Roman Sandgruber

Traumzeit für Millionäre


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im englischen Frühkapitalismus: Kinderarbeit, desolate Fabrikswohnungen, völlig veralteter Maschinenpark. Broch investierte kräftig. Den Sohn Hermann hatte er in Wien und Mülhausen Technik und Textilmaschinenbau studieren lassen. 1907 trat dieser in die neu erworbene Fabrik ein, obwohl er wohl schon damals mehr an den schönen Künsten als an den Geschäften und Maschinen interessiert war. 1908 wurde er Direktor und führte etliche Neuerungsmaßnahmen durch: Er ließ das Spinnereigebäude in hochmoderner Betontechnik aufführen und mit Wasserturm und Sprinkleranlage ausstatten. Bis 1914 wurde das Aktienkapital des Unternehmens von 600.000 Kronen auf 1,900.000 Kronen aufgestockt. Die Aufrüstung und der Krieg steigerten den Bedarf nach Uniformstoffen. 1910 hatte Broch es zu einem Jahreseinkommen von fast 400.000 Kronen gebracht. 1915 erreichte der geschäftliche Erfolg des Unternehmens den Höhepunkt.140 Doch schon in den 1920er Jahren kam das Ende. Josef Broch musste zusehen, wie das Unternehmen von seinem Sohn Hermann verkauft wurde. Vom Verkaufserlös blieb nach der Börsenkrise nicht viel. 1937 konnte sich Hermann Broch nur mehr mühselig von den kargen Erträgen des Schriftstellerberufes durchbringen.141

       „Elegantester Wiener“: Der Hutfabrikant Peter Habig jr. mit seinen Töchtern Lucy und Maria.

      Am Tiefen Graben, mitten im boomenden Textil- und Börsenviertel des ersten Bezirks, begann 1867, gerade im rechten Augenblick, der atemberaubende Aufstieg des Isidor Mautner. Er trat in das von seinem Vater gegründete Webereiunternehmen ein, das seit 1874 als „Isaac Mautner u. Sohn“ firmierte. 1875 heiratete er die Wiener Industriellentochter Jenny Neumann, deren Eltern Mitbesitzer einer Seidenfabrik waren. Mit ihr hatte Mautner die Söhne Stephan und Konrad sowie die Töchter Katharina Breuer-Mautner und Marie Mautner-Kalbeck. 1905 wandelte Isidor Mautner seine Betriebe mit Hilfe der Boden-Credit-Anstalt in die „Österreichischen Textilwerke AG“ um und fasste sie 1912 in einer Holding zusammen: Isidor Mautner war damit Generaldirektor eines Konzerns mit 42 Fabriken und etwa 23.000 Beschäftigten, 650.000 Spindeln und mehreren tausend Webstühlen. Seine beiden Söhne Stephan und Konrad als Stellvertreter nahmen mehr dekorative Positionen ein. Konrad interessierte sich für Ausseer Volkskultur und steirische Trachten, Stephan für Malerei und Schriftstellerei. 1929 zerbrach das Mautnersche Textilimperium vor den Augen des Gründers. Sein Sohn Stephan hatte mit dem Konkurs der „Neuen Wiener Bankgesellschaft“, deren Präsident er war, wesentlich zum Kollaps des ganzen Konzerns beigetragen. Isidor Mautner starb 1930 im Trubel der Wirtschaftskrise, Stephan Mautner 1944 irgendwo im Wahnsinn des Holocaust.142

      Wiener Chic! Das war eine Erfolgsschiene. Es gab so viel Luxus zu befriedigen: Handschuhe, Strümpfe, Hemden, Spitzenunterwäsche, Hüte, Pelze, Taschenuhren und vielerlei Accessoirs. Soll man Arnold Bachwitz zu den Industriellen oder zu den Journalisten rechnen? Er gründete 1883 einen Damenmäntel-Verschleiß und ein Modeunternehmen. In seiner Bachwitz AG verlegte und produzierte er eine Reihe von Modezeitschriften und Magazinen, etwa Die Wienerin und Chic Parisien. Als erstes Blatt kam 1898 Der Modezeichner heraus, gefolgt von einer Reihe weiterer Journale und Alben, etwa der Großen Mode (1900 – 1922), der Eleganten Frau (1900 – 1929) und The Coming Season (1920 – 1929). Insgesamt wurden etwa 50 Zeitschriften herausgebracht, viele davon dreisprachig. Arnold Bachwitz war auch Direktor der Wiener Modeausstellung, die um die Jahrhundertwende mehrmals in den Sälen der Österreichischen Gartenbaugesellschaft abgehalten wurde. Sein Hauptquartier war das imposante, 1908/​09 erbaute Palais des Beaux Arts in der Löwengasse 47 mit den großen Weltkugeln auf dem Dach, zwischen denen in großen Lettern der Name des Besitzers die Internationalität des Unternehmens symbolisieren sollte.143

      Hüte waren Modeartikel im besten Sinne des Wortes. „Hier konnte sich“, schreibt Peter Habig, der bedeutendste Hutfabrikant des Reiches, „der Wiener Geschmack am freiesten betätigen.“144 Sein Sohn Peter jr. galt als der „eleganteste Jüngling“ im Wien des frühen 20. Jahrhunderts. Er heiratete in den Gutmann-Clan ein. Peter Habig sen. war 1853 als Hutmachergeselle nach Wien gekommen. 1867 eröffnete er eine kleine Werkstätte. 1882 startete er die Hutfabrik an der Wiedner Hauptstraße. Verkauft wurde direkt neben der Fabrik im riesigen Habig-Hof und an der Kärntner Straße im noblen Palais Todesco, ab 1888 auch in der Berliner Friedrichstraße. Als k. u. k. Kammer- und Hof-Hutfabrikanten wurden Peter & Carl Habig auch Hoflieferanten der deutschen Kaiserin Auguste Viktoria und des Prinzen Friedrich Leopold von Preußen. Beliefert wurden auch König Eduard VII. von Großbritannien, Georg I. von Griechenland und Peter I. von Serbien sowie Großherzog Wilhelm IV. von Luxemburg. Der von den Architekten Carl Holzmann und Heinrich Adam erbaute Habig-Hof war ein Gesamtkunstwerk aus Wohnungen und Verkaufsflächen, die fast einen gesamten Stadtblock einnahmen. Nach dem Ersten Weltkrieg fiel die noble Kundschaft ab, nach dem Zweiten Weltkrieg und dem wechselnden Modegeschmack verschwand die Bedeutung des Hutes immer mehr. Ein Nischengeschäft ist geblieben.145

      Der in Bukarest geborene Carl Moritz Frank gründete 1838 einen Schneiderbetrieb. 1860 übernahm sein Sohn Carl Frank junior das Unternehmen. 1874 wurde er zum k. u. k. Hoflieferanten ernannt. Frank gehörte bald zu den angesehensten Schneidereien in Europa. Er fertigte die Zivilanzüge für den Kaiser. Zu seinen Kunden zählten Kronprinz Rudolf von Österreich-Ungarn, die Brüder von Kaiser Franz Joseph I., Erzherzog Karl Ludwig und Erzherzog Ludwig Viktor, und der hohe Adel. Frank war auch Hoflieferant des Prinzen von Wales, des Königs von Italien, Kaiser Napoleons III. von Frankreich, König Milans von Serbien und der Königshöfe von Schweden, Spanien, Bayern, Preußen, Russland, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Serbien, und Montenegro. König Eduard VII., die angeblich bestangezogene Persönlichkeit seiner Zeit, zählte zu den Stammkunden. Insgesamt waren es nicht weniger als 55 Hof- und Kammertitel, die C. M. Frank im Laufe seiner Existenz ansammelte. Der kinderlose Carl Frank junior konnte 1914 mit seinem Geld drei Millionen Goldkronen für die Errichtung eines Kinderspitals stiften. Dafür erhielt er den Adelstitel. Geschäft und Familie endeten mit seinem Tod, der fast zeitgleich mit dem Tod des alten Kaisers im Jahr 1916 kam.

      In der Schmuckbranche verdienten einerseits eine Reihe von Juwelieren und Uhrmachern, von Bellak über Hirsch bis Zirner, andererseits die Erzeuger von Imitaten. Mit den Glasschmucksteinen begann eine Erfolgsgeschichte, die für zwei Gablonzer Unternehmer nicht unterschiedlicher hätte verlaufen können: Robert Richter und Daniel Swarovski. Auf dem Gebiet der Similisteine hatte sich durch den Einsatz von Maschinen ein gewaltiger Umbruch vollzogen. Derart bearbeitete Steine hatten den Vorteil, regelmäßiger und auch viel billiger als die handerzeugten zu sein. „Leider“, schreibt ein Berichterstatter im Jahr 1908, „hat eine Firma den Artikel von hier (gemeint Gablonz) nach Tirol verschleppt“. Das zielte auf Daniel Swarovski. „Ihr ist ein zweiter Fabrikant dieser Steine namens Robert Richter gefolgt, der seine Fabrikation nach Niederösterreich verlegt hat.“146 Robert Richter, aus der Familie der Eigentümer einer 1882 gegründeten Gablonzer Bijouteriewarenfabrik stammend, spezialisierte sich auf künstliche Edelsteine, die er mit einer von ihm entwickelten Schleifmaschine bearbeitete. 1900 gründete er in Gablonz eine mechanische Glasschleiferei, die er 1907 auf der Suche nach genug Wasserkraft und wohl auch wegen der Nähe des Wiener Marktes ins niederösterreichische Münchendorf verlegte. Er erwarb das Areal einer abgebrannten Mühle. 1907 ging die Fabrik in Betrieb, die 1910 zwar nur etwa 150 Arbeiter beschäftigte, aber sehr komplexe Maschinen einsetzte, die im Fabriksbetrieb Steine mit besonderem Schliff und elegantem Aussehen ermöglichten. 1910 zählte er zu den Spitzenverdienern. 1917 wurde das Unternehmen kriegsbedingt stillgelegt. 1918 entschloss sich Richter, sein Unternehmen zurück in die Tschechoslowakei ins heimatliche Reichenberg zu transferieren.147 Langfristig war das keine gute Entscheidung. Auch Daniel Swarovski kam aus der Nähe von Gablonz und Reichenberg, aus Georgenthal. Auch er hatte 1891 einen Schleifapparat zum industriellen Schleifen von Schmucksteinen entwickelt. Auch er ging aus der Gegend weg und transferierte den Betrieb, in seinem Fall nach Wattens in Tirol, wo er genug Wasserkraft für seine Maschinen hatte. Um 1910 beschäftigte er bereits an die 1.000 Leute. Auch sein Unternehmen wurde durch den Kriegsausbruch nahe an den Ruin gebracht. Es gelang ihm aber, sich mit Schleifmitteln und Ferngläsern ein rüstungswirtschaftliches Standbein zu schaffen, das ihm neben den Schmucksteinen den Weg für den Aufstieg zur Weltfirma ebnete.148 Sein langfristiges Glück: Sein in Österreich verbliebener Betrieb konnte nach 1945 kräftig expandieren und zum größten Familienunternehmen des Landes aufsteigen,