Hans Messner

Das Kanaltal


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Linie. Von dieser ausgehend versuchte man am 18. Oktober 1915 vergeblich, die italienische Linie, die vom Köpfach über den Somdogna-Sattel auf den Mittagskofel führte, zu erobern. Das Ziel war das Dognatal. Nach dem Scheitern dieses Angriffes blieben die Stellungslinien in der Saisera bis zur Auflösung der Front in den Julischen Alpen unverändert.

      Jenseits des Wischberges liegt in südlicher Richtung Sella Nevea. Von dort zog sich der Frontverlauf hinauf zum Rombon und weiter hinunter bis nach Flitsch.

      Weil aber vom oberen Kanaltal die Versorgung der Front in den Julischen Alpen und weiter südlich bis nach Flitsch/​Bovec und Karfreit/​Kobarid und Tolmein/​Tolmin erfolgte, bekam das Tal eine besondere strategische Bedeutung.

      Bekannte Berge der Julischen Alpen waren damals besetzt. Österreich hielt den Kleinen Mittagskofel (1952 Meter) und den Schwarzenberg (Monte Nero). Weiters Kleiner und Großer Nabois (2318 Meter), Wischberg/​Jôf Fuart (2666 Meter), Gamsmutter (2507 Meter), Mosesscharte (2271 Meter), Kornspitze/​Cima Vallone (2368 Meter) und die Kastreinspitze (2502 Meter). Ebenfalls österreichisch waren der Steinerne Jäger (2071 Meter) und die Krnica/​Carnizza-Scharte (1767 Meter).

      Die Italiener wiederum besetzten den Monte Piccolo (1746 Meter), Monte Granuda (2589 Meter), Zweispitz/​Due Pizzi (2046 Meter), Monte Piper (2069 Meter), Großen Mittagskofel/​Jôf di Miezegnot (2087 Meter), Jôf di Somdogna (1881 Meter), Montasch/​Jôf di Montasio (2752 Meter), Gambon (2404 Meter) und Cregnedul (2351 Meter).

      Schwer unter Beschuss genommen und zerstört wurden im Laufe der Kampfhandlungen die Gebäude und die Kirche auf dem Luschariberg.

      Im Wesentlichen gehörte die Kanaltaler Front zu dem, was Militärs im Fachjargon Patrouillen- und Kleinkrieg nennen. Mehrfach umkämpft waren Monte Piper, Zweispitz, Mittagskofel, Dogna-Sattel, Kastreinspitze und Wischberg.

      Relativ starr blieb der Frontverlauf in den Julischen im Raum Tarvis bis zum Durchbruch an der Isonzo-Front, anlässlich der 12. Schlacht, bestehen. Trotzdem gab es um die Gipfel immer wieder größere und kleinere Scharmützel sowie regen Artilleriebeschuss aus dem Val Dogna, wo fast alle Orte betroffen waren.

      Dass die Italiener den Durchbruch über Pontebba und das Kanaltal nicht ernsthaft versuchten, lag daran, dass sie die Wehrhaftigkeit von Fort Hensel bei Malborgeth völlig überschätzten. Außerdem sprengten die in Pontafel stationierten Österreicher beide Straßenbrücken und die Eisenbahnbrücke, die über den Pontebbana führte.

      Der spätere Kaiser Karl war am 22. Juni 1915 als Erzherzog Karl Franz Joseph zur Frontbesichtigung und Truppeninspektion im Kanaltal. Sein Beobachtungsposten lag in jenem Bereich, wo heute bei Ugovizza sein Denkmal steht. Erzherzog Karl Franz Joseph erlebte heftige italienische Artillerieangriffe auf das Fort Hensel bei Malborgeth. Diese Angriffe waren so massiv, dass in der nicht mehr zeitgemäßen Festung um 10 Uhr 45 eine 305-mm-Granate drei Stockwerke durcschlug und in einem Deckungsraum explodierte. Dort starben zwei Offiziere und siebzehn Artilleristen. Heute erinnert am Friedhof in Ugovizza eine Gedenktafel an diese Gefallenen. Um die Anbringung dieser Tafel hat sich Alessandro De Lussu verdient gemacht.

      Historischer Meilenstein in Pontebba

      Tote gab es an dieser Front nicht nur durch die Gefechte und den Artilleriebeschuss, sondern häufig auch durch Kälte, Steinschlag und vor allem Lawinen.

      Auf österreichisch-ungarischer Seite war in diesem hier beschriebenen Frontabschnitt, speziell in der Wischbergruppe, kein Geringerer als der Erschließer der Julischen Alpen, Julius Kugy, als alpiner Berater tätig. Am Tag der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien und der beginnenden Mobilmachung war er nicht daheim in Triest, sondern mit einer Gruppe von Bergkameraden auf dem Wischberg unterwegs.

      Als Tausende „Deutsche“ das Tal verließen

      Bei einem caffè macchiato im Hause Dawit kam ich mit dem Kanaltaler Gastronomie-Urgestein Edi Kranner ins Gespräch. Er erzählte von seinen Jugendjahren in Kärnten, seinem Schulbesuch in Klagenfurt und den erlebten Bombenangriffen auf die Kärntner Landeshauptstadt gegen Kriegsende. Damit waren wir dem Thema „Option“ schon auf der Spur.

      Im ersten Jahr des Zweiten Weltkriegs, am 22. Mai 1939, schlossen Mussolini und Hitler, also Italien und Deutschland, den sogenannten Stahlpakt, mit dem sich die beiden Länder stabile Grenzen zusicherten. Einen Monat später wurde dieser Pakt um die Vereinbarung ergänzt, dass die der deutschen Volksgruppe zuzurechnenden italienischen Staatsbürger, vor allem in Südtirol, auf eigenen Wunsch nach Deutschland bzw. Österreich auswandern können. So wurde die sogenannte Option, die Umsiedlung, geschaffen. Und die betraf schließlich auch das Kanaltal und die dort lebenden Altösterreicher. „Manifestiert war die Option im italienischen Gesetz mit der Nummer 1241“, weiß der Historiker Raimondo Domenig.

      Das Optionsprozedere wurde von Bozen aus geleitet. Dort saß die zentrale Verwaltung der Umsiedlung. Deutsche Büros für die Umsiedelung gab es aber in mehreren größeren Orten. So war eines auch im beschlagnahmten Gasthof Teppan in Tarvis, dem heutigen Hotel Ristorante Trieste, etabliert. Die Auswanderungswilligen konnten sich so schon auf italienischem Boden deutsche Pässe ausstellen lassen.

      Von Regierungsseite wurde ordentlich Druck gemacht, denn die Optanten mussten sich bis 31. Dezember 1939 für die Umsiedlung entscheiden. Im Kanaltal waren davon die drei Gemeinden Tarvis, Malborghetto und teilweise Pontebba betroffen.

      Die Entscheidung für oder gegen die Option trafen jeweils die Väter für die gesamte Familie. Weiße Zettel bedeuteten, dass man sich für Italien entschieden hatte. Orangefarbene hingegen belegten die Entscheidung fürs Wegziehen. Die Propaganda machte vielen die Entscheidung für „Heim ins Reich“ leicht. Sie versprachen sich davon bessere Lebensumstände.

      Für den Verbleib im Tal entschieden sich überwiegend Bauern, Unternehmer und Menschen mit sicheren Anstellungen.

      Natürlich stellte sich irgendwann die Frage: Was wird mit den Slowenen im Kanaltal? Also ging man von italienischer Seite einen Kompromiss ein und gab auch den Mitgliedern der slowenischen Volksgruppe die Möglichkeit, wegzuziehen. Doch nur wenige Mitglieder der slowenischen Volksgruppe, konkret 2 Prozent, gingen darauf ein.

      Grenzberge zu Slowenien

      Bis zum zunächst vorgegebenen Stichtag 31. 12. 1939 kam man in den drei betroffenen Gemeinden Tarvis, Malborghetto und Teilen Pontebbas zu folgendem Resultat: Von den Bewohnern der drei Gemeinden waren 5 602 berechtigt zu optieren. Stattliche 81,7 %, also 4 576 Personen, „entschieden“ sich für Deutschland bzw. Österreich. Unter den Deutschsprachigen entschieden sich eher die Führungskräfte, Fixangestellten und die Besitzenden gegen die Option. Manche hasardierten auch. Der Besitz konnte an die Behörde Ente Nazionale per le Tre Venezie verkauft werden. Doch damit waren Haus und Grundbesitz endgültig weg. „Deutsche im Dienste des italienischen Staates wurden ohnehin entlassen“, so Domenig. Die Optanten wurden schließlich mit Zügen nach Kärnten gebracht. Ziele waren Villach, Klagenfurt, St. Veit, Friesach und das steirische Knittelfeld. Doch „draußen“, wie sie sagten, und damit meinten sie Kärnten und Steiermark, herrschte noch Platzmangel. Die versprochenen Kanaltaler Siedlungen befanden sich ja erst in Bau.

      Anders erging es damals dem Schüler Edi Kranner und seinen drei Geschwistern. Er landete mit seiner Familie in Zinsdorf bei St. Thomas am Zeiselsberg auf einem großen Bauernhof. Deren slowenische Besitzer waren vorher allerdings von der Deutschen Wehrmacht vertrieben worden. Wirtschaftlich ging es den Kranners dort gut. Der Vater wurde zum Bauernführer. Kriegsgefangene Polen und Russen arbeiteten auf dem Hof, und mit Lebensmitteln war man bestens versorgt. Vater Kranner lieferte die landwirtschaftlichen Produkte regelmäßig in Klagenfurt ab und Edi besuchte dort die Hauptschule. Für den gebürtigen Saifnitzer war dies eine abenteuerliche Zeit. Gegen Kriegsende erlebte er die Bombardierung der Landeshauptstadt mit. Schritt für Schritt zeichnete sich die Niederlage des Deutschen Reiches ab. Vater Kranner traf schließlich die Entscheidung, mit