verschmelzen oder verknöchern, begegnete er seiner Einsicht jahrelang mit Skepsis und Zurückhaltung.
Schließlich wollte Dr. Sutherland die Unsicherheit ausräumen, indem er die Fakten in seinem Gehirn ordnete und begann, die Gelenkflächen der einzelnen Knochen genau zu untersuchen. Damit wollte er sich selbst beweisen, dass eine Beweglichkeit zwischen den Knochen des Schädels an den Suturen unmöglich sei. Diesen Beweis konnte er nicht erbringen, und so musste er sich der Tatsache stellen, dass eine Beweglichkeit dennoch möglich ist, die nicht durch Muskeln hervorgerufen wird.
In seinen Vorträgen erklärte er, dass jeder, der die gleichen Untersuchungen anstelle, den gleichen Schock bekäme, wenn er diese Realität verstehe. Die Untersuchung der Bewegungslehre von Gelenken im lebendigen menschlichen Körper ließ ihn in seinen Patienten Kräfte erkennen, die Probleme und gesundheitliche Beanspruchungen beseitigen konnten. Die Natur der Gelenkmechanismen im Endo-Skelett, die mechanischen Prinzipien in Bezug auf bestehende Probleme und auf deren Selbstkorrektur führten zur Entdeckung neuer Diagnose- und Behandlungsmethoden am Patienten.
Im zunehmenden Verständnis der Osteopathie, wie sie von Dr. Still gelehrt und vorgestellt wurde, wurzelte die Entwicklung seiner Fähigkeiten als Arzt. Gegründet auf das, was ihn die Patienten lehrten, entwickelte Dr. Sutherland viele verschiedene Wege, Osteopathie zu praktizieren. Als seine Patienten von seinen Behandlungsmethoden zumindest profitierten und im besten Falle wieder gesund wurden, schloss er daraus, dass er sich eine grundlegende Wissenschaft zunutze machte, die dabei war, ihre Wahrheiten zu entfalten. Als Behandler besaß er die Fähigkeit, das jeweilige Problem ausfindig zu machen. In seinen Vorträgen betonte er, dass die Diagnose das Schwierigste sei. Sobald man das versteht, ist die Behandlung einfach.
Viele seiner Kollegen studierten bei ihm, da sie lernen wollten, die Osteopathie so zu praktizieren, wie er es tat. Dieser Wunsch war Grundlage für jene Kurse, die er in den 1940ern und 1950ern abhielt. Er begründete auch eine dazugehörige Fakultät, deren Mitglieder von ihm ausgebildet wurden.
Fast alle Teilnehmer an diesen Studiengängen spürten die Notwendigkeit, ihr Wissen in Anatomie und Physiologie nochmals zu überdenken. Sie fanden es in diesem Zusammenhang einfacher und interessanter, gemeinsam zu lernen. Als Konsequenz daraus bildeten sich landesweit Studiengruppen, und einige von ihnen beschlossen, ihre Aufmerksamkeit ganz auf den Schädel und die Lehre von Dr. Sutherland zu richten.
Die meisten der Kursteilnehmer bei Dr. Sutherland waren Mitglieder der Academy of Applied Osteopathy. Diese Organisation stellte eine Quelle der Unterstützung für seinen Unterricht dar. Im Juli 1946 versammelte sich eine Gruppe jener Interessierten auf der Konferenz und dem wissenschaftlichen Seminar der American Osteopathic Association in New York City. Dort wurde der Anstoß zur Gründung der Osteopathic Cranial Association als einer Tochter der Academy of Applied Osteopathy4 gegeben. Im Juli 1947, beim Jahrestreffen in Chicago, wurde dieser Organisationsprozess abgeschlossen.
Die Arbeit der Osteopathic Cranial Association umfasste auch das Organisieren von Konferenzen und das Aufbereiten von Material für Veröffentlichungen und Studienzwecke. Während dieser ganzen Zeit lief Dr. Sutherlands Unterrichtsprogramm weiter und schloss die Nutzung der Räumlichkeiten des Des Moines Still College of Osteopathy und des Chicago College of Osteopathy5 ein. Zusätzlich reiste Dr. Sutherland in Gegenden, die für jene, die sein Kraniales Konzept studieren wollten, günstig lagen. Kurse, die er in Providence, Rhode Island, in den Jahren 1948, 1949 und 1950 abhielt, gehörten zu diesen regionalen Ausbildungsprogramm.
Im Lauf der Zeit erkannte Dr. Sutherland die Notwendigkeit zur Schaffung einer Einrichtung, die es seinem Ausbildungsprogramm erlauben würde, unter Leitung seiner Fakultät weiterzulaufen. So veranlasste er im September 1953 die Gründung der Sutherland Cranial Teaching Foundation in Denver, Colorado.
Die Sutherland Cranial Teaching Foundation, Inc. stellt eine Ausbildungseinrichtung dar, deren Zweck die Weiterführung des von Dr. Sutherland organisierten Unterrichtsprogramms ist. 1960 organisierte sich die Academy of Applied Osteopathy neu und änderte ihren Namen in American Academy of Osteopathy. Zeitgleich änderte die Osteopathic Cranial Association ihre Verbindung zur Akademie von einer lediglich angegliederten Gesellschaft zu einem festen Bestandteil und änderte ihren Namen in Cranial Academy.
Den Mitgliedschaften in all diesen Organisationen ist eines gemeinsam: Das kontinuierliche Studium der Wissenschaft der Osteopathie und die Weiterentwicklung der Fähigkeiten in ihrem Anwendungsbereich. Es gibt Veröffentlichungen, Studiengemeinschaften, Seminare und Konferenzen. Ebenso stehen klinisch tätigen Behandlern, die osteopathische Colleges oder Krankenhäuser besuchen, Programme zur Verfügung.
Die Sutherland Cranial Teaching Foundation unterrichtet Studenten und bildet Mitglieder der medizinischen und zahnmedizinischen Berufe in den Einzelheiten der Philosophie, Anatomie und Physiologie des Primären Atemmechanismus aus. Der Unterricht lehrt die Kursteilnehmer Palpation und andere manuelle Fähigkeiten im Bereich der klinischen Anwendung des Kranialen Konzepts in Gesundheit und ebenso bei Problemen, die den Primären Atemmechanismus negativ beeinflussen, wie Krankheiten und Traumen. Dabei wird das Zusammenspiel mit der Anatomie und der Physiologie des gesamten Körpers betont.
Anne L. Wales D.O.
Herausgeberin
W. G. SUTHERLAND – BIOGRAFISCHE INFORMATIONEN
William Garner Sutherland D.O.D.Sc. (hon.) (1873–1954) wurde in Portage County, Wisconsin, geboren. Er lebte mit seiner Familie in Minnesota und zog später mit ihr nach South Dakota. In Blunt war er ein Druckerjunge bei der lokalen Zeitung, dem Blunt Advocate. Bis 1890 hatte er sich zum Vorarbeiter emporgearbeitet. September 1893 ging er nach Fayette, Iowa, um die Upper Iowa University zu besuchen. Anschließend kehrte er zur Zeitung zurück und wurde schließlich der Herausgeber des Daily Herald in Austin, Minnesota. In dieser Stellung hörte er 1898 von Dr. Still und seinem Osteopathie-Unterricht in Kirksville, Missouri. Noch im selben Jahr schrieb er sich in der American School of Osteopathy ein und schloss seine Ausbildung mit dem Jahrgang 1900 ab.
1. WISSEN ERLANGEN, NICHT INFORMATIONEN SAMMELN
Hatten Sie jemals einen Gedankenblitz? Ich habe schon oft von jenem Gedankenblitz erzählt, der mir kam, bevor ich meinen Abschluss an der American School of Osteopathy im Jahre 1900 machte. Als ich den präparierten Schädel betrachtete, der sich in Dr. Stills Besitz befand, weckten die Details an den Gelenkflächen der Sutura sphenosquamosa mein Interesse. Die Vorstellung, dass diese Sutur ein Hinweis auf einen für Bewegung konzipierten Entwurf war, prägte sich mir ein.
Die Squama occipitalis sah den Kiemen eines Fisches so ähnlich, dass der nächste Gedanke nur allzu logisch war. Es traf mich wie ein Blitz, dass dieser Bewegungsentwurf auch eine Funktion repräsentieren musste. So kam ich zu dem Schluss, dass eben diese Funktion zwingend einen Atemmechanismus darstellte. Wenn Sie die Schriften von Dr. Andrew Taylor Still genau lesen, auch zwischen den Zeilen, werden Sie feststellen, dass seine Denkweise derselben Spur folgte. Sie werden bemerken, dass das Kraniale Konzept in der Wissenschaft der Osteopathie seine Entdeckung war, und nicht meine.
Die Wissenschaft der Osteopathie begegnete Dr. Still in einem der traurigsten Abschnitte seines Lebens. Er schickte ein Gebet an seinen SCHÖPFER und bat IHN um Führung. Von dort kam die Osteopathie, vom MEISTER DER BEWEGUNGSLEHRE.
Dies ist der Bezugspunkt in all seinen Schriften. Er fragte sich: „Wie alt ist die Osteopathie?“ und seine Antwort lautete: „So alt wie der Schädel selbst.“ Er erklärte, dass die Wissenschaft der Osteopathie, so wie andere Wahrheiten zuvor, zum Nutzen der Menschheit entstanden war. Dieser Gedanke, der mich jäh überfiel, „abgeschrägt wie die Kiemen eines Fisches und Hinweis auf einen Primären Atemmechanismus“, überraschte mich nicht nur, er blieb bei mir. Deshalb, um mir selbst zu beweisen, dass die Beweglichkeit zwischen den Schädelknochen beim Erwachsenen ein Ding der Unmöglichkeit ist, begann ich mit meinen Untersuchungen. Obwohl es damals als anerkannt galt, dass es zum Zeitpunkt der Geburt keine anderen Gelenkverbindungen