sich viele seiner Formulierungen auch so an, als spräche er nur für eine Elite im Arbeitsvolk. Aber sein Projekt ist ehrgeiziger und zwiespältiger. Es ist zugleich ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für diejenigen, die ausgemustert werden oder es bereits sind: So geht der Appell, sich endlich selbst zu versorgen, mit der Geste einher, so werde Gesellschaftsgestaltung für die Einzelnen möglich. Und es ist ein Vorschlag an die Regierung, dass sie ihre Kampagnen in den Dienst der Wirtschaft stelle und dies als Arbeitsmarktpolitik ausgebe.
Welches ist der neue von Hartz angezielte Arbeiter/Menschentyp? Die Bestimmung erfolgt zunächst in Form einer Drohung:
»Die Job-Revolution […] wird keine betuliche Entwicklung, die Job-Inhaber aus geschützten Positionen überleben könnten. Dramatisch wird sie für jeden, dessen persönliche Lerngeschwindigkeit und Beschäftigungsfähigkeit mit der Dynamik […] nicht mehr Schritt hält.« (10)
Die Worte lassen wenig Zweifel: es ist eine Frage auf Gedeih und Verderb. Im Zentrum steht wie eine Art Rettungsanker ein neues Wort: Beschäftigungsfähigkeit. Als innere Tugend und verantwortliche Potenz taucht auf, dass man am Markt verkäuflich ist, dass Unternehmen einen einstellen, dass man also einen Arbeitsplatz findet. Das ist, in dieser Radikalität gesprochen, neu. Es ist das Diktat, sein Leben selbstbestimmt so auszurichten, dass man zu jeder Zeit und an jedem Ort auf jede Dauer einsetzbar wird wie eine Maschine, die zudem über zusätzliche ›menschliche‹ Emotionen verfügt. Geplant ist mit anderen Worten eine Art ›Super-Fordismus‹, aus dem die gesellschaftlichen (wohlfahrtsstaatlichen) Sicherungen herausgeschraubt sind. Das hat mit den bekannten Formen von Berufsausbildung und entsprechendem Abschluss nichts mehr zu tun. So heißt es kurz und bündig: »Der Wandel hat die Berufswelt abgehängt. Kein Berufsabschluss garantiert noch Beschäftigungsfähigkeit.« (70)
Der Unterordnung der Einzelnen unter ihre Einstellbarkeit, also ihrer neuen Verwandlung in Waren, folgt, dass die Lebendigkeit der Subjektivität in die Außenwelt des Verkaufs gelangt. Dies wird mit dem für das Amalgam von Politik und Werbung angemessenen Können klar und wirksam ausgesprochen.
»Die Elektronik-Kompetenz wird zu einem entscheidenden Wertschöpfungstreiber der Branche. Ein anderer Zukunftstrend ist die Schaffung moderner Kundenwelten. Die neue Autostadt […] bietet Mobilität als Erlebnis, lässt Werte und Wissen sinnlich erfahrbar werden – ohne Auto. Die Automobilmanufaktur Dresden integriert den Käufer in die Vollendung seines persönlichen Fahrzeugs. Das Spitzenprodukt soll zum Event werden. Sich ihn zu gönnen, lässt vielleicht das Geld vergessen.« (35)
Ein ebenfalls aus der Werbung stammendes sprachliches Mittel ist das Wort-Bombardement. Neue Worte oder Worte in ungewöhnlichen Kontexten prasseln so schnell hernieder, dass es ganz ausgeschlossen ist, darüber nachzudenken. Ein Entkommen bietet, einfach mitzumachen. Da gibt es Jobfamilien, Kreativnetze, eine Klusterbildung von Kompetenz und Engagement als Kerne mit Anziehungskraft, Lerninseln, Handlungskorridore, Vorsorgekapitale und ein Feuerwerk neuer Jobs usw. usf. Der neue Menschentyp, der in alledem geformt wird, benötigt
»eine neue Job-Moral, in der sich die Menschen nicht nur als Inhaber ihrer Arbeitskraft verstehen (sozusagen als shareholder ihrer Human Assets), sondern die Verantwortung für ihre Beschäftigungsfähigkeit übernehmen, also sich als ›workholder‹, als Bewahrer und aktive Entwickler ihrer Chancen und Arbeitsplätze verhalten« (41).
Immer deutlicher wird, dass es der je Einzelne ist, der die Misere des Arbeitsmarktes verschuldet hat und entsprechend auch als Einzelner die Lösung vorantreibt, der die Fäden zieht und ziehen muss, will er nicht einfach untergehen. An dieser Stelle ist es an der Zeit, sich an eines der oben vorgeführten Nummerngirls zu erinnern, das mit dem Zeitkonto. Erinnern wir also, dass die Einzelnen ja nur knapp 10 Prozent ihrer Lebenszeit als Arbeitszeit verbringen, so folgt: »Diese verkürzte Zeit kann gerannt, gerackert und auf Biegen und Brechen geleistet werden.« (51) Mit »entsprechender Einstellung und flexiblen Einsatzmodellen ließe sich eine Jahresnutzung von 6000 bis 7000 Stunden erreichen« (ebd.), womit man dann auch die Maschinen und Anlagen viel wirtschaftlicher nutze.
Was wäre die neue politische Kultur, wenn sie die nachwachsende Generation nicht erreichte? Hartz streut entsprechend Anbiederungsworte wie »hipp«, »Flexigesetz«, »fuzzy world« in seine Sätze, wohl um die Zumutbarkeit der neuen Menschenform für die Jugend zu erleichtern. Die Zumutbarkeit ist das zweite Geheimnis der Hartzvorschläge, sie ist das Bindeglied, welches das Sprechen über die Elite der Hightech-Welt mit dem niederen Fußvolk verbindet. Keiner kann mehr die »Nibelungentreue der Solidargemeinschaft erwarten« (51), sodass gilt:
»Zumutbar wird vieles in der 10-Prozent-Gesellschaft. Das Potenzial zur Senkung der Lohnnebenkosten und zur Verminderung der Arbeitslosigkeit ist noch nicht gehoben.« (Ebd.)
Man erwartet, dass an dieser Stelle die bekannte Regierungsrede von der Zumutbarkeit der Niedriglohn-Jobs kommt und möchte die langen Ausführungen schon überspringen. Aber Hartz geht tiefer: Bei der Schaffung des neuen Menschentyps, bei der Organisation von Zustimmung wird ausgearbeitet, was Zumutbarkeit heißt, sodass es die Einzelnen wirklich an der Wurzel ergreift und sie umkrempelt. Zunächst gilt es also, die Zumutbarkeit selbst aus dem Außenverhältnis des Marktes zu einer inneren subjektiven Tugend zu machen.
»Zumutbarkeit gehört zu den zentralen Begriffen für die Gesellschaftspolitik der Zukunft. Jeder kann bei sich anfangen und nach seinen Möglichkeiten beitragen – überbrücken, strecken, befristen und auf der Zeitachse gestalten, neue Maßstäbe, Bewertungen und Überschriften finden. Wichtig ist, dass wir verstärkt über veränderte Erwartungen sprechen.« (52)
Auf dem Prokrustesbett der Selbstformung bleibt die Frage, was eigentlich Zumutbarkeit ist. Hartz klärt auf: Sie ist
»die Rückseite des Leistungsprinzips. Wenn der Erfolg da ist, muss nach Leistung und Anteil bemessen werden. Setzt der Misserfolg ein, gilt die Regel der Zumutbarkeit« (ebd.).
Es ist wie beim »Großen und Kleinen Klaus« aus Andersens Märchen: Auf dem steinigen Acker mit dem mageren Pferd bringt der Kleine keine Leistung, während sie dem Großen mit einem Stall voller Gäule auf dem fetten Acker gelingt. Im Märchen geht die Sache makaber gut aus, aber auch in der Wirklichkeit lässt sich etwas machen, belehrt Hartz. Pech ist eine Praxis. Wenn man in misslicher Lage die Erwartungen ans Ziel herunter- und zugleich die an sich selber hochschraubt, kann es gelingen. Die »Spielräume« sind groß.
Zumutbarkeit und Beschäftigbarkeit liegen auf einer Ebene, gehören zusammen wie eineiige Zwillinge. Sie »sind die Eckpfeiler jeder Zukunftsgestaltung unserer Sozialsysteme« (52). Hartz lässt uns denken, dass diese beiden Pfeiler im Prinzip oder im Allgemeinen einander die Waage halten, nur derzeit gerieten sie ins Ungleichgewicht: »Während die Zumutbarkeit wächst, schrumpft die Beschäftigbarkeit.« (Ebd.) Solcherart sind die beiden, die wir als Eigenschaften und Haltungen der Einzelnen wahrzunehmen gelernt haben, neutral beobachtbar wie Gestirne am Himmel. Neues Verhalten, wiederum der Einzelnen, ist gefordert, um die Waagschale auf der hochschwingenden Seite zu belasten. So offenbart sich Zumutbarkeit jetzt auch als Aufruf an Lernhaltung und -praxen und wiederum als Ausleseprinzip.
»Lernkurven werden steiler, Qualifikationen verfallen schneller, Anreize greifen seltener, Physis und Psyche halten irgendwann nicht mehr mit.« (Ebd.)
Und gegen die Wahrnehmung fehlender Lehrstellen lehrt Hartz:
»Ein Teil des Nachwuchses findet erst gar keinen Anschluss – seine Grundgeschwindigkeit bleibt unter der Schwelle zum Take-off.« (Ebd.)
Die Worte zeigen eine fast grenzenlose Fähigkeit, sich mit beliebigen Bedeutungen aufzuladen. Zumutbarkeit mutiert schließlich zur Anforderung an selbstbestimmtes Lernen, um den Anschluss an die neue Zeit zu halten.
»Zumutbar ist es, sich selbst Sprachen anzueignen, IT-fit zu werden, sich im Internet bewegen zu lernen, fachlichen Anschluss zu halten, mobil zu bleiben und den Blick für Perspektiven zu schärfen« (ebd.), sonst ist man »Analphabet«. Und so erklärt sich die wachsende Arbeitslosigkeit:
»Durch Zumutbarkeit und Beschäftigbarkeit verliert die 10-Prozent-Gesellschaft an ihren Rändern diejenigen, die sich im Hochleistungssystem der letzten 10 Prozent Arbeit nicht mehr halten – halten können oder wollen.« (Ebd.)