Peter Schmidt

Rundgang nur mit Korb


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verlesen. Kurz darauf erschien Frau Müller vor der Eingangstür und gab ihm ein Zeichen, dass er an den Hintereingang kommen sollte. Sie kassierte 13,50 Mark und deutete auf einen 50-Kilo-Sack mit frisch abgefülltem Zement, der neben der Laderampe lag. An der Wand lehnten ein Spaten und eine Hacke. Ein kleines Häufchen glückliche Fügung. »Den Rest habe ich aufgeschrieben. Vielleicht bekommen wir ja nächste Woche wieder was. Aber versprechen kann ich nichts.«

      »Vielen Dank, Frau Müller. Wie kann ich das nur wieder gut machen?«

      »Wo haben Sie ihren Garten?«

      »Die Anlage heißt Karl Liebknecht und liegt am Schleifbach.«

      »Dann könnten Sie mich nach Hause fahren. Das liegt doch so gut wie auf dem Weg.« Er lud den Zement und das Werkzeug auf den Hänger. Sie holte ihre Jacke aus dem Aufenthaltsraum. »Schönen Feierabend rief sie in den Verkaufsraum.«

      »Schönen Feierabend.« klang es wie ein Echo zurück.

      *

      Jürgen Krugmann saß vor seiner Gartenlaube in einem Campingstuhl und trank eine Flasche Bier. »Ach Axel, da bist du ja.«

      »Hilfst du mit anfassen.«

      »Na klar doch.« Sie trugen den Sack in seinen Schuppen. »Möchtest du auch einen Schluck Bier?«

      »Nein danke, ich bin doch mit dem Auto.«

      »Vielleicht das nächste Mal. Als Dankeschön für deine Mithilfe.«

      »Ach, ich habe noch viel mehr offen bei Dir.«

      »Wann fängst du mit dem Umgraben an?«

      »Morgen nach der Arbeit. Irgendwie habe ich das Gefühl, das es jetzt richtig losgehen kann.«

      *

      Am nächsten Morgen begrüßte ihn der Kollege Krisch in der Umkleidekabine: »Genosse Liedke hatte gestern Nachmittag mal nach dir gefragt. Vielleicht ist es nicht verkehrt, wenn du dich mal blicken lässt.« Zuerst durchzuckten ihn Gewitterblitze, dann wurde ihm kalt und gleichzeitig heiß. Er litt augenblicklich unter einer besonderen Art von Polarfieber, das nur ein schlechtes Gewissen hervorrufen kann. Er war aufgeflogen. Er, der neue Kollege. Der Brigadeleiter. Ein Vorbild für seine Jugendbrigade. »Was hat er denn gewollt?« Kollege Krisch schüttelte den Kopf: »hat er nicht gesagt.«

      »Und was hast du gesagt?« Axel spürte, wie unsicher seine Stimme klang. »Ich habe gesagt, du wärst unterwegs und dann ist er wieder gegangen.«

      Wie ein Dampfkessel stieg er die Treppen zum Direktorat hinauf. Ein Dampfkessel, ohne Ventil. Er fühlte, wie er neben sich stand. Und dieser Mensch an seiner Seite klopfte an die Tür und von weit her aus dem Inneren des Büros schallte ihm ein »Herein« entgegen. Mechanisch öffnete er die Tür und das gewohnte Bild des am Schreibtisch sitzenden Kombinatsleiters wirkte wieder auf ihn ein.

      »Ah Genosse Weber, treten Sie doch näher.« Wie sollte er seine Freundlichkeit deuten? Spielte er seinen Triumph aus? Dann begann er, sachlich zu werden: »Ich habe mich umgehört und in Erfahrung gebracht, dass der Thälmannkindergarten in der Straße des Friedens eine stundenweise Aushilfe benötigen kann. Vielleicht wäre das was für Ihre Frau.« Es ging also gar nicht um gestern. Es ging um Gerda. Doppelt gut. Er fühlte, wie der Druck nachließ. Und dieser Druckabfall brachte ihm jene Erleichterung wie ein Dammbruch dem aufgestauten Flusswasser. Außerdem kann Gerda arbeiten gehen und kommt so unter Leute. Ein großer Schritt in die richtige Richtung. »Danke für Ihre Bemühungen, Herr Liedke.«

      »Keine Ursache, das Wohlergehen meiner Mitarbeiter liegt mir persönlich am Herzen.« Er sparte wie gewöhnlich mit Mimik und Gestik jeder Art. »Sie soll einfach mal vorsprechen und alles Weitere vor Ort klären.« Als er die Treppe hinunterlief, war ihm nach Singen zumute und das Gefühl der Schwerelosigkeit zog sich bis zum Feierabend hin.

      *

      »Du kannst im Kindergarten aushilfsweise arbeiten, wenn du willst.« Seine Begeisterung war ansteckend. Gerda hob beide Hände vor ihren Mund und ihre Augen signalisierten Freude. »Der Kombinatsleiter hat es für dich in Erfahrung gebracht. Wenn du willst, kannst du mal hingehen und mit denen sprechen.«

      »Das klingt gut, Axel. Dankeschön. Manchmal fällt mir schon die Decke auf den Kopf.« Sie drückte ihn. »Du musst dich nicht beim Postboten bedanken, wenn du hundert Mark im Brief hast, sondern beim Absender.«

      »Mir steht aber gerade nur der Überbringer der Nachricht zur Verfügung.«

      »Na dann geht ausnahmsweise auch der Bote.«

      Es klingelte. Er öffnete die Tür. »Guten Abend Frau Müller, kommen Sie doch bitte herein.« Sie winkte bescheiden ab: »Nein, nein, ich will Sie nicht stören. Ich wollte nur sagen, dass ich heute noch eine Schippe, eine Harke und noch einen Spaten zurückgelegt habe. Unser Hauptlager hatte noch einen kleinen Vorrat und den habe ich ihnen abgeschwatzt. Also können Sie am besten Montagabend kurz nach um sechs einfach wieder vorbeikommen.« Sie lächelte stolz und zufrieden. Gerda lachte zurück: »Danke Frau Müller. Aber wie können wir das wieder gut machen?« Sie winkte erneut ab: »Das ist schon gut. Sie haben so nette Kinder, da gibt man lieber denen etwas, die gut erzogen sind.« Dankeschön Frau Müller und noch einen schönen Abend und viele Grüße an ihren Mann.«

      »Der ist heute Abend beim Fußball und ich genieße deshalb gerade die Ruhe.«

      »Eine nette Frau.« sagte Gerda, als die Schritte von Frau Müller immer noch im Treppenhaus schallten.

      *

      »Wie sollen wir das schaffen?« Gerda wirkte überfordert, als sie am Samstag Mittag wieder an der Gartenhecke standen. Ihr Land war überwuchert von Unkräutern und nutzlosen Gewächsen jeder Art. Ein grüner Schrottplatz. »Ganz einfach. Wir fangen am Anfang an und hören am Ende auf. Denn eine Sache erledigt sich nicht dadurch schneller, wenn man lange drüber redet.« Dann begannen sie damit, die wuchernden Sträucher zu entfernen und auf einen großen Haufen zu legen. Er zog an den halbhoch gewachsenen Büschen und half mit dem Spaten nach, wenn sich die Wurzeln zu fest im Boden verankert hatten. Gerda zupfte am Unkraut, das sich nach Kräften wehrte, indem es sich in der Erde festklammerte. Heiko und Jana sammelten Kieselsteine in einen Drahtkorb.

      Aus dem Garten auf der anderen Seite des Schotterweges sah ihnen ein Mann zu. Er blickte durch eine Hornbrille in die Welt. Der Zigarrenrauch verhüllte zeitweilig sein Gesicht. »Ihr seid wohl die mutigen Optimisten, die es mit dem Garten aufnehmen wollen?« Gerda unterbrach ihre Arbeit nicht ungern und entgegnete: »Wir lassen uns nicht so leicht unterkriegen.« Der Mann nahm dies als Einladung zu einem Gespräch entgegen und kam an die Gartenhecke. Der lockere Rauch seiner Zigarre folgte ihm wie der Dampf einer davon eilenden Lokomotive. »Da habt ihr euch aber was vorgenommen. Eure Vorgänger haben ziemlich schnell das Handtuch geschmissen.« Jetzt mischte sich auch Axel mit ein. Er drückte Knie und Rücken durch und kam an die Grenzbepflanzung gelaufen: »Wir sind ja nicht wie unsere Vorgänger. Und erst wenn es kompliziert wird, zeigt sich der Charakter.« Diese Worte zauberten ein Lächeln in das Gesicht des fremden Mannes in roter Sporthose aus Baumwolle. »Axel Weber.« sagte er freundlich und reichte die Hand über die vertrockneten Heckenbüsche, die auf seiner Kniehöhe das Wachsen eingestellt hatten. »Das ist meine Frau Gerda und die fleißigen Steinesammler da hinten sind unsere Kinder Heiko und Jana.«

      »Schmidt. Dietmar Schmidt.« erwiderte er ebenso freundlich und drückte mit seiner Hand die Finger von Axel Webers rechter Hand zusammen. »Meine Frau Waltraud ist gerade in der Laube und kocht Mittag. Wir wohnen im Sommer das ganze Wochenende immer hier draußen. Das ist schöner als die staubige Neubaublockluft.« Axel stieg auf seine Worte ein: »Ja das ist eine echte Erleichterung.«

      »Auf gute Nachbarschaft, Kollege Weber.«

      »Auf gute Nachbarschaft, Kollege Schmidt.« Er runzelte die Stirn: »Und was wollt ihr denn jetzt eigentlich mit dem Garten anstellen?«

      »Ein paar Beete und ein bisschen Rasen für die Kinder zum Spielen.«

      »Und wo wollt ihr euer Werkzeug unterstellen?« Das war eine gute Frage. Denn jeden Tag immer alles mit dem