Hans Messner

Das Kanaltal


Скачать книгу

nie unterschrieben. Dort, wo heute das Hotel Bellavista in Camporosso/​Saifnitz steht, befand sich einst der Bauernhof der Kranners.

      Mit zwei Traktorfuhren wurde schließlich das Hab und Gut der Familien wieder zurück ins Kanaltal gebracht. „Aber mein Vater war sehr vorsichtig“, erzählt Edi. „Bei der zweiten Fahrt von Zinsdorf nach Saifnitz erfuhr er, dass inzwischen die Engländer anstelle der Deutschen die Grenze in Thörl kontrollierten. Also wählte er einen Schleichweg über den Bartolo-Sattel hinüber auf den heimatlichen Bauernhof in Saifnitz.“

      Ein Optantendekret von 1948 bot den Kanaltalern die Möglichkeit, wieder heimzukehren und die italienische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Doch nur rund zwanzig Personen kehrten zurück.

      Zahlreiche dramatische Schicksale, die manchmal Familien trennten, spielten sich in dieser Zeit ab. Die einen zogen nach Norden hin weg, andere rückten vom Süden her nach.

      Der Zweite Weltkrieg im Kanaltal

      Im zweiten „großen“ Krieg stand das Kanaltal nicht so sehr im Mittelpunkt wie im Ersten Weltkrieg. Die Verschiebung der Bevölkerungsstruktur lässt sich auf den Friedhöfen bzw. vor den Kirchen oder bei Gefallenengedenkstätten anschaulich nachlesen. Während aus dem Ersten Weltkrieg vorwiegend deutsche und slowenische Namen zu finden sind, mischen sich auf den Gedenktafeln des Zweiten Weltkrieges vermehrt italienische Namen unter die Gefallenen.

      Schon vor geraumer Zeit hat mir im Gasthof Montone zu Camporosso ein Ur-Kanaltaler vom Drama seiner Familie erzählt. Er hatte sich freiwillig für die deutsche Wehrmacht entschieden – und überlebt. Sein jüngerer Bruder aber zog, was damals nahelag, für Italien in den Krieg und kehrte nie wieder heim. Der Bruder galt bis zum Tage unseres Gespräches als vermisst.

      Doch nicht nur die schon beschriebene Option brachte die Auswirkungen des Krieges ins Tal. Mussolini wurde am 25. August 1943 gestürzt. Ab 9. September hatte man das Kanaltal der OZAK, der Operationszone Adriatisches Küstenland, zugeordnet. Auch hier gab es wieder Ähnlichkeiten mit Südtirol. Dieses wurde nämlich als Operationszone Alpenvorland deklariert.

      Die OZAK umfasste Friaul, Triest und Istrien bis nach Pula und stand unter italienisch-deutscher Militär- bzw. Zivilverwaltung. Diese OZAK war ein Versuch, bei einem erwarteten Kriegsgewinn der Deutschen, das Gebiet als autonome Provinzen unter deutscher Verwaltung zu führen. Doch die Besetzung durch die Briten und Amerikaner machte den Deutschen schließlich einen Strich durch ihre Pläne. Die Amerikaner kamen über den Predil und die Briten durch das Kanaltal nach Tarvis. Dort gab es einen eigenen britischen Governor.

      Die Grenze zu Österreich wurde von den Briten, jene zu Jugoslawien von den Amerikanern kontrolliert. Rückwanderungswillige Optanten aus Kärnten wichen durchaus auf den illegalen Grenzübertritt auf dem Bartolo-Sattel aus.

      Mit den Besatzern wiederum kamen italienische Familien ins Tal, die hier privat und wirtschaftlich sesshaft wurden.

      Blick von Coccau Richtung Süden

      Wer das Tal am Schnittpunkt der drei Kulturen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts miterlebt hat, möchte meinen, dass sich Tarvis und sein Umland damals in seiner wirtschaftlichen Blüte befand. Doch diese Vermutung ist falsch, denn die Region genoss ihre wirtschaftliche Blütezeit schon im 15. und 16. Jahrhundert. Mauten brachten in dieser Zeit Geld in das Durchzugstal und dessen Nebentäler. Auch der Weg über den Predil-Pass war von Bedeutung. Der Bergbau gewann zunehmend an Wichtigkeit und jener in Raibl florierte bestens: Blei wurde gebraucht.

      Ein kleines Eisenbergwerk gab es auf der Uggowitzer Alm. So wurde Hüttenberger Erz im Kanaltal für Venedig verhüttet und als Halbfertig- und Fertigprodukte an die Serenissima geliefert. Großindustrielle aus Kärnten, Bayern und Italien siedelten sich hier an. Ihre Palazzi erinnern noch heute an den Wohlstand dieser Zeit.

      Wo Eisen verarbeitet wurde, dort brauchte man auch Kohle. Viele Bauern verdienten sich als Köhler ein schönes Zubrot. Das wiederum machte es notwendig, Forstregeln aufzustellen. Es waren die Bamberger, die 1584 ihre Waldordnung im Kanaltal umsetzten, damit kein Raubbau betrieben werden konnte.

      Die beiden Orte Tarvis und Malborgeth galten als die wirtschaftlich wichtigsten im Tal. Beide waren Gerichtsstandorte und in Tarvis gab es obendrein ein Waldamt.

      Doch nichts währt ewig. Später, zu Zeiten von Kaiserin Maria Theresia, verlor das Kanaltal neben vielen anderen Privilegien auch das Mautrecht. Die Wirtschaft schrumpfte, das Tal verlor geografisch an Bedeutung. Eine Steinkohlekrise traf außerdem die Eisenverarbeitung. Plötzlich wurde auch keine Holzkohle mehr gebraucht. Die Bauern verloren ihr lukratives Zubrot und wandten sich der Almbewirtschaftung zu. Was blieb, war der Bleiabbau in Raibl.

      Erste echte Industrie kam im Jahr 1899 mit dem Kettenwerk Weißenfels, im heutigen Fusine, in die Region. Dieses Werk und der Bergbau in Raibl blieben bis in die 1990er-Jahre die wichtigsten Arbeitgeber. In den 1980er-Jahren zählte Tarvis noch 6 700 Einwohner. Alleine in den beiden erwähnten Betrieben verdienten rund 1 800 Menschen ihr tägliches Brot. Heute sind dort insgesamt höchstens 100 Mitarbeiter mit Erhaltungs- und Verwaltungstätigkeiten beschäftigt.

      Bergbau, Fremdenverkehr und einen umfangreichen Immobilienbesitz brachte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Kajetan Schnablegger, Visionär und Tarviser Bürgermeister, unter einen Hut. Seine Ideen und wirtschaftlichen Aktivitäten brachten dem Tal einen neuerlichen Aufschwung.

      Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg wurde das österreichische Kanaltal schließlich Italien zugesprochen und mit dem dort aufkeimenden Faschismus fand eine Militarisierung der Region statt. Dem Fremdenverkehr hatte schon der Krieg selbst ein Ende gemacht. Außerdem wurden die neuen Grenzen vorerst zu Reise-Hemmschwellen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann für den Handel der so erstaunliche Aufschwung durch den Tages- und Einkaufstourismus.

      Ein herber wirtschaftlicher Rückschlag waren für Tarvis und seine Nachbargemeinden die Grenzöffnungen im Zusammenhang mit den EU-Beitritten der Nachbarländer. Firmen, Behörden, das Militär, Kaufleute und viele Beschäftigte zogen samt Familien fort. Tarvis hat heute weniger als 5 000 Einwohner und das ganze Val Canale nur noch 7 000.

      Es ist an Wochentagen merklich stiller geworden in den Orten. Doch man bewegt in und um Tarvis so einiges, um wirtschaftlich, vorwiegend touristisch, erfolgreich zu sein. Events werden inszeniert, der Damen-Ski-Weltcup wurde zwischenzeitlich auf den Monte Lussari geholt, das weltberühmte Radrennen Giro d’Italia lockte man in die Comune Tarvisio, mit Etappenziel auf dem Altopiano di Montasio und Etappenstart in Raibl. Sommerfeste, Konzerte, Adventmärkte, der kulinarische Tagestourismus, Pilger, Radfahrer, Bergsteiger, Golfer, Wanderer und Wintersportler bringen heute Leben ins Tal.

      Chiesa Sant’Egidio in Camporosso

      MENSCHEN IM KANALTAL

      Kajetan Schnablegger, der Visionär

      Wer in Tarvis im Bereich des Ristorante Friuli von der Via Veneto hinauf zur Piazza Unità spaziert, begegnet auf halbem Weg einem leicht zu übersehenden Park und der Büste des Kajetan Schnablegger (1843 – 1894). Seinem Vater gehörte zu jener Zeit das Blei- und Zink-Bergwerk in Raibl. Kajetan selbst war ausgebildeter Montanist, aber auch wirtschaftlicher Visionär und ambitionierter Politiker. Geboren wurde er in Weißenfels/​Fužine. Nach dem Tod des Vaters übernahm er 1876 das Bergwerk. Verheiratet war Kajetan mit der Villacherin Emilie Pirker. Das Paar hatte vier Kinder.

      Neben dem Bergbau beschäftigte sich der Visionär intensiv mit der Politik und dem aufkeimenden Fremdenverkehr. Schnablegger war Abgeordneter zum Kärntner Landtag und Bürgermeister von Tarvis. Und als Hotelier setzte er Akzente und versuchte, einen „elitären“ Fremdenverkehr ins Tal zu bringen. Es war dies auch die Zeit, in der das Schwefelbad in Lussnitz seinen Aufschwung erlebte.