Frigga Haug

Die Vier-in-einem-Perspektive


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dem Bericht nirgends die Rede, jedoch werden einigermaßen realistisch die Folgen betrachtet, die der zunehmende Reichtum in Gestalt der wachsenden Produktivität der Arbeit unter kapitalistischen Verhältnissen für die Produzierenden hat: dass sie nämlich zu großen Teilen arbeitslos werden. Dies soll das »Paradox des Paradieses« zeigen:

      »Das Paradies ist ein Ort, wo die Technologie so weit fortgeschritten ist, dass es möglich ist, alle materiellen Waren praktisch ohne jegliche Kosten herzustellen. Der Haken an der Sache ist, dass in einer solchen Situation niemand bezahlt werden könnte, mit dem Ergebnis, dass unser Produktionsparadies eher wie eine gesellschaftliche Hölle – kein Geldeinkommen und hundert Prozent Arbeitslosigkeit – aussähe.« (96)

      Auch der Raubbau an der Natur wird in die Bestandsaufnahme einbegezogen: Es müsse ein Weg gefunden werden, »den Wert der Mitgift und des Erbes der Natur« für uns festzustellen (139 f). Am Ende kommen die Autoren zu dem Schluss, den Maßstab für Wohlstand zu ändern, ihn nicht mehr als Summe aller monetären Kosten zu fassen, sondern Kriterien wie die Kaufkraft (gemäß dem Jahresbericht der Weltbank zum Wohlstand der Völker) und solche der »Menschheitsentwicklung« (deren Indizes vom United Nations Development Programme unter Hineinnahme bestimmter nichtbezahlter Tätigkeiten entwickelt wurden) zur Grundlage zu machen (257 f). Sie empfehlen, Tätigkeiten ohne Bezahlung anders zu stimulieren sowie die Überwachung des allgemeinen Wohlstands wie des Wechsels von Tätigkeiten zwischen den bezahlten und anderen Teilen der Wirtschaft (264). Sozialpolitik müsse so gestaltet werden, dass alle das Recht haben, produktiv tätig zu sein (249). Ziel ist eine Vollbeschäftigung (in der neuen Dreiteilung), in der ein Minimum an Erwerbsarbeit vereinbart sei (249).

      Linke Einwände können sich auf die Vagheit der einzelnen Bestimmungen richten; so wird z. B. nicht deutlich, ob jetzt alle die Halbierung der Erwerbsarbeit mitmachen sollen oder gar müssen und wie mit den vorherigen Löhnen umgegangen wird (dazu 242 ff); man kann aus den Vorschlägen nicht errechnen, wie hoch die jeweiligen Verdienste tatsächlich sind und wie weitere Polarisierung zu verhindern ist. Warum hier nicht strategisch und fordernd konstruktiv eingreifen statt zu klagen, dies bedeute eine Verschlechterung: Pflichtarbeit für die Armen, zu geringes Grundeinkommen für die vielen, Armut, Polarisierung und ein Verlust an Perspektive. Der Vorwurf gewinnt in dem Maße an Plausibilität, wie man sich das Gesamtprojekt nur als kapitalistische Überlebensstrategie denkt und nicht vom Standpunkt eines veränderten krisenhaften Kraftfeldes spricht, in dem wir als Handelnde vorkommen und ein politisches Projekt überhaupt erst Konturen und Hegemonie gewinnen muss. Vorläufig sehen wir eine Reihe von für uns bislang positiven Bestimmungen – radikale Verkürzung der Arbeitszeit, Einbeziehung aller Arbeiten in den Arbeitsbegriff, Ansprüche an Arbeit, dass man sich mit ihr überhaupt identifizieren kann – als Material für eine Lösung der »Krise der Arbeitsgesellschaft« von oben.

      Betrachten wir die Phänomene mit marxschem Blick als »Elemente der neuen Gesellschaft« in den Fesseln der alten und zugleich als »Umwälzungsfermente«, als Dimensionen, die unser politisches Handeln bestimmen. Warum nicht eine Halbierung der Erwerbsarbeitszeit für alle mit einem Ausgleich, der ein Leben ermöglicht, in dem »Ernährung, Kleidung, Wohnen, Gesundheit« gesichert sind, und dies selbstverständlich ergänzen um Bildung und Politikkompetenz sowie Entfaltung von Fähigkeiten? Warum nicht endlich die vielen Mogelpackungen an ehrenamtlichen und unbezahlten Arbeiten vor allem von Frauen aufnehmen in den Fundus gesellschaftlich notwendiger Arbeit und die Herausforderung, die ein solches Unterfangen im Ernst für die Kapitalverwertungsstrukturen bedeutet, offensiv mitartikulieren?

      Die Autoren sehen eine Überwachung des »Wohlstands« vor und ebenso eine, die den Wechsel in den Tätigkeitsarten einmahnt. Vorbilder sind der Human Development Report und Sozialpolitik. Ließe sich solches nicht für eine sozial gerechtere Gesellschaft ausarbeiten und erringen, statt Kontrolle zu befürchten, wo es jetzt unter dem Mantel der Freiheit äußerst ungerecht zugeht?

      Es handelt sich zweifellos nicht um eine Neuauflage des Bündnisses für Arbeit, wie es derzeit zwischen Gewerkschaften, Regierung und Wirtschaft verhandelt wird. Vielleicht aber ist es näher an den Forderungen der Frauen und also auch näher an einer guten Gesellschaft, in der gerechter und demokratischer gelebt werden könnte?

       Feministische Fragen

      Ich prüfe im Folgenden unter feministischem Gesichtspunkt und setze dabei implizit voraus, dass die herkömmliche Weise, u. U. etwas mehr Lohn für die gebliebenen, zumeist männlichen Arbeiter zu erringen und im Übrigen die Gesamtentwicklung auf eine Katastrophe zutreiben zu lassen, kein Projekt ist, das irgendwo Frauenunterstützung verdient, aus ihm mithin kein Fortschritt zu gewinnen ist.

      Ich habe vor 15 Jahren zum ersten Mal und seither kontinuierlich versucht, drei wichtige aktuelle Problematiken zu bündeln: den Rückgang an Erwerbsarbeit, die einseitige Verteilung der mit Familienarbeit/​Reproduktionsarbeit benennbaren Bereiche und die Notwendigkeit einer politischen Gestaltung der Gesellschaft, die Einbeziehung aller als gesellschaftliche-politische-kulturelle Menschen. Meine Idee war eine Dreiteilung in Erwerbsarbeit, Reproduktionsarbeit und kulturelle/​politische Arbeit. Als politische Losung inmitten der »Krise der Arbeitsgesellschaft« formulierte ich: Wir haben nicht zu wenig, sondern zu viel Arbeit (Haug 1985, 1986, 1986b). Später habe ich dies als Menschenrechte einzufordern versucht: Recht auf Arbeit (verstanden als Lohnarbeit), verpflichtendes Recht auf Arbeit an Zukunft – Sorge für Leben und Natur – und Recht auf Politik als Gesellschaftsgestaltung, und in allen Fällen ein Recht, alle diese Bereiche sich lernend anzueignen (u. a. Haug 1996). Daher bin ich auf der einen Seite erleichtert, dass mit dem Bericht an den Club of Rome solche Fragen offensichtlich geradezu im Mainstream Platz genommen haben, und gleichzeitig verwirrt, wie ähnlich und wie anders sie hier klingen.

      Auf den ersten Blick ist die Beliebigkeit auffällig, mit der der Arbeitsbegriff beim Club of Rome erweitert und ergänzt ist. Während ich versucht hatte, meine Erweiterungsvorschläge an der gesellschaftlich notwendigen Arbeit und ihrer Verteilung zu orientieren, wird im Bericht alles aufgenommen, was Menschen überhaupt tun könnten. Maßstab ist die eigene Organisation des individuellen Arbeitslebens und die Aufnahme von möglichst viel nichtbezahlter Arbeit in die Lebensplanung. Diese Beliebigkeit fordert geradezu dazu heraus, sich moralisch zu erheben und das eine oder andere – etwa den Vorsitz in einem Kegelverein – für nicht so wichtig zu halten, weil ihm der Bezug auf das gesellschaftlich Notwendige fehlt. Diese Dimension, welche an Zukunft zu orientieren ist – also die Sorge für die nächste Generation ebenso einschließen muss wie die für die außermenschliche Natur – und an Gerechtigkeit – also auch die Völker in den Dritten Welten betrifft –, verschwindet im Club-of-Rome-Vorschlag im Markt der Möglichkeiten. Was geschieht, wenn man sie nachträgt?

      Die Beliebigkeit betrifft alle einzelnen Bestimmungen. Sie ist gewonnen durch gezielte Weglassungen. So sind unter »nichtmonetisierten Tätigkeiten« »freiwillige oder wohltätige Arbeiten« (37) zur Aufwertung vorgeschlagen. Indem Absicht und guter Wille der solcherart Tätigen die Definition bestimmen, verschwindet der Sinn, den diese Tätigkeiten für Gesellschaft haben oder haben könnten. Im weiteren Begriff der »nichtmonetarisierten Tätigkeiten« – worunter auch alle unbezahlte Kinderbetreuung, Haushaltstätigkeiten etc. fallen – verschwindet der Skandal, dass die Gesellschaft es sich leistet, die Frage der Zukunft ins Abseits des »außerökonomischen Sektors« geschoben zu haben.

      Beide – die nichtmonetisierten wie die nichtmonetarisierten Tätigkeiten – sollen auf einem Satellitenkonto (150) ebenso bilanziert werden, wie das Bruttosozialprodukt den Wohlstand einer Nation ausweist. Dieser Vorschlag ist nicht nur von der Hand zu weisen, jedoch problematisch. Einerseits werden politische Argumentationen für die Anerkennung und Aufwertung von Hausarbeit gestärkt, wenn man auf den »Wert« der unbezahlten Arbeit in diesen Bereichen verweisen kann. Andererseits gerät durch die »Erhebung« zeitintensiver Reproduktionsarbeit in den Rang von Lohnarbeit eine der Hauptproblematiken unseres Zivilisationsmodells aus dem Blick: dass die Lebensmittelproduktion im weiteren Sinn, die nach Profitgesichtspunkten reguliert ist, sich über das Leben erhoben hat, als sei dies nicht Ziel, sondern bestenfalls ein Absatzmarkt. Für die Frage der Diskussion und Durchsetzung solcher Vorschläge wie dem des Satellitenkontos bedeutet dies im Übrigen, dass wirkliche Zustimmung aus der Bevölkerung problematisch wird. Dem gesunden Menschenverstand scheint es eher ein Anschlag