Peter Schmidt

Rundgang nur mit Korb


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er sich »Wir sind von Neubrandenburg hergezogen wegen der Arbeit. Die haben hier einen Montageleiter gesucht und ich bin dafür ausgesucht worden.« Er nickte interessiert und wurde dann förmlich: »Also aktuell haben wir keinen freien Garten und auch noch ein paar offene Anträge, die vorrangig bedient werden müssen, aber ich nehme ihre Daten natürlich gern auf und sobald sich etwas ergeben sollte, dann werde ich mich bei Ihnen melden.« Er beschrieb mit seinem Kugelschreiber einen ausgerissenen Zettel kariertes Blockpapier und legte es gewissenhaft unter den Berg von anderen Anträgen. ›Wie kommen wir nur ganz nach oben?‹ fragte er sich und dann fragte er den Spartenvorsitzenden »Wann können wir dann in etwa mit einer Zusage rechnen?« Dieser überschlug im Kopf seine Rechnung und veröffentlichte dann seine Mutmaßungen: »Sie sind jetzt auf Platz dreizehn. Erfahrungsgemäß springen immer ein paar Leute ab, wenn wir uns melden. Aber ich denke, wenn der sechste oder siebente Garten frei wird, dann könnte es was werden.«

      »Wie lange wird das dauern?«

      »Na so Pi mal Daumen etwa zwei bis drei Jahre. Wenn nicht gerade ein Wunder geschieht, brauchen Sie vorher nicht mit einer Zusage rechnen.« Er wirkt mitfühlend »Ich habe fünf Jahre gewartet.«

      »Vielen Dank.« Die Enttäuschung war ihm anzumerken. Was sagte er jetzt zu Hause? Er wollte das zarte Gewächs der Euphorie doch nicht mit den realen Tatsachen wieder vernichten. Er lief mit summenden Gedanken aus dem Garten Nummer 31 und der Vorsitzende spielte wieder Regenwolke auf dem Zwiebelbeet und für die Blumen war es wohl so, als ob zwischen zwei Schauern kurzzeitig die Sonne durchgeblickt hatte.

      *

      »Macht ihr Überstunden?«, fragte Gerda, als er die Wohnungstür aufschloss und war sichtlich erleichtert. »Nein, ich war in der Gartensparte und habe eine Parzelle beantragt.«

      »Das ging ja schnell. Wann bekommen wir denn den Zuschlag?«

      »Wir sind auf Platz Nummer dreizehn. Also im schlechtesten Fall müssen noch dreizehn Gärten frei werden und dann haben wir sicher einen. Wenn jemand abspringt, sind wir schon eher dran.« Gerda nahm ihm seinen gespielten Optimismus nicht ab. »Zumindest haben wir jetzt einen Antrag laufen.« Sie nickte gedankenverloren. »Gab es sonst noch was Besonderes?«

      »Der Kombinatsleiter kümmert sich um eine Arbeit für Dich. Er hat gute Kontakte.«

      »Kontakte, die er freitags immer pflegt?« Ihre Laune hob sich etwas und das erleichterte ihn ungemein. »Wo sind die Kinder?«

      »Auf dem Spielplatz. Heiko hat seine Klassenkameraden und Jana spielt mit ihren Freundinnen aus dem Kindergarten. Ich habe heute frisches Brot in der Kaufhalle bekommen.«

      »Warst du um 13 Uhr da?«

      »Nein, schon eher. Ich habe Frau Heinrich von ganz unten im Hausflur getroffen und die hat mir den Tipp gegeben, schon zwanzig Minuten eher hinzugehen. Denn wenn es um 13 Uhr frisches Brot gibt, dann sind vorher die Körbe alle weg. Und ohne Korb darf man nicht in die Kaufhalle.« Er freute sich und strich ihr über ihr müdes Gesicht. »Rundgang nur mit Korb!« sagte er spöttisch und drückte sie schmunzelnd an sich.

      *

      Die Sonne beschien den Parkplatz vor dem Kombinat, der sich nach und nach mit Autos und Mopeds füllte. Eine Amsel sang aus dem Pappelwald. Axel Weber stellte seine Simson neben dem Fahrradständer ab. Lautes Motorengeheul überschwemmte den Parkplatz und kam direkt auf ihn zu. Eine große silberne ETZ ließ sich ausrollen und steuerte den Stellplatz neben ihm an. Der Fahrer winkte ihm zu, war aber durch das abgedunkelte Visier seines Integralhelms nicht zu erkennen. ›Er sieht die Welt, aber die Welt sieht ihn nicht‹, dachte Axel und war gespannt wer unter dem Helm hervorkriechen würde. Als sich der Motor des Motorrades beruhigt hatte, sprang sein Fahrer ab und lüftete das Geheimnis um seine Person. Aus einem anonymen Verkehrsteilnehmer wurde eine ihm vertraute Person: Jürgen Krugmann. »Na warst du gestern beim Genossen Blume?« Er tarnte seine Neugier durch Hilfsbereitschaft. »Ja, aber so erfolgreich war ich nicht.« Krugmann verzog sein Gesicht, sodass er keine weitere Frage zu stellen brauchte. »Wir sind auf Platz dreizehn gelandet. Wenn wir Glück haben, springt noch jemand ab und wir kommen eher dran.«

      »Soll ich mal mit ihm sprechen?« Er wirkte fürsorglich und war scheinbar wirklich daran interessiert, ihm weiterzuhelfen.« Das machte Eindruck. ›Irgendwie kommt man hier leichter mit den Leuten in Kontakt als in Mecklenburg.‹ Er wertete das als einen neuen kleinen Fortschritt. »Glaubst du, dass man da noch an der einen oder anderen Schraube drehen kann, um die Zuteilung zu beschleunigen?«

      »Was du machen kannst, ist noch mal hingehen und ihm Folgendes sagen: du hast zwei Kinder, würdest auch einen verwilderten Garten nehmen und bist bereit, die allgemeinen Anlagen mit zu pflegen.«

      »Die allgemeinen Anlagen pflegen?«

      »Ja, dazu werden sowieso alle verpflichtet. Du musst 40 Stunden im Jahr allgemeine Arbeiten rund um das Pumpenhaus arbeiten. Umgraben oder harken. Möglicherweise kannst du auch zum Rasenmähen auf den gemeinschaftlichen Flächen herangezogen werden.«

      »Und warum soll ich ihm das dann extra sagen?«

      »Dann sieht er, dass du dich auskennst. Das kommt gut an. Ein Mann, der die Arbeit liegen sieht und nicht wartet, bis sie die anderen machen.« Das war wieder Auftrieb. Er fühlte sich wie die Kohlensäure in einer Limonadenflasche. »Ach ja, und wenn du auf Nummer sicher gehen willst, dann habe ich noch einen Tipp für dich: Er trinkt gern Rosenthaler Kadarka.«

      »Danke. Solche Leute wie du sind rar gesät.« Er winkte ab. »Schon gut, für einen alten Schweißerkollegen …« Könnte der Morgen besser beginnen als mit dem Blick über eine Wand, die bis vorhin noch ein unüberwindbares Hindernis war? ›Beziehungen schaden nur dem, der keine hat.‹ dachte er und lachte zufrieden in sich hinein.

      *

      »Haben wir noch eine Flasche Rosenthaler Kadarka?« Gerda war überfragt. »Ich glaube nicht. Warum?«

      »Wir könnten sonst eher an einen Garten kommen. Der Spartenvorsitzende trinkt gern Rotwein und das soll wohl so etwas wie Schmierseife sein, damit er sich eher für uns entscheidet.« Sie wurde enthusiastisch und überlegte. »Hier in der Kaufhalle brauchen wir wohl erst gar nicht nachfragen. Die haben bestimmt ein paar Flaschen hinten stehen, aber wieso sollte sie die gerade an uns verkaufen, wenn sie von anderen Leuten irgendwelche Vorteile erlangen können.«

      »Wir brauchen etwas zum Anbieten, zum Beispiel frisches Gemüse aus dem Garten oder Erdbeeren. Dann läuft es bestimmt besser.«

      »Das ist ein klassisches Paradoxon: Wir benötigen eine Flasche Rotwein, um möglicherweise einen Garten zu bekommen. Und die Flasche könnten wir wohl eher bekommen, wenn wir etwas aus dem Garten zum Tausch hätten.« Beide schüttelten den Kopf. Dann hatte er eine Idee. »Kann nicht deine Mutter in Neubrandenburg mal losziehen und bei Bärbel in der Kaufhalle in Monckeshof nachfragen?«

      »Wir können Bärbel auch direkt schreiben, denn sie wollte sowieso mal gern wissen, wie es uns hier gefällt.«

      Eine Stunde später warfen sie einen Brief an Bärbel Kolley in Neubrandenburg in den gelben Briefkasten an der Schmiedeberger Straße ein, der im Nachmittagsschatten vor sich hindöste und geduldig auf eingehende Postsendungen wartete.

      *

      Nach einer Woche hatten sie einen Paketzettel in der Post. »Abholung ab morgen. Nicht jedoch vor 14 Uhr.« befahl eine strenge Handschrift. Am darauffolgenden Tag betrat Axel Weber um 16 Uhr und 10 Minuten das Postamt in der Torgauer Straße. Die Postangestellte bemühte sich erst gar nicht, zu lächeln. Dafür wurde sie nicht bezahlt. Er tauschte einen Paketzettel gegen ein Paket und erkannte sofort die Handschrift ihrer alten Freundin Bärbel aus der Kaufhalle in Monckeshof. ›Die alten Seilschaften funktionieren auch über die Entfernung.‹ Behutsam lud er das Paket auf seine Simson und fuhr so vorsichtig wie bei Glatteis nach Hause. Gerda wartete und beide öffneten sie zusammen den Pappkarton. Ein Brief, zerknüllte Zeitungen als Dämmmaterial und zwei Flaschen Rotwein. Gerda öffnete das Briefkuvert und ließ einen schweren Seufzer. Unter Tränen begann sie zu lesen. »Ihr geht es gut und die zweite Flasche sollen wir auf unseren Garten trinken. Wenn wir wieder in Neubrandenburg