war sich durchaus bewusst, dass hier Extraprofite geschaffen und der allgemeine Wohlstand durch die Mengenbeschränkungen zugunsten einiger weniger reduziert wurde.132
Obwohl die Aktiengesellschaften so stark im Vormarsch waren, dominierten immer noch die großen Familiengesellschaften. Sieben Eissler sind unter den Millionären, drei Mautner Markhof, sechs Pollack von Parnau bzw. Parnegg, vier Eisler von Terramare, zwei Popper-Podhrágy. Zahlreiche Brüderpaare und Familienclans bestimmten das industrielle Geschehen: Böhler, Duschnitz, Friedmann, Habig, Hardy, Heller, Kupelwieser, Lieser, Medinger, Mendl, Salcher, Schrantz, Seybel, Thonet, Trebitsch, Wagenmann, Weinberger, Wittgenstein. Eine der letzten großen Familienkonstellationen in der österreichischen Industrie bildeten zwischen den beiden Kriegen die sechs Brüder Bunzl, in den 1930er Jahren Österreichs dominierende Industriellenfamilie und heute noch erfolgreich am internationalen Parkett, wenn auch nicht mehr in Österreich.133
Die Berndorfer Metallwarenfabrik war Teil des gewaltigen Firmenimperiums, das Alexander Ritter von Schoeller innerhalb weniger Jahrzehnte aufbauen konnte.
Riesige Mischkonzerne hatten die Schoeller und die Miller-Aichholz aufgebaut: eigentlich Industrieverwaltungen. Sechs Mitglieder der Familie Miller-Aichholz befanden sich 1910 unter den Superreichen, fünf Mitglieder der Familie Schoeller. Beide Familien gehören zu den bekanntesten der Ringstraßenepoche. 1910 zählte der Familienverband Miller-Aichholz zu den größten Industrieaktionären der Habsburgermonarchie. Der Compass nennt für August II., Vinzenz und Heinrich Miller-Aichholz insgesamt 28 Stellen als Verwaltungsrat, Präsident oder Direktor diverser Unternehmen recht verschiedener Branchen. Der österreichische Volkswirt stellte 1911 fest, dass die Familie Miller-Aichholz, obwohl sie zu den größten Industriefirmen des Reiches gehöre, schon seit langem mehr als Großaktionär denn als Privatfirma und Unternehmer handle.134 Sie hatte Einfluss bei den Perlmooser Zementwerken, der Neusiedler Papierfabrik, der Fabrikation vegetabilischer Öle in Triest, der Galizischen Naphta Produktion, der Brünner Kammgarnspinnerei, der Liesinger Brauerei, der Neugedeiner Schafwollwarenfabrik und den Baumwollspinnereien und Webereien in Trumau und Marienthal. Ihnen gehörte auch die Bossi Hutstumpenfabrik in Unter-Sankt Veit und das Antimonbergwerk in Schlaining, das zum Ausgangspunkt ihres wirtschaftlichen Absturzes wurde. Sie betätigten sich als Großhändler für Kolonialwaren und Chemikalien und als Privatbankiers. Das Kronjuwel aber war die Sodafabrik in Hruschau. 1911 wurde diese an den größten Konkurrenten, den Aussiger Verein für chemische und metallurgische Produktion, verkauft. Die autokratisch dirigierte Familie war in sich bereits tief gespalten. Das Vermögen verteilte sich auf immer mehr Familienmitglieder. Gleichzeitig wurde der Kapitalbedarf immer größer. Das Familienunternehmen Miller & Co war schon vor dem Krieg in seiner Bedeutung zutiefst in Frage gestellt. 1927 war es bankrott.135
Alexander Schoeller gelang es innerhalb weniger Jahrzehnte, einen breit gestreuten Industriekonzern aufzustellen, der Tuchfabriken in Brünn, die Metallwarenfabrik in Berndorf, die Messingfabrik Triestinghof, Mühlenbetriebe, die Ternitzer Stahlwerke, die Hütteldorfer Brauerei, eine Reihe von Zuckerfabriken, eine Vielzahl weiterer Industriebeteiligungen und die riesige, vormals Esterházysche Herrschaft Léva in der Slowakei umfasste. Alexander Schoeller hinterließ bei seinem Tod ein Vermögen von über 40 Mio. Gulden.136 Seine beiden Ehen blieben kinderlos. Die Erbfolge ging an die Brünner Linie mit Gustav Schoeller über. „Einigkeit in der Familie – dies ist mein Wille“, war der Schlusssatz des Testaments von Philipp Wilhelm Schoeller im Jahr 1875. Paul Schoeller war bekannt als großer Kunstsammler. Er blieb wie sein Bruder Philipp unverheiratet. Sein vor seinem Tod überlieferter Ausspruch: „Was mit mir altem Mann geschehen mag, ist einerlei, wenn nur das Haus bestehen bleibt“, drückt die Sorgen des alten, kinderlosen Mannes nach dem Zerfall des großen Wirtschaftsraums der Monarchie aus, den er nur kurz überlebte.137 Die Schoeller waren und sind eine der traditionsreichsten Industriellen-, Bankiers- und Großhändlerfamilien des Landes. Sie gehörten zu den führenden Privatbankiers und Großindustriellen im alten Österreich. In der Ersten Republik und im Nationalsozialismus kam ihnen eine mehrdeutige Rolle zu. In der Zweiten Republik wurde Ternitz verstaatlicht, gingen wesentliche Beteiligungen verloren, wurde das Privatbankhaus verkauft. Aber immer noch spielt Schoeller im Großhandel in der ersten Liga.138
Die Königin der alten Industrie
Die frühe Industrie war vor allem Textil- und Bekleidungsindustrie. Mehr als ein Drittel der Spitzenverdiener in der Industrie, insgesamt 121, waren Textilindustrielle. Was allerdings auffällt: Keine einzige der Unternehmerfamilien aus der Textilindustrie, die 1910 führend waren, ist heute noch nennenswert vertreten. Das hängt einerseits mit dem dramatischen Bedeutungsverlust zusammen, den die Textilindustrie in der Zwischenzeit erfahren hat, andererseits mit dem Kahlschlag, den die nationalsozialistische Verfolgung gerade in dieser Branche hinterlassen hat. 95 der 121 Textilmillionäre waren jüdisch.
Die Textilindustrie war mit dem Textilhandel eng verschränkt. Gerade in dieser Branche war es möglich, die Produktion nicht nur in großen Fabriken, sondern auch in dezentraler Heimarbeit durchführen zu lassen. Heimindustrielle Spinner, Weber, Sticker, Schuster und Schneider wären aber nicht in der Lage gewesen, ihre Erzeugnisse selbst zu vermarkten. Diesen Teil und auch die Versorgung mit den Rohstoffen (Wolle oder Baumwolle) übernahmen Unternehmer. Viele dieser Verleger waren eigentlich zunächst überhaupt nur Händler, die ihr Geschäft durch ein Verlagsunternehmen ausweiteten und so von Handelsleuten zu Industriellen wurden, die sich eine Spinnerei, eine Weberei oder eine Konfektion angliederten.
Die Baumwollindustrie ist der traditionsreichste Zweig der Industrie, wo die Industrielle Revolution begonnen hatte, mit den großen Spinnereien und mechanischen Webereien. Um 1910 gab es in Österreich etwa 130 Baumwollspinnereiunternehmen und etwa 550 Webfabriken. Über die ganze Monarchie verteilten sich die Standorte der Spinnereien und Webereien: Vom traditionsreichen Unternehmen der Leitenberger, das 1904 nach dem tragischen Verkehrsunfall des letzten Leitenberger in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden war und von deren Erträgen seine Witwe 1910 noch eine Millionärsrente lukrierte, bis zu Isidor Mautner, der 1910 dabei war, den größten Textilkonzern der Habsburgermonarchie zu formen, der 1929 spektakulär zusammenbrach.
Es sind berühmte Namen, die hinter der Textilindustrie stehen. Der Aufstieg der Dumba, von aromunisch-griechischer Herkunft, begann mit Sterpios Doumbas, der mit Baumwolle nach Österreich und mit Zucker in das Osmanische Reich handelte. Seine Söhne Nikolaus, Theodor und der kinderlose Michael St. Dumba ergänzten den Rohstoffhandel mit Spinnereien im Wiener Becken. Nikolaus Dumba galt als ein wichtiger Kunstmäzen und -sammler sowie Förderer des Wiener Musiklebens. Sein hinterlassenes Vermögen wurde auf 9 bis 10 Mio. fl geschätzt. Dabei unterschätzte der Verlassenschaftsakt den Wert seines Vermögens wahrscheinlich ganz gewaltig, vor allem was die riesigen Kunst- und Autographensammlungen betraf, aber auch die Immobilien.139
Heute ein Industriedenkmal und eine Industrieruine: das Hauptgebäude der 1906 von Josef Broch übernommenen Baumwollspinnerei Teesdorf mit Wasserturm, errichtet 1908 – 1910.
Mehr als ein halbes Jahrhundert später, und von ganz anderer Herkunft, aber auch aus dem Handel kommend, begann die Karriere des Josef Broch, des Vaters des Dichters Hermann Broch. Die Brochs waren Zeugen und Akteure eines ungeheuren sozialen Aufstiegs und Absturzes. Josef Broch war es innerhalb eines Jahrzehnts gelungen, vom Laufburschen zum Tex- tilmillionär aufzusteigen. Die Situation seiner elterlichen Familie in Prossnitz muss sehr schlecht gewesen sein. 1864 verließ er als Zwölfjähriger das elterliche Haus und ging nach Wien. Der Traum von der Weltstadt erfüllte sich für ihn. Anfang der 1880er Jahre galt er bereits als einer der gewiegtesten Textilhändler der Stadt. 1885 heiratete er Johanna Schnabel aus einer reichen Lederhändler- und Fabrikantenfamilie. 1907 war er in der Lage, eine ganze Etage im 2. Stock eines Hauses im Wiener Textil- und Börseviertel zu kaufen. Die Wohnung umfasste mehr als 20 Zimmer. Im selben Jahr wagte er auch den Sprung in die Industrie. Im Jahr 1906, nach einem Streik in der Spinnerei Teesdorf, den der Wiener Fabrikant Abraham M. Elias mit Militäreinsatz zu brechen