Dazu gehörten, aus heutiger Sicht, Gebäude wie das ehemalige Kaufhaus Vidussi und das schräg gegenüber liegende Ristorante Friuli. Beide an der Ecke Via Giovanni Paolo II/Via Vittorio Veneto. Ein weiteres Hotel gab es in Raibl. In diesen Hotels konnten Heu-Kuren und Tannennadelbäder gebucht werden. Gleichzeitig besaß Schnablegger ein Hotel in Pörtschach am Wörthersee.
Des Weiteren ließ er Rundwanderwege anlegen, nützte geschickt die neuen Bahnverbindungen und lockte die Städter ins Tal, er vermarktete die Schönheit der Landschaft, unterstützte Sportvereine, den Alpinismus und Jagdvereine. Außerdem war er hier der Erste, der seine Hotels mittels Prospekt bewarb. Der Historiker weiß, dass in jener Zeit im südlichen Alpenraum Cortina und Tarvis in Sachen Fremdenverkehr etwa gleichrangig waren.
Der Bürgermeister und Abgeordnete galt auch als Immobilienkönig. So soll er 99 Gebäude besessen haben. Dazu kamen zahlreiche Grundstücke, Almen und Wälder.
1894 kam Kajetan Schnablegger bei einem Unfall im Bergwerk ums Leben. Der Bergbau wurde von seinen Nachfolgern im Jahr 1900 an die Kärntner Industriellen Henckel von Donnersmarck verkauft.
Schnablegger-Büste in der Via Giovanni Paolo II
Wegweiser bei Valbruna
Menschen am Schnittpunkt dreier Kulturen
Immer wieder hat das Kanaltal/Val Canale/Val Cjânal/Kanalska dolina also stürmische Zeiten erlebt. Aus allen Richtungen, zumeist aber aus dem Süden, sind die Menschen hierhergekommen. Es waren familiäre Gründe, kaufmännische oder berufliche Überlegungen und nicht zuletzt die Liebe, die Menschen ins Tal am Dreiländereck, im äußersten Nordosten Friaul-Julisch Venetiens, brachte.
Nach dem Ersten Weltkrieg, nach der Option 1939, nach dem Ersten Weltkrieg und dem darauffolgenden wirtschaftlichen Aufschwung gab es vielerlei Gründe hierherzuziehen. Manche kamen, wie die Eltern von Gianni Macoratti, mit den englischen Besatzern von Tarcento nach Tarvisio und wurden hier gastronomisch tätig. Andere, wie der damalige Schüler Edi Kranner, zogen mit ihren Eltern und Geschwistern nach der Option aus Kärnten zurück ins Tal und bauten sich hier ein neues – und auch erfolgreiches – Leben auf.
In politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich bewegten Zeiten wie diesen muss ich das Kanaltal geradezu als „mitteleuropäisches Mustertal“ bezeichnen. Das Zusammenleben der Menschen mit vier Sprachen, aus drei Kulturkreisen und an zwei Grenzen funktioniert. Natürlich ist nicht immer alles eitel Wonne, und es gibt da und dort auch Streit. Aber einer hat hier vom anderen angenommen und gelernt, und trotzdem konnte sich jeder seine Traditionen erhalten. Und: man pflegt sie sogar gemeinsam!
Dass dies etwas Besonderes ist, wurde auch der bereits zitierten amerikanischen Reisegruppe bewusst, die über die ungezwungene Art des Zusammenlebens nicht schlecht staunte, zumal sie die Geschichte Mitteleuropas und Altösterreichs kannte. Ein zwangloses Miteinander von Menschen innerhalb und außerhalb der Grenzen.
Aus zahlreichen Gesprächen mit den Menschen vor Ort weiß ich, wie wichtig und wertvoll den Menschen ihre sprachliche Vielfalt ist, wie es etwa auch Wirt Sandro Zanazzi einmal betonte. Ein alter Almwirt, der sich als Windischer bezeichnete, erzählte mir, dass er drei Sprachen spricht, die meisten im Dialekt, aber kaum in einer Sprache fehlerfrei schreiben kann. „Wos solls, bin so a durchs Leben kemmen“, meinte er schmunzelnd.
Staunend habe ich oft miterlebt, wie Kanoltoler Freunde vom Hochdeutschen ins Italienische und von dort in den „kärntnerischen“ Kanoltoler Dialekt gewechselt haben. Andere wieder wechselten vom Windischen ins Italienische und dann ins Deutsche. Einfach so, einfach weil es selbstverständlich ist und weil es beruflich wie privat schon seit Generationen üblich ist.
Die Küche des Tals
Bringe ich meine Einblicke in die Kanaltaler Küche auf einen gemeinsamen Nenner, dann sieht das Ergebnis folgendermaßen aus: Tradition haben im Tal und den Nebentälern die slowenische und die kärntnerische Küche, dazu kommt die altösterreichische mit all ihren Einflüssen. Da in manchen Orten mehr Slowenen und Windische, in anderen wiederum mehr Deutsche ansässig waren, gab es von Ort zu Ort auch unterschiedliche kulinarische Gewohnheiten. Im Wesentlichen ist die alte Kanaltaler Küche jener des kärntnerischen Gailtales sehr ähnlich. Was wiederum auch auf den slowenischen Dialekt, das Windische im Tal, zutrifft.
Schritt für Schritt hielten nach dem Ersten Weltkrieg Italien und Friaul in der Küche Einzug. Menschen, die aus dem Süden hierherzogen, brachten neben anderen kulinarischen Elementen die Fischküche mit. Mehr und mehr kamen später auch Gerichte aus der Carnia zu ihrem Recht. Allen voran die Cjalcons. Jeder nahm das für sich an, was ihm eben schmeckte und die Gastronomie das, was sich gut verkaufen ließ.
In den gastronomischen Betrieben sind alte, typische Kanaltaler Gerichte selten anzutreffen. Mit einer Ausnahme, doch dazu später mehr. Den Küchen von Friaul und dem Bergland der Carnia begegnet man inzwischen immer öfter. Strenge Trennlinien gibt es ohnehin nicht. Wie auch, in Zeiten, in denen internationale Fusionsküchen Vorbildwirkung haben? Doch das war nicht immer so. In deutschen Familien gab es durchaus Sasaka oder andere typische slowenische Lebensmittel bzw. Zubereitungsarten. Der Speck hat im Tal seine Heimat, hinzu kam im Laufe der Jahre der Lardo. Das ist jener weiße Bauchspeck, wie er im Friaul und in anderen Regionen Italiens serviert wird. Sterz und Polenta, Topfen und Ricotta, Würste und Salsicce sind Beispiele für die kulinarische Vermischung. Der Kärntner Gerschtbrein (Gerstensuppe mit Speck und Bohnen) ist dem Orzo e fagioli nicht unähnlich.
Ein Hort der Kanaltaler Küche: Antica Trattoria „Da Giusi“
So bestätigt mir Lucia Mischkot, dass daheim, in der traditionellen Kanaltaler Küche, die Ähnlichkeit mit der Gailtaler Küche sehr groß war und ist. So macht Lucia noch heute die Gelbe Suppe, den Schweinsbraten oder ein Gulasch mit Polenta. „Mangels eigener Schweine ist im privaten Bereich die Produktion von Speck und Würstln allerdings zurückgegangen“, weiß die Wirtin zu erzählen.
„Wir haben auch Knödel, es gibt Zwetschkenknödel und Marillenknödel“, erzählt auf der Gacceman Alm auf 1286 Meter Seehöhe Herr Errath aus Ugovizza. „Und zwei Schweine füttern wir auch noch.“ Die werden aber eher auf italienische Weise verarbeitet. Einfach deshalb, weil auf einer Kanaltaler Alm die Leute lieber Soppressa essen als Hauswürstel oder Schweinsbraten.
Und apropos Knödel: In Rutte gab es sogar schon Zwetschkenknödel-Feste. Bio-Bäuerin Giulia Gorasso aus Oltreacqua-San Antonio bietet neben Zwetschkenknödeln auch andere hausgemachte Knödel und Gnocchi oder frisch geschlachtete Kaninchen an. Letztere gelten besonders in der italienischen Küche als Spezialität.
Richtig ans Eingemachte, sprich „Kanoltolerische“, geht es bei Giuseppina Alsido und Alfredo Domenig in der Trattoria „Da Giusi“ in Malborghetto. Sie waren in den 1980er-Jahren die Ersten, die mit der traditionellen Küche des Tales in die Öffentlichkeit gingen. Damals galten noch Pizza, Pasta, Lasagne, Calamari fritti und Fisch als die Hauptgründe für eine Fahrt über die Grenze ins Val Canale.
Alfredo erzählt: „Unsere Speisekarte war fast ein Skandal.“ Ein anderer wiederum sah das ganz anders. Im Jahr 1987 verfasste der Präsident der Dante Alighieri Gesellschaft Spittal/Drau, Gerd Thalhammer, für die Kleine Zeitung Kärnten einen Artikel zum Thema „Traditionelle Kanaltaler Küche“ mit dem Titel: Von Erdäpfelkipfalan und Polstazipfalan. Darin beschreibt er das Bemühen um die kulinarische Tradition von Giusi und Alfredo. Ein Teil der Speisekarte kommt bei ihnen noch immer im Dialekt daher. Ich gebe sie zwecks leichterer Verständlichkeit für Nicht-Kanoltola und Nichtkärntner auf „Österreichisch“ wieder: Leberknödelsuppe, Reibgerstl, Fisolensuppe, Brotknödel mit Schmalz, Kalbsbraten, Schweinsbraten oder Kartoffelgulasch sind darauf zu finden.
Aus dem Dreiländereck