»Unternehmer(in) sein, kann jede(r)« (55), denn das »Hochleistungssystem« kann nur funktionieren, wenn »Mitarbeiter zu Mit-Unternehmern werden« (53). Das Eigentümliche an solchen Aussagen ist, dass sie so richtig wie verlogen sind. Man könnte den Gegensatz von Unternehmern und Arbeitenden auch dadurch auflösen, dass alle Unternehmer werden. Zudem, was wäre die »Assoziation der freien Produzenten« (Marx) anderes als ein Verbund selbstbestimmter unternehmender Einzelner, die sich zur Bewältigung der gesellschaftlichen Produktion zusammentun? So arbeitet Hartz mit dem Schein, die Gesellschaft würde endlich ihren Mitgliedern übergeben, »Rücknahme der Arbeit in die Gesellschaft« (45), geht aber großzügig darüber hinweg, dass sie in der Hauptsache schon verteilt ist, sodass die neuen Unternehmer sich in den übrig gebliebenen Arbeiten wiederfinden, die keinen Gewinn bringen. Dies vor allem jeder allein: keine Assoziation freier Produzenten also. Stattdessen: »Umwertung der Werte« (45). Hartz nimmt eben die Hoffnungen aus diesem sozialistischen Projekt und schneidert sie passend für die einzelne »Unternehmerin«, die in ihrem Wohnzimmer bügelt und für die Erstausstattung eine Anschubfinanzierung bekam.
»Arbeit als betrieblich verfasste Organisation von Tätigkeiten unter fremdem Dispositionsrecht, mit fremden Arbeitsmitteln und in fremden Arbeitsräumen hat als Grundfigur für die Jobs der Zukunft mehr und mehr ausgedient.« (Ebd.)
Der neue Unternehmer der Gegenwart bestimmt sich durch »emotionale Qualität«, die mit »der Individualität und Emotionalität des Einzelnen untrennbar verbunden ist« (55). Hartz preist das neue Unternehmer-Leitbild an wie den Aufbruch in fast vergessene Hoffnung. Im Verkaufssalon, der wie ein elegantes Reisebüro vorzustellen ist, klingen von weither Lieder aus der Arbeiterbewegung, modern umgetextet:
»Wer treibt die neuen Jobs, wer schlägt aus ihnen langfristiges Beschäftigungs- und Einkommenskapital? Ich, du, Sie, wir. Wir sind die Value Driver der Zukunft. Wir suchen die Zukunft der Arbeit, und dies wird eine Abenteuerreise.« (56)9
Hartz zeigt kulturelles Kapital und holt weit aus, um bis zum »global village der Telekommunikation« (56) zu gelangen. Von Goethe geht es über die Handelscompagnien, gigantische Reichtümer immer weiter im Fortschritt (der übrigens niemals Subjekte hat, schon gar keine Arbeitenden) bis zur »dritten Dimension der Zukunft – Qualität«; »hinter dem Tauschwert und der Funktionalität«, »jenseits der begrenzten Zweckrationalität« zeigt sich jetzt »Emotionalität […]. Emotion wird zu Kapital« (56 f).
»Wer bisher Gültiges, Geglaubtes, Erlebtes, Machbares, Wahrnehmbares, Gefühltes oder Denkbares noch einmal überschreiten kann – der schafft einen neuen Wert, erzeugt Qualität als ultimatives Entertainment.« (57)
Es gibt in diesem Text u. a. drei Posten, die – und das erweist sich als Strategie der neuen politischen Kultur – unaufhörlich miteinander verschmelzen, dabei wie ein Chamäleon Farbe und Gestalt wechselnd und anpassend. So verbinden sich 1. die Unternehmen mit den darin Arbeitenden, 2. Produktion mit Verkauf und 3. in allen Gruppen die Gewinner und Erfolgreichen, die selbst sehen können, wo sie bleiben, mit den Ausgesonderten, die sich auf andere Weise überlassen bleiben. Hartz wählt Beispiele, Sprache und Perspektive, in denen jeweils alle sich angesprochen fühlen sollen und in denen der Wechsel von Produktion zu Verkauf Programm ist. Es geht letztlich um
»die Differenz zu allem Vorhandenen als Wahrnehmungskitzel unter Haut und Hirn. Bei diesem Kampf um neue Kunden öffnet sich der Horizont bis zum Abgrund: Hohes und Rohes droht […]. Das Menschliche und Allzumenschliche liefern den Schlüssel zum Erfolg« (ebd.).
Der neue Menschentyp, der all dies vollbringt, ist »fit, fähig, flexibel und jetzt auch noch fantastisch – wir sind auf dem Weg vom atmenden zum eventiven Unternehmen« (59). Schließlich wechselt Hartz von der Werbung in postmoderne Sozialtheorie oder umgekehrt:
»Die Jobs der Zukunft leben von der Inszenierung. Des feinen Unterschieds wegen: Design, Farbe, Haptik, Geruch und Ton sollen die Sinne fesseln, Erlebnisse den Kunden an das Unternehmen binden. Dies Individuelle und Authentische vermitteln nur Mitunternehmer und Mitunternehmerinnen den Kunden.« (Ebd.)
Die »Schlüsselkompetenz« des neuen Menschen »heißt Sensibilität, weil sie allein für die notwendige emotionale Qualität sorgt. Sie wird High Touch genannt« (66). Die Sprache der neuen politischen Kultur des Imperiums ist durchsetzt von Anglizismen. Das scheint im globalen Maßstab zum einen natürlich und verleiht den Sätzen zum anderen eine obskure Bedeutungshaftigkeit, die wie eine Sperre die Inhalte zudeckt. Sie tut dies mittels ungefähren Fingerzeigen, Anklängen an etwas, das man weiß oder wissen müsste, und verschmilzt diese zu einer Losung, über die man nicht nachdenken kann, weil sie ein inneres Geheimnis ist. »High Touch« z. B. erinnert an Hightech und gewinnt damit ganz ohne Begründung und Analyse sogleich Plausibilität und Zeitgemäßheit, das passende Gefühl zur Produktionsweise. Unpassend ist, wer um den Namen noch nicht weiß, er gerät in den Verdacht, die gesuchte Emotionalität nicht zu besitzen, und tut gut daran, beim nächsten Bewerbungsgespräch die verlangten Wortsignale auszustoßen.
Die Werbesprache bedient sich gerne des Stabreims. So prägt auch Hartz immer wieder Bündel von Zuschreibungen, die allesamt mit dem gleichen Buchstaben beginnen und dann als Kürzel gesprochen werden können, die 4F (fit, fähig, flexibel, fantastisch), die 3W (Wollen, Wissen, Werte, 72) oder die 4 M. Letzteres bezeichnet das neue Menschenprofil: »Mehrfachqualifiziert, mobil, mitgestaltend und menschlich« (73). Der neue Menschentyp ist auf jeden Fall ein Single, er ist ein Individuum, kein Teil eines Kollektivs, »denn nur als Individuum erfindet und empfindet der Mensch Qualität« (65).
Hartz würzt seine Rede nicht nur mit Jugend-Slang, übernimmt nicht nur die Sprache der Linken und verdreht sie, er setzt auch auf Zustimmung unter ›Alternativen‹, für die »ganzheitlich« ein Zielwort ist. »Das ganzheitliche, sinnhafte Grundelement des Arbeitsvollzugs« – solche Beschwörungen finden sich immer wieder als Versprechen, Schluss zu machen mit Entfremdung. Beim Zuhören oder Lesen darf man niemals vergessen, sich bei alledem die Büglerin im Wohnzimmer vorzustellen.
Während die Frage, ob man eine Beschäftigung findet oder nicht, als Eigenschaft des Individuums erscheint, verschwimmen auch dessen Grenzen z. B. in die Eigenschaften eines Autos und springen dann unvermittelt in den Profit. Der »Mitarbeiter« muss sich für den Kunden begeistern.
»Der Kundenwert wächst so über das blanke Kosten-Nutzen-Kalkül hinaus. Beim Auto z. B. gilt es, die emotionalen, eventiven Mehr-Werte – Fahrspaß, Erlebnis durch Mobilität, Statusgewinn, Sorglosigkeit durch Sicherheit und Perfektion, Fahrdynamik im Verkehrsfluss, gutes Gewissen durch Umweltbeachtung, Wertbeständigkeit durch Markenimage – unternehmerisch zu neuen Wertschöpfungspotenzialen zu steigern.« (66)
Hartz nennt dies Amalgam von Mitarbeiter, Werbung und Unternehmen »Verhaltenskultur« (66). Das zugehörige »mündig-mutige« Individuum ähnelt unvermittelt Faust:
»Nur wer nach den Sternen greift und dabei die inneren Kräfte der Fantasie anfacht, vermag sich zu halten. Die Fähigkeit, neue Qualitäten zu entwickeln, hält uns nah an der Utopie […]. Es ist die Chance, im Job zu Hause zu sein.« (67)
Das Modell von Hartz ist nicht nur eine Verschmelzung von Werbung und Politik bzw. Politik als advertising. Im selben Zug wird staatliche Politik unter die Anforderungen der Wirtschaft gestellt. Dies auf doppelte Weise: Es geht einmal darum, die Gewinner zu Hochleistungen anzuspornen, zum anderen aber auch darum, die Verlierer von Unruhen abzuhalten, sie irgendwie unterzubringen, da man sich ihrer nicht einfach entledigen kann. Letzteres geschieht, indem die Unteren im Namen der Oberen angerufen werden, als ob für alle Gleiches gelte. Und in der Tat geht es auch darum, die Restgesellschaft, das, was nicht bereits profitlich verteilt ist, in die Obhut der Restmenschen zu geben, als seien sie ebenfalls Unternehmer. Dabei strahlt Hartz ein Versprechen auf Zukunft (ein sehr häufig verwendetes Wort) aus, die es für die meisten nicht gibt.
In diesem Hochgeschwindigkeitszug, als den wir uns die Gesellschaft vorstellen sollen, bleibt die Frage nach den Geschlechterverhältnissen bzw. danach, wie die Geschlechter eingespannt werden in die Reproduktion dieser Gesellschaft, seltsam leer. Wir erinnern an Gramscis Analyse der fordistischen Produktionsweise und der Stellung der Hausfrauen im Gesamtgefüge, an den männlichen Ernährer und weibliche Abhängigkeit von seinem Lohn. Bei Hartz ist die Entwicklung