Johannes Sachslehner

365 Schicksalstage


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unter Androhung des Todes „umgedreht“ worden sei, findet kein Gehör; sein Pflichtverteidiger Gioacchino Basevi kann in dieser Farce eines Gerichtsverfahrens nichts mehr für ihn tun. In Wien hat zwar Kaiser Franz I. am 12. Februar Staatskanzler Metternich angewiesen, „alle tunliche Verwendung“ für die Befreiung und Rettung Hofers zu unternehmen; da man Napoleon jedoch so knapp vor der Hochzeit mit Erzherzogin Marie-Louise nicht „wehtun“ will, verschleppt man geschickt die Angelegenheit und informiert zu spät den österreichischen Botschafter in Paris, den Fürsten Schwarzenberg; auch Erzherzog Johann, an den Hofer einen letzten Hilferuf gerichtet hat, „vergisst“ einfach seinen Tiroler Mitstreiter – die beiden Habsburger opfern ihn für das Staatsinteresse.

      Andreas Hofer zeigt sich bei der Verkündung des Urteils ruhig und gefasst; seinen letzten Brief schreibt er an den ehemaligen Schützenmajor Josef Pühler in Neumarkt, darin nimmt er Abschied von seiner Familie und schließt mit den Worten: Ade meine schnede Welt, so leicht khombt mir das Sterben vor, das mir die Augen nass werden, geschrieben um 5 Uhr in der freue, Und um 11 Uhr Reiss ich mit der Hilfe aller heilig zu gott.

      Um 10.45 Uhr treffen die Grenadiere des Exekutionskommandos im Gefängnis ein. „Fest und aufrecht, wie der Tapfere sich stets gezeigt“ (Egmont Fehleisen), begleitet von seinem Beichtvater Propst Giovanni Manifesti, tritt Hofer aus seiner Zelle. In den Händen hält er ein mit Blumen geschmücktes Kruzifix. Er bittet noch, seinem Mitgefangenen und Sekretär Kajetan Sweth etwas Geld – sechs italienische Scudi – und ein paar Zeilen schicken zu dürfen, was ihm auch gestattet wird: Auf einen Zettel notiert er: Lieber Kajetan, empfange das letzte Vermögen, das ich habe. Lebe wohl und bete für mich. Abgelehnt wird dagegen seine Bitte, nochmals seine inhaftierten Landsleute sehen zu dürfen. Vor dem Gefängnis übergibt Hofer, so erzählt es sein Biograf Fehleisen, seinem Beichtvater noch einen 500-Gulden-Bancozettel, den dieser den gefangenen Tirolern übergeben soll, sie mögen, so seine Bitte, für seine Seelenruhe beten. Der Weg führt an den Zellen der gefangenen Landsleute vorbei; viele knien nieder und bitten um seinen Segen oder strecken ihm auch nur die gefesselten Hände entgegen.

      Nachdem sie auf der Bastei der Porta Ceresa angekommen sind, bilden die Grenadiere ein Viereck; in der Mitte nimmt Andreas Hofer Aufstellung. Das Todesurteil wird noch einmal verlesen. Er weigert sich niederzuknien, auch die angebotene Augenbinde weist er entschieden zurück – er sieht den sechs Soldaten, die nun ihre Gewehre auf ihn anlegen, in die Augen und kommandiert selbst: „Gebt Feuer!“ Nach den ersten sechs Schüssen sinkt er nur auf die Knie, auch nach weiteren sechs Schüssen lebt er noch immer; der kommandierende Offizier, ein Luxemburger namens Michel Eiffes, tötet ihn schließlich mit einem Gnadenschuss aus nächster Nähe.

      Der Leichnam Hofers wird auf dem Friedhof der Kirche San Michele in Mantua beerdigt; in der Nacht zum 10. Jänner 1823 exhumieren Tiroler Kaiserjäger aus Bozen die sterblichen Überreste und bringen sie nach Innsbruck, wo sie in der Hofkirche beigesetzt werden – Kaiser Franz I. reagiert mit strenger Bestrafung der an dieser „Aktion“ beteiligten Offiziere und Soldaten. Das Lied Zu Mantua in Banden (Text: Julius Mosen/​Musik: Leopold Knebelsberger), das die Hinrichtung beschreibt und Hofer zu einem deutschen (!) Nationalhelden stilisiert, wird 1948 zur offiziellen Hymne des Landes Tirol erklärt; bis heute scheint diese eigentümliche deutschnationale „Färbung“ der Landeshymne niemanden zu stören.

      Napoleon selbst ordnete die rasche Hinrichtung an: der „Märtyrertod“ Andreas Hofers in Mantua.

       Gründung der theologischen Fakultät an der Universität Wien

      Als Papst Urban V. am 18. Juni 1365 in Avignon die Errichtung des studium generale in Wien bestätigt und die aufstrebende habsburgische Residenz damit in die Reihe der Universitätsstädte Europas tritt, haftet diesem Gründungsakt ein schwerer Schönheitsfehler an: Die Alma Mater Rudolphina hat keine theologische Fakultät zugesprochen bekommen – das Wichtigste fehlt also, die neue Universität in Wien ist unvollständig, wohl ein Schachzug Kaiser Karls IV. aus dem Hause Luxemburg, der die 1348 gegründete Universität Prag vor der unliebsamen Wiener Konkurrenz schützen will.

      Es ist nun Herzog Albrecht III. (1349/​1350 – 1395), einer der jüngeren Brüder Rudolf „des Stifters“, aufgrund seiner eigenwilligen Haartracht besser bekannt als „Albrecht mit dem Zopf“, der im Jänner 1384 bei Papst Urban VI. in dieser Causa vorstellig wird: Der Pontifex möge doch auch für Wien eine theologische Fakultät zulassen. Urban VI., der im Gegenzug auf die Unterstützung der Habsburger angewiesen ist, kommt der Bitte aus Wien rasch nach: Am 21. Februar 1384 unterzeichnet er in Neapel eine Bulle, in dem er die Gründung von 1365 bestätigt und zusätzlich die Errichtung einer theologischen Fakultät bewilligt. Durch Vermittlung seines Kanzlers, des Bischofs Berthold von Wehingen, gelingt es Herzog Albrecht III., zwei angesehene Universitätslehrer für die neue Wiener Fakultät zu gewinnen: den Hessen Heinrich Heimbuche von Langenstein (1325 – 1397) und den aus Niedersachsen stammenden Heinrich Totting von Oyta (ca. 1330 – 1397). Heinrich von Langenstein, ein treuer Parteigänger Urbans VI., der bis 1382 den Lehrstuhl für Philosophie an der Sorbonne innehatte, zeichnet sich, dem Vorbild Paris folgend, als Reformator der Wiener Universität aus; beinahe noch mehr als die Theologie interessieren ihn jedoch Mathematik und Astronomie, so veröffentlicht er 1386 eine Studie Quaestio de cometa, in der er sich scharf gegen den Aberglauben der Astrologen ausspricht. Sein Freund Heinrich Totting von Oyta, auch er Lehrer an der Sorbonne und einst während einer Professur in Prag der „Ketzerei“ verdächtigt, gilt als mitreißender Prediger; beide „Gründungsprofessoren“ der Wiener theologischen Fakultät treten für ein Konzil ein, das die dringend anstehende Reform der Kirche in die Wege leiten soll; beide sind sie im Stephansdom begraben.

       Die General-Zensur-Verordnung

      Aufgerüttelt von den Ereignissen im revolutionären Frankreich, reagieren Kaiser Franz II. und seine Polizeibeamten mit dem Versuch einer totalen Überwachung aller publizistischen Äußerungen: Das Hofdekret betreffend die Zensurs Vorschrift, später allgemein bekannt als General-Zensur-Verordnung, enthält eine erschöpfende Aufstellung aller Zensurregelungen der damaligen Zeit und wird zur Grundlage der Zensurpraxis in den folgenden Jahrzehnten – kein Buchdrucker und kein Buchhändler soll sich mehr an den bestehenden Gesetzen „vorbeischleichen“ können, wie es in der Präambel heißt.

      So sieht die neue Verordnung in Censurssachen vor, dass Buchhändler, die ein verbotenes Buch ohne eigenen Erlaubnisschein des General-Direktoriums verkaufen, eine Strafe von 50 Gulden pro verkauftem Exemplar zu bezahlen haben, im Wiederholungsfall droht ihnen neben dieser Geldstrafe auch der Verlust der Gewerbeberechtigung. Und für die Buchdrucker und damit für die Verlage gilt, dass sie nicht das Mindeste in Druck legen dürfen, ohne zuvor das Manuscript in einer leserlichen Schrift und richtig paginiert, auch mit einem weiß gelassenen Rande versehen beim Revisionsamte eingereicht, und die Zulassung vom Zensurdepartement erhalten zu haben. Unterlässt es ein Buchdrucker, das Imprimatur einzuholen, drohen drakonische Strafen: Die gesamte Auflage des Druckwerkes wird konfisziert und eingestampfet, der Übertreter verliert sein Gewerbe und muss für jedes in Umlauf gebrachte Exemplar 50 Gulden Strafe zahlen, verfügt er über dieses Geld nicht, wird er mit Arrest und am Leibe gestrafet – dabei gilt: ein Tag Arrest für jeden Gulden!

      Das Misstrauen der Zensoren ist so groß, dass auch jedes zum Nachdruck vorgesehene Buch wieder bei ihnen eingereicht und mit dem Reimprimatur versehen werden muss, ja, selbst für Kupferstiche, Landkarten und Rissen von Städten, Festungen, Gränzen, Küsten etc. ist die Zensurbewilligung einzuholen. Und noch eine Schikane: Wer Verzeichnisse von verkäuflichen Büchern den Zeitungen beilegen möchte, muss auch diese in zwei gleichlautenden Handschriften beim Bücherrevisionsamt einreichen. Streicht der Zensor ein Buch, muss ihm die Liste vor Drucklegung