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Weihnachtswundernacht 4


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jedenfalls am Telefon von Ihnen breitschlagen lassen, Sie einmal im Monat zu besuchen. Ich bin Ihr … sagen wir mal … Ihr Realitätsbezug, Ihre Verbindung zur Außenwelt. Mehr ist nicht drin.“

      Torgaan lacht laut auf, sodass sich zwei Besucher umdrehen. Einer der Pfleger blickt zu ihnen herüber.

      „Mehr ist nicht drin? Aber das ist mehr, als ich erwarten kann. Das ist fantastisch! Die meisten, die ich anrufe, um einen Kontakt aufzubauen, lassen mich abblitzen:, Tut mir leid’, sagen sie, ,Maßregelvollzug, das ist eine Nummer zu groß für mich.’ Mein letzter Kontakt war ein Pastor. Der ist weggezogen. Und Sie sind gekommen! Ich muss halt nehmen, was ich kriegen kann. Glauben Sie an Gott?“

      Berger ist verblüfft. Diese Frage mitten aus dem Zusammenhang gerissen! Er wirft den Ball zurück.

      „Glauben Sie an Gott?“

      „Klar. Anders kann man diese Scheiße hier doch nicht ertragen, oder? Jedenfalls, ich finde es klasse, dass Sie da sind und mich nachher zum Gottesdienst begleiten.“

      Sie trinken wie auf Kommando einen Schluck Kaffee. Berger fühlt sich etwas besser.

      „Können wir nicht auf das Du übergehen?“, fragt Torgaan plötzlich. „Ich finde das auf die Dauer einfacher. Ich bin Ronald.“

      Er streckt ihm die Hand hin.

      Berger ist überrascht, fühlt sich überrumpelt.

      Eben noch ein Kompliment bekommen und gleich danach: noch mehr Nähe. Ob das Strategie ist? Und wenn schon, früher oder später wären wir vermutlich doch beim Du gelandet.

      Er schlägt ein. Halbherzig.

      „Okay. Ich bin Stefan.“

      Stefan sei vorsichtig! Der Kerl ist raffiniert. Du weißt, dass du zu weichherzig bist. Du bist nicht umsonst in der Verwaltung. Also, das Gespräch bestimmen.

      Sie reden über alles Mögliche: Essen, Sport, Frauen, Politik. Stefan blickt unauffällig auf die Uhr.

      „Ich glaube, es ist Zeit.“

      „Ach ja, der Adventgottesdienst. Schön, dass du mitkommen willst. Obwohl ich immer noch nicht weiß, ob du an Gott glaubst.“

      Berger lächelt.

      „Ja, ich glaube schon an Gott, muss ja was geben, aber bin eher der nüchterne Typ. Mit den Wundergeschichten habe ich so meine Probleme. Man muss die Bibel so stehen lassen und kann nicht alles eins zu eins übertragen. Das finde ich naiv.“

      „Hm, dazu fällt mir eine Menge ein. Ist aber egal. Gehen wir.“

      Der Weg schlängelt sich an einem künstlichen See vorbei und endet an einer kleinen neugotischen Kirche. Drinnen riecht es nach nassen Haaren und nach etwas Süßem. Der Raum ist gut gefüllt. Es soll nachher Punsch und Kekse geben. Dezente Beleuchtung. Ein riesiger Adventskranz schwebt über dem Altar an einer Kette. Zwei Kerzen brennen. Die elektronische Orgel setzt ein. Der Organist, einer der Insassen, spielt I‘m dreaming of a white Christmas. Der Pastor im Talar geht nach vorne, begrüßt alle und sagt dann:

      „Lasst uns das Eingangslied singen, es ist wohl das bekannteste Adventslied: Macht hoch die Tür.

      Die Orgel variiert den Anfang, verliert sich in abstrusen Akkorden und findet wieder zurück. Dann fangen alle an zu singen. Nach den ersten zwei Zeilen wird es unruhig. Einige stoßen sich an, Gemurmel schwebt über den Bankreihen, ein paar Männer lachen verhalten, bis einer prustet. Eine Frau lacht schrill auf und gackert. Wie Wellen pflanzt sich das Lachen fort, bricht sich an den Wänden, schlägt zurück. Ein Meer aus Lachen.

      Der Pastor ist konsterniert, macht stumm den Mund auf, schließt ihn wieder. Dann steht er auf, dreht sich halb empört, halb fragend um. Irritiert hört der Orgelspieler auf.

      In das Schweigen hinein fragt der Pastor: „Ist irgendetwas passiert?“

      Schweigen, das von ein paar leisen Glucksern durchsetzt ist.

      Schließlich schiebt sich ein dicker, bulliger Kerl durch die Bankreihen und geht nach vorne.

      „Also, das ist so, Herr Pastor. Nichts für ungut, aber dieses Adventslied ist spontan ab heute unser Lieblingslied geworden.“

      Der Pastor hebt fragend die Schulter.

      „Na ja“, sagt der Dicke und reibt sich die Hände. „Es ist ja nicht einfach, hier reinzukommen und auch nicht einfach, wieder rauszukommen – für uns. Nicht für Sie. Und dann lassen Sie heute das Lied singen: Macht hoch die Tür. Tja, das ist uns sozusagen aus dem Herzen gesungen. Wir wollen nämlich alle, dass die Türen endlich hochgehen und aufgehen und die Tore sich weit in den Angeln drehen und die Schlüssel in den Schlössern klingeln. Das ist Musik in unseren Ohren und das hat uns eben so … so fröhlich gemacht. Wir haben gar nicht gewusst, dass die alten Kirchenlieder von unseren Wünschen handeln. Und vielleicht hat dieser Typ, der das Lied gedichtet hat, nicht direkt an uns gedacht, aber der Song hat bei uns eingeschlagen. Und wir denken alle daran, dass irgendwann diese Tore für uns aufgeh’n werden, für den einen früher, für den anderen später. Stimmt doch, Leute, oder?“

      Fast alle trampeln mit den Füßen. „Ja, und deswegen mussten wir alle lachen. Nichts für ungut, Herr Pastor.“

      Der Gottesdienst nimmt seinen Lauf, aber er ist anders als sonst. Eine leichte, fröhliche Stimmung liegt über dem Ganzen, selbst die Kerzen scheinen heller zu brennen, als ob Gott beschlossen habe, dass die offenen Tore das Wichtigste im Advent seien.

      Hinterher, nach dem Orgelnachspiel, das sich aus Macht hoch die Tür und Ins Wasser fällt ein Stein zusammensetzt, in einem anderen Rhythmus und mit seltsamen Akkorden, gibt es noch Kekse, Käsestangen und Punsch ohne Alkohol.

      Stefan Berger macht auf Small Talk, fühlt sich unwohl und ärgert sich, dass Ronald Torgaan ihn als „meinen Sozialarbeiter“ vorstellt, und sich über sein neues Lieblingslied kaum beruhigen kann.

      Sie verabschieden sich und Torgaan fragt gleich nach dem nächsten Termin. Stefan wiegelt ab: „Ich ruf dich an.“

      Er geht zur Cafeteria und bekommt seinen feuchten Schirm zurück. Der gleiche Ritus beginnt von neuem, nur umgekehrt: verschlossene Türen, klirrende Schlüssel, offene Türen. Die Elektronik macht die Türen hoch und die Tore weit. Gang über den Hof, die Raucher sind verschwunden, Ausweis zurück, zweimal Summton. Die letzte Tür geht auf.

      Noch nie ist ihm die Freiheit so groß geworden, als er jetzt über die Schwelle tritt. Die alten Texte! Das Lied ist eine Nachdichtung von Psalm 24, so hat es im Gesangbuch gestanden.

      Sein Weltbild, in dem Wunder keinen Platz hatten, ist erschüttert worden. Und als das Tor hinter ihm ins Schloss fällt, denkt er: Vielleicht eine gute Erschütterung.

      ALBRECHT GRALLE

      6. Das Leben, ein Kinderkrippenspiel

      Der Einstieg in meine Kinderkrippenspielkarriere war steil. Ich musste mich nicht erst als wortloser Ochs- oder Esel-Statist zu den besseren Rollen hocharbeiten, nicht den dritten Stern von rechts geben oder die vierte Tanne von links. Ich war auch keiner von vielen im Engelschor. Nein, bereits meine erste Rolle war sehr viel tragender: der zweite Hirte! An meinen Text kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Besonders viel war es wohl nicht und die Worte waren offensichtlich nicht so eindrücklich, dass sie bei mir – geschweige denn dem Publikum – hängengeblieben wären. Ich kann nicht behaupten, dass ich noch heute – schlappe dreißig Jahre danach – darauf angesprochen werde. Immerhin ist mir ein Satz von Hirtenkollege Numero drei in Erinnerung, vielleicht gerade weil er viel zu leise und unverständlich genuschelt aus Schulkamerad Guido herauskam:

      „Seht ihr nicht den Stern dort stehen?“

      Da