner Max Mandl, Ritter von Maldenau, Gesellschafter der Fa. M. & J. Mandl und der Fa. M. Mandls Söhne, und Sigmund Mandl, Direktor dieser beiden Unternehmen.112

      In den fünfzig Jahren vor dem Ersten Weltkrieg etablierten sich in Wien etwa 40 Betriebe in der Art von Mandl. Der aus dem ungarischen Alberti Irsa stammende Schneidergeselle Jakob Rothberger eröffnete 1855 sein „Kleidermagazin“ nach einem System, das er in Paris kennen gelernt hatte. Seine Idee war die „Kleiderschwemme“. Gebrauchte Kleider wurden gegen neue getauscht. Die alten Kleider reparierte er und verkaufte sie weiter. Die Schneiderarbeiten wurden nicht von Angestellten, sondern von selbständigen Stückmeistern erledigt. Mit zwei Standbeinen, der Kleiderschwemme und der gehobenen Herrenkleidung, verfügte er über eine so breite Basis, dass er 1861 sein Geschäft auf den zentralsten Platz Wiens, den Stephansplatz übersiedeln konnte. 1868 wurde er zum Hoflieferanten ernannt und 1886 ein spektakulärer, von den Theaterarchitekten Fellner & Helmer geplanter Neubau eröffnet. Die zwei Stockwerke hohe Verkaufshalle wurde von 380 elektrischen Glühbirnen taghell erleuchtet. Es gab eine Dampf-Zentralheizung und einen hydraulischen, ab 1897 elektrischen Aufzug. Im Souterrain fand man die Schwemme, darüber in zwei Etagen die Verkaufsräume. Es wurde auch eine Kleiderleihanstalt geführt. Das Geschäft wurde angeblich mehr wegen seiner billigen als seiner eleganten Ware bekannt. Eingemietet war auch das Süßwarengeschäft Victor Schmidt & Söhne. Geöffnet war von 7 Uhr morgens bis Mitternacht.

      Als Jacob Rothberger 1899 verstarb, wurde sein Nachlass mit 2,149.244,07 fl eingeantwortet, davon ein Viertel Firmenvermögen. Die restlichen drei Viertel bestanden in Wertpapieren und Realitäten. Neben den Hälfteanteilen an den beiden Häusern Stephansplatz 9 und 11, einem Haus am Salzgries und einem in Budapest gehörte Rothberger ein Sommerhaus in Neuwaldegg. Drei der vier Söhne übernahmen die Geschäftsleitung. Es waren über 300 Personen angestellt, weitere 600 arbeiteten als selbständige Stückmeister. In Budapest hatte man eine Filiale. 1908 wurden auch Filialen in Paris und London eröffnet. Die Erfolgssträhne brach in der Zwischenkriegszeit. Die Filialen im Ausland waren verloren, der Kontakt zu den Zulieferern riss ab. Die Geschäftsfläche im Stammhaus wurde reduziert und verpachtet. 1938 wurde das Warenhaus „arisiert“ und 1945 im Zuge der letzten Kriegshandlungen zerstört.113

       Rühmte sich für seinen aristokratischen Kundenkreis: das Damenmodehaus Zwieback an der Ecke Kärntner Straße/​Weihburggasse. Foto: Madame d’Ora, 1913.

      Rothbergers Idee wurde rasch von anderen nachgeahmt oder ebenfalls entdeckt. Der aus einer schlesischen Weberfamilie gebürtige August Herzmansky kam 1848 nach Wien und eröffnete in der Kirchengasse,