Wieder schrieben die Mönche einen Bericht, doch nie wurde ein Täter gefunden, nie einer bestraft.
„Was sollte denn die Attacke auf die Höhle?“, frage ich.
„Es ging halt gegen die Christen, gegen das Kreuz.“ Pater Bertie sagt es in einem Ton, als sei das doch irgendwie logisch.
Die Mönche haben lange versucht, ein halbwegs freundschaftliches Verhältnis zu den Nachbardörfern zu entwickeln. 1996 schickten sie eine Delegation nach Beni Salema, das am nächsten gelegene Dorf. Sie fragten die Bewohner, was sie am dringendsten bräuchten. Eine gute Schule, lautete die Antwort, man habe derzeit nur zwei elende Klassenräume. Die Klosterbrüder hatten einen Architekten und zwei Ingenieure in ihren Reihen, so bauten sie gratis neue Unterrichtszimmer, richteten eine Bibliothek ein und statteten sie gleich mit Büchern aus. Dann kamen sie auf die Idee, an Weihnachten und Ostern bis zu hundert Familienoberhäupter einzuladen. Sie servierten ihnen ein festliches Essen und gaben ihnen am Ende noch ein wenig Geld mit auf den Heimweg.
„Goodwill-Aktionen um des lieben Friedens willen“, meine ich, „Diplomatie mit christlichem Touch.“
„Das ist die Interpretation eines westlichen Autors“, sagt Pater Bertie lächelnd. „Für uns war es schlicht ein Gebot der Nächstenliebe.“ Der Kontakt habe lange ganz gut funktioniert, meint er abschließend. Aber seit einigen Jahren würden immer weniger Menschen den Einladungen Folge leisten. Bei all der Hitze, die ein Großteil des Jahres im Wadi Natrun herrscht – das Klima um die Klöster herum scheint frostiger zu werden. Es ist, als braue sich wieder etwas zusammen.
Im Kloster St. Pischoi ist heute ein besonderer Tag. Genau zwanzig Jahre ist es her, dass Pater Bejimi ordiniert wurde. Er sagt es ganz beiläufig, als wir durch den Hof zu dem Friedhof spazieren, auf dem auch er dereinst seine ewige Ruhe finden wird. Der heutige Tag, so eröffnet er mir, sollte eigentlich ein Wendepunkt in seinem Leben werden. Er hatte vor, seine Mitbrüder ein letztes Mal um sich zu versammeln, um sich von ihnen zu verabschieden. Er war als Seelsorger für sieben Jahre nach Kairo geschickt worden, dann hatte er – seiner Sprachkenntnisse wegen – sieben Jahre in Österreich, drei Jahre in Deutschland und ein Jahr in Tschechien als Diaspora-Priester gewirkt. Das waren 18 Jahre Pfarrdienst in der Welt, die er doch eigentlich hinter sich lassen wollte. „Es reicht nun wirklich, es reicht!“, platzt es aus ihm heraus. „Ich möchte eigentlich nichts lieber als eine Höhle ganz für mich allein.“
Der 48-Jährige hat all die Jahre stets nach einer Eremitage gesucht. Zuletzt landete er in den französischen Pyrenäen, acht Kilometer vom Benediktinerkloster Saint-Michel-de-Cuxa entfernt. Durch den Tod eines katholischen Einsiedlers war eine Felsenhöhle in Traumlage frei geworden: 200 Meter über einer Straße versteckt, mit einem rauschenden Fluss tief unten im Tal. Doch als er sich durch den Wald dorthin kämpfte, schossen Jäger auf ihn, weil sie ihn für ein Wildschwein hielten, nur mit viel Glück entkam er ihnen. Und gerade einmal einen Tag später erfuhr er von Mönchen, gleich nach seiner Besichtigungstour habe sich ein großes Stück Fels gelöst und die ganze Höhle zum Einsturz gebracht. War das ein Fingerzeig Gottes zur richtigen Zeit? War es die Warnung vor dem selbst erkorenen Weg?
Koptische Mönche beim Gebet. Viele junge ägyptische Christen suchen ein Leben in der Einsamkeit der Wüste.
Pater Bejimi gab sich noch immer nicht geschlagen. Eine Woche vor seinem 20. Jubiläum fuhr er ins Kloster St. Anton, das nahe dem Roten Meer in der Wüste liegt. Dort wollte er in dem Gebirge leben, das hinter dem Konvent aufsteigt, ganz allein mit Gott und sich selber, der Welt entzogen bis zu seinem Tod. Er brauchte dazu die Genehmigung von Bischof Yostos, dem Oberhaupt von St. Anton – doch von diesem kam ein hartes Nein. Offensichtlich fürchtete der Bischof, dass diese Art von radikaler Isolation auch andere auf den Gedanken bringen und die Klostergemeinschaft dadurch schwächen würde.
„Dies war nun wirklich mein letzter Versuch“, sagt Pater Bejimi. „Ich werde mich endlich fügen.“ Er wird vertrauen auf das, was ihm der Abt von St. Pischoi und sein spiritueller Begleiter empfehlen. Sie gestehen ihm eine Art „gemäßigte“ Isolation im Kloster zu. Dabei lebt der Mönch zwar weiterhin in einer Zelle, jedoch vom Trakt der anderen getrennt. Keine Besuche mehr, keine Teilnahme an den gemeinsamen Gebeten und Messen. Um etwas von seinem Traum zu retten, wird er den Weg gehen, den man ihm weist. „Ich habe gelernt, auf Gott zu vertrauen“, sagt Pater Bejimi, „statt meine inneren Wünsche zu erfüllen.“
Wir steigen über Treppen hoch auf das Dach der Festung, in der sich die Mönche einst vor den Räubern verschanzt haben. Von hier aus haben wir einen weiten Blick hinaus aufs Land. Meine Augen gleiten an der Mauer entlang, die sich schnurgerade durch die graubraune Wüste zieht. Wie weit kann er dieser verteufelten Welt noch entrinnen, die immer wieder nach den Mönchen greift?
Die muslimischen Nachbarn, sagt er, hätten nur mit Widerwillen gesehen, wie das Kloster sich ausgebreitet habe. Es habe Neid hervorgerufen, dass St. Pischoi, wie auch die anderen Konvente, eine leistungsfähige Oasenwirtschaft aufgebaut hatte. „Sie haben an den Enden unserer Mauer vier Moscheen gebaut, je eine in jeder Himmelsrichtung, um dadurch jede weitere Expansion zu stoppen. Ja, die Minarette wirken wie Verteidigungstürme.“
Pater Bejimi hat schon ein paar Mal versucht, außerhalb der Mauer durch die Dörfer zu spazieren. Da hätten sie ihn zur Rede gestellt und gefragt, was er hier wolle. Und sie hätten ihm klargemacht, dass er in ihrem Ort nichts zu suchen habe. „Eines Tages werden sie kommen“, sagt er, so wie damals die Berber und Beduinen. „Sie warten nur auf ein Signal. Man spürt es, wenn man durch ihre Dörfer geht. Man kann es aus ihren Gesichtern lesen.“ Sind die Mönche auch in ihrem Denken eingemauert? Oder haben sie ein Gespür, das andere nicht haben? Es gibt ja auch die Lehre, dass Angriff die beste Verteidigung sei.
„Bereiten Sie sich etwa auf einen Überfall vor?“, frage ich.
„Nein, nein“, sagt er lächelnd. „Was sollen wir denn machen?“
„Sie warten also einfach auf den Tag X?“
„Wir wissen, dass es passieren wird“, antwortet er. „Der Boden dafür ist bereitet.“
Er sagt es so kurz und schlicht, als sei es die sicherste Sache der Welt.
KAPITEL 3 · LASSA – LIBANON
„Wir haben vor euch keine Angst“
Wie der Streit um eine kleine Kapelle eskalierte
Was ist denn das?“, frage ich erstaunt. „Kanonen mitten in einer Berglandschaft? Auf wen soll hier geschossen werden?“ An einem Hang direkt neben der Straße, auf der wir fahren, zähle ich sage und schreibe acht Panzer, in Reih und Glied aufgestellt. „Bloß nicht fotografieren!“, rufen meine Begleiter, als hätten sie meine Gedanken erraten.
Wir fahren ein paar hundert Meter weiter und kommen zu einem Landhaus mit direktem Blick auf die Panzerrohre, das schon bessere Tage gesehen hat. Es ist eine alte Sommerresidenz, erfahre ich. „Sie wurde um 1850 für den hiesigen Bischof gebaut. Nach 1950 fanden hier Bildungsseminare statt. Seit 2005 aber steht das Gebäude leer.“ Irgendwie, so ahne ich, muss das mit den Panzern da drüben zu tun haben. In der Tat kommen jetzt Soldaten auf uns zu, eine 30-Mann-Truppe campiert in der alten Villa. „Bloß nicht fotografieren!“, rufen meine Begleiter. Zum Glück weiß der Kommandeur Bescheid, dass wir zu einer Ortsbesichtigung kommen. Er stellt uns zwei seiner Leute an die Seite, damit wir auch wirklich keinen falschen Schritt tun.
Ich streife mit meiner Eskorte durch hohes Gras und Gebüsch. „Was ist denn das?“, entfährt es mir schon wieder. „Wer hat dieses Ungetüm gebaut?“ Gut 100 Meter hinter der zweckentfremdeten Villa ragt ein 20 Meter hoher Stahlmast in die Höhe, vier Lautsprecher sind an ihm angebracht. Die Soldaten und meine Begleiter schauen sich bedeutungsvoll an. „Das Ding steht schon seit zehn Jahren hier“, bekomme ich zu hören. „Muslime aus der Gegend haben es gebaut. Bloß nicht fotografieren!“
Ich