William Garner Sutherland

Das große Sutherland-Kompendium


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wenn der Körper zum adulten Menschen herangewachsen ist. Viele Osteopathen stehen der erwähnten Beweglichkeit skeptisch gegenüber. Sie sind aber nicht skeptischer, als ich es am Anfang war.

      Ich begann meine Studien am Schädel eines menschlichen Skelettes, welches sich in meinem Besitz befand. Glücklicherweise handelte es sich um einen normaleren Kopf als die meisten, die uns heutzutage zur Verfügung stehen. Ich wurde wie ein Uhrmacher, der eine schwierige Technik entwickelte. Nachdem ich den Mechanismus verstanden hatte, lernte ich, den Schädel in seine Einzelteile zu zerlegen und wieder zusammenzusetzen.

      Es kam der Tag, an dem ich an einen Professor am College von Kirksville eine Arbeit mit der Bitte zur Überprüfung schickte. Seine Reaktion erfolgte prompt. Er behauptete, dass man die Knochen des Schädels nicht einmal mit einem Brecheisen auseinanderbekommen könne. Das zeigt uns deutlich, dass der menschliche Schädel zum Zwecke des Schutzes sehr stabil ist. Zu dem Zeitpunkt, als ich diese Antwort erhielt, hatte ich jedoch bereits zwei kleine Ossa temporalia inklusive Partes petrosae lediglich mit der kleinen Klinge eines Taschenmessers von einem Schädel entfernt.

      Ich gebe zu, dass ich sie mit einem Brecheisen nicht herausbekommen hätte. Das wäre ein viel zu großes Werkzeug für diesen feinen Mechanismus gewesen. Wenn man den Mechanismus versteht, erwarten einen wunderbare Möglichkeiten. Denjenigen, die ihn noch entdecken müssen, entging bisher einiges. Hätte ich nicht meine eigene Nase hineingesteckt und nachgeforscht, wäre ich wahrscheinlich noch heute skeptisch.

      Aufgrund meiner eigenen Zweifel an der Beweglichkeit der Schädelknochen, musste ich viele ernsthafte Experimente an meinem eigenen Schädel durchführen. Diese Experimente konnte ich nicht an den Köpfen anderer Menschen durchführen. Sie mussten jedoch an einem lebendigen Kopf stattfinden, da es notwendig war, das Wissen zu erlangen, das sich einem bei der Untersuchung eines toten Exemplars in einem anatomischen Labor nicht offenbart. Um zu beweisen, dass eine Beweglichkeit zwischen den Schädelknochen eines lebenden Erwachsenen unmöglich ist, musste ich mir Wissen über viele Dinge aneignen. Hätte ich zudem die Experimente an einer anderen Person durchgeführt, wäre ich lediglich an die Informationen gelangt: Sie hätte gewusst, was es bedeutet.6

      Meine Berufung ist die funktionelle Anatomie. Informationen, die ich in Büchern fand, leiteten mich und gaben mir viele Hinweise. Die Feststellung, dass sämtliche physiologischen Zentren im Bodenbereich des vierten Ventrikels lokalisiert sind, auch das der Atmung7, war ausgesprochen wichtig für mich. Ich erkannte, dass dieser Boden die Medulla oblongata bildet und dass der Ventrikel nicht nur einen Boden, sondern auch ein Dach besitzt. Ich hatte also einen Hinweis und Informationen, um mit dem Ausdruck zu beginnen: ‚die Atmung eingeschlossen‘. Hier fing ich an, etwas herauszufinden in Bezug auf den Atemmechanismus des lebendigen menschlichen Körpers. Ich erlangte Wissen über die Tide und etwas der Tide Innewohnendes, das ich den ‚ATEM DES LEBENS‘ nenne – nicht das Einatmen von Luft.

      Es gelang mir nicht, zu beweisen, dass es keine Mobilität zwischen den Knochen des lebendigen menschlichen Schädels gibt. Nun musste ich weiterforschen, um mehr über die Beweglichkeit der Schädelgelenke und über den Primären Atemmechanismus herauszufinden. Um etwas über die Bildung der Knochen zu lernen, ging ich in meinen Studien bis in die pränatale Phase zurück. Das Knochengewebe wird dort von der Dura mater und Knorpel zusammengehalten. Es ist so angeordnet, dass sich der kindliche Kopf dem mütterlichen Geburtskanal anpassen kann. Die Ossa parietalia können sich über das Os frontale und Os occipitale und zwischen die Ossa temporalia schieben, um dem Kind so einen einfacheren Weg in die Welt zu ermöglichen. Bezweifelt irgendjemand, dass zu jenem Zeitpunkt eine Beweglichkeit vorhanden ist? Die Knochen weisen zwar keine Beweglichkeit aufgrund von Gelenken auf, aber dennoch besteht eine Beweglichkeit. Der normale Schädel bei Säuglingen und Kindern hat Raum für Wachstum, aber bis zum Alter von 10 Jahren finden wir dort, außer in kleineren Ansätzen hier und da, keine bedeutenden Gelenkvorrichtungen. Ab dem 10. Lebensjahr und die Adoleszenz hindurch bilden sich, während die Kinder wachsen, allmählich die Gelenke als Schaltstellen, bis sie die ausgereifte Anatomie der Erwachsenen erreicht haben.

      Wenn Sie beginnen, einen älteren Schädel zu erforschen, können Sie etwas über die verschiedenen Sorten von Verschaltungen, die nun entstanden sind, herauslesen. Es gibt sowohl innere als auch äußere Abschrägungen mit Kontakt zur gegenüberliegenden Seite. Dies lässt auf eine Gleitbewegung schließen. Es gibt auch gewellte Suturen, die quer, diagonal usw. verlaufen. Die Suturen sind so angelegt, dass sich wurmförmige, konische, kompensierende, kryptische, reibende und schraubenförmige Schaltungen finden. Man begegnet Gelenkvorrichtungen wie Kugel und Pfanne, kurbel-, wellen-, wiegen-, rollen- und grubenförmigen Gelenken.

      Ausgleichende Führungs- und Hemmelemente, flexible Schäfte, Kraftpumpen, Siebe und das Fulkrum sind ebenfalls zu finden. Es ist verwunderlich, wenn man einige dieser anatomischen Exemplare betrachtet, egal ob sie ganz oder auseinandergenommen sind und jeden Alters, sobald die Verschaltungen der Gelenke sich gebildet haben. Die Vielfältigkeit im Detail, wenn ein Schädel mit einer Asymmetrie gewachsen ist, ist erstaunlich. Solche pathologischen Exemplare dienen als Verständnisgrundlage für das, was wir bei einigen unserer Patienten vorfinden. Einige ‚krumme Zweige‘, wie ich sie nenne, haben ihren Ursprung in einer falschen Ausrichtung kurz nach der Geburt oder vielleicht sogar schon vor der Geburt und wuchsen nach ihren Möglichkeiten. Dies entspricht zwar mechanisch betrachtet nicht gerade dem Idealbild eines normalen menschlichen Kopfes, aber der Schädel hat dennoch die Fähigkeit, zu funktionieren, und er tut es auch – so lange jedenfalls, bis das Wachstum auf Widerstand stößt und so an einer beliebigen Stelle zu Fehlfunktionen führt. Sie müssen Ihre Vorstellungskraft oft erweitern, um zu verstehen, was das Normale für Ihren Patienten ist. Ein perfektes Bild der Anatomie bildet die notwendige Grundlage, um zu verstehen, was wir an vielen lebendigen Köpfen zu sehen bekommen. Es ist ein Prozess und im Grunde einfach, wenn wir mit Verständnis dafür, welche Adaptionen möglich sind, hinsehen und fühlen. Das Ziel ist, mit Ihren Patienten den Weg zu einem gesunden Funktionieren des Mechanismus, so wie sie ihn mitbringen, zu finden. Um sich leiten zu lassen, benötigt man eine mental vollkommene Vorstellung; dennoch ist es keineswegs gut, dem Kopf, so wie man ihn vorfindet, dieses Ideal aufdrücken zu wollen. Wenn Sie das Sakrum untersuchen, welches zwischen den Ilia an Bändern aufgehängt ist, findet man Hinweise auf eine Beweglichkeit der Gelenke, die sich anders darstellt als die haltungsbedingte Beweglichkeit der Ilia gegenüber dem Sakrum. Dann denken Sie an das unter dem Os frontale befestigte Os sphenoidale und beginnen zu experimentieren. Ich fand heraus, dass das Anbringen eines kleinen Polsters unter dem Apex sacralis, selbiges in Rückenlage in seine Flexionsposition8 brachte. Dementsprechend konnte ich es in Extension bringen, sobald ich das Polster zur Basis hinaufbewegte. Als Nächstes stellte ich fest, dass etwas im Kopf vor sich ging, sobald ich das Polster dort beließ. Dies wies auf eine Verbindung zwischen dem Sakrum und der normalen Fluktuation der Tide hin. So fand ich Wissen – es waren nicht einfach nur Informationen.

      Lernen Sie Informationen im kranialen Bereich der Osteopathie, und hier besonders über die Zerebrospinale Flüssigkeit, sorgfältig zu prüfen, sodass Sie in der Lage sind, Kritik im wissenschaftlichen Sinn zu üben. Gründen Sie Ihr Denken nicht auf Feststellungen, die Jahrhunderte lang ohne kritische Prüfung weitergegeben wurden. Studieren Sie den lebenden menschlichen Körper ebenso wie den Leichnam. Studieren Sie das Prinzip des Lebens und kommen Sie dem Verständnis dessen näher, was ich mit dem ‚ATEM DES LEBENS‘ meine. Dr. Still tat sein Bestes, um uns in dieses Phänomen einzuführen, aber wir waren noch nicht dazu bereit.

      Erkennen Sie die physiologische Funktion in der Fossa cranii posterior? Können Sie sich den Primären Atemmechanismus bei jedem beliebigen Patienten im Bereich jener Zentren in der Medulla oblongata vorstellen? Hier eine Demonstration: Der Patient liegt auf der Behandlungsbank auf dem Rücken. Meine Hände liegen unter dem Os occipitale und den Ossa temporalia. Meine Finger verschränken sich unter der Pons. Wenn ich stehe, stellen meine Arme das Cerebellum dar.

      Ich führe meine Arme zusammen nach oben, sodass der vierte Ventrikel verkleinert wird. So wird seine Ausdehnung modifiziert. Bemerken Sie eine kontrahierende Motilität im Cerebellum, im Brachium pontis, der Pons und dem vierten Ventrikel? Diese jedenfalls spürte ich während zahlreicher Experimente, die ich an mir selber durchführte. Ist es Ihnen möglich zu erkennen, dass die Motilität im Truncus cerebri