Walter Böhl

Estrichgeschichte


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IV. Estrichnormung

       Quellenverzeichnis

       Bildnachweis

       Der Autor

      I. Was ist Estrich überhaupt?

      Erstmals ist der Begriff „Estrich“ in der DIN EN 13318 „Estrichmörtel und Estriche – Begriffe“ im Jahre 2000 normativ definiert worden. Das sind mindestens 30.000 Jahre, nachdem zum ersten Mal ein Estrich verlegt wurde. [1] In der DIN EN 13318 heißt es im Abschnitt 2.2 in schönstem Normendeutsch:

       Estrich ist eine Schicht oder Schichten aus Estrichmörtel, die auf der

       Baustelle direkt auf den Untergrund, mit oder ohne Verbund, oder auf einer zwischenliegenden Trenn- oder Dämmschicht verlegt wird, um eine oder mehrere der nachstehenden Funktionen zu erfüllen:

        eine vorgegebene Höhenlage zu erreichen;

        einen Bodenbelag aufzunehmen;

        unmittelbar genutzt zu werden.

      Diese Definition ist sehr weit gefasst. Demgemäß ist sowohl eine dünne Spachtelmasse als auch ein 25 cm dicker Betonboden in einer Industriehalle ein Estrich.

      Heute werden in der DIN 18560 Estriche im Bauwesen [2] folgende Estriche genannt: Zementestrich, Calciumsulfatestrich, Magnesiaestrich, Gussasphaltestrich, Kunstharzestrich.

      Bei dieser Betrachtung muss man noch den Lehmestrich und den Kalkestrich dazunehmen. Gussasphalt und Kunstharzestrich werden dafür weggelassen, das würde ansonsten zu umfangreich werden. Die folgenden Ausführungen beschränken sich deshalb auf die mineralischen Baustoffe.

      II. Zeitliche Einordnung

      Die nachfolgende Abbildung zeigt die genannten Estriche auf einem Zeitstrahl bis 30.000 v. Chr. Dabei fällt auf, dass es vom Lehmestrich erst ab ca. 5000 v. Chr. eindeutige Nachweise gibt. Es ist aber durchaus plausibel, dass der Lehmestrich, dessen Material von der Natur ja praktisch gebrauchsfertig geliefert wird, schon viel früher ausgeführt wurde. Man muss nur daran denken, dass sich die Menschen vor 35.000 bis 40.000 Jahren bereits mit Musik und bildender Kunst beschäftigt haben, wie die Funde des Löwenmenschen von Asselfingen, der Venus von Schelklingen und der Flöte vom Gaisenklösterle zeigen. Alle diese Funde wurden auf die Jahre um 35.000 bis 40.000 v. Chr. datiert. Es ist deshalb naheliegend, dass unsere Vorfahren auch schon den Boden ihrer Behausung am Eingang einer Höhle eingeebnet oder hergerichtet haben, auch wenn diese Behausung nur temporär benutzt wurde.

      Versuch der zeitlichen Einordnung der Estricharten auf einem Zeitstrahl von 30.000 v. Chr. bis heute.

      Herbert Pothorn bringt das in seinem Buch „Baustile“ [3] sehr schön zum Ausdruck. Er umschreibt dies wie folgt:

      Die vorgefundene Höhle war dem Menschen bald nicht gut genug. Das Erste, was er zu ihrer Verbesserung getan haben mag, war, den Boden zu ebnen, zu graben, plattenförmige Steine zu legen, Sand und Lehm aufzuschütten und festzustampfen. Das war der Anfang des Bauens.“

      Sicher gab es schon viel früher einfache Asthütten oder zeltartige Konstruktionen, die einen leidlichen Witterungsschutz boten. Wenn man aber vom massiven Bauen ausgeht, muss man Pothorn zustimmen. Fußbodenbau war der Anfang des Bauens!

      Von den Lehm-Estricharbeiten unserer Vorfahren sind zwar keine wissenschaftlich haltbaren Beweise übriggeblieben. Das ist jedoch für den Baustoff Lehm typisch. Es bildeten sich neue Schichten durch Ablagerungen oder durch menschliche Tätigkeit. Lehm „verschmolz“ mit diesen neuen Schichten. Deshalb sind die Spuren einer einfachen Bearbeitung, wie z. B. einer Einebnung oder Pflasterung mit Steinen, nicht mehr nachweisbar. Trotzdem kann man bei aller Unsicherheit annehmen, dass der Lehmestrich spätestens ab 35.000 v. Chr. plausibel ist.

      III. Verschiedene Arten von Estrich

      1. Lehmestrich

       1.1 Erste Nachweise von Lehmestrich

      Erste wissenschaftlich haltbare Beweise von Lehmestrich finden sich erst relativ spät, ab ca. 5000 v. Chr. im Nahen Osten und in Europa ab ca. 4500 v. Chr. (frühe Bandkeramikkultur) in sogenannten Langhäusern. [4] Diese Befunde schließen allerdings viel frühere Ausführungen nicht aus. Die verhältnismäßig spät datierten Funde sind deshalb wissenschaftlich eindeutig, da sich unter der Lehmestrichschicht Vorlageschichten aus Steinen, teilweise auch aus Ästen nachweisen ließen.

      Ab 5000 v. Chr. finden sich auch in Hünengräbern (Megalithkultur) Fußbodenaufbauten, die aus einer Unterschicht aus Rollsteinen und darauf einem Lehmestrich bestehen. [5] Diese Konstruktion nennt man „Diele“. Der Begriff hat sich bis heute gehalten. Teilweise wurden auch Lehmplatten verwendet, die an anderer Stelle hergestellt wurden. [6] Wenn man so will, kann man das als ersten Fertigteilestrich bezeichnen.

      Lehmestrich war im ländlichen Bereich bis in die neuere Neuzeit weit verbreitet. Und zwar nicht nur in Tennen und Scheunen, sondern auch in Wohnräumen. Er wurde sowohl auf ebener Erde als auch auf Holzbalkendecken ausgeführt, was einen guten Brandschutz und eine Schalldämmung ergab. Bis fast in unsere Zeit unterhielt jedes Gehöft eine eigene Lehmgrube, um die verschiedensten Arbeiten und Ausbesserungen an den Gebäuden vornehmen zu können. [7]

      Lehmestrich in der „Pesel“, der „guten Stube“, im Ostenfelder Bauernhaus in Husum (Bild: Museumsverbund Nordfriesland).

       1.2 Baustoff Lehm

      Ton ist eine staubförmige Gesteinsverwitterung, die durch Wind oder Wasser verlagert wird. Lehm ist eine mit Ton vermischte Gesteinskörnung. Zwischen Lehm und Ton gibt es keine scharfe Trennung. Der Zusammenhalt erfolgt ohne chemische Reaktion durch die sehr feinen Teilchen des Tons (Teilchengröße < 0,001 mm) durch Van-der-Waals-Kräfte (Van-der-Waals-Wechselwirkung). Diese sind zwar relativ klein, reichen aber aus, um ausreichende Festigkeiten für verschiedene Anwendungsgebiete zu gewährleisten.

       Materialdaten von Lehmmörtel

      Nachstehende Prüfwerte von Lehmmörtel wurden an der TU Berlin [8] beim Bau der Versöhnungskirche in Berlin, die ganz aus Lehm gebaut wurde, ermittelt. Die Prüfwerte können sich durch die Zusammensetzung des Lehmmörtels erheblich ändern:

       Druckfestigkeit: 2,4 N/mm2

       Biegezugfestigkeit: 0,52 N/mm2

       Scherfestigkeit: 0,62 N/mm2

       Schwindmaß: 0,25 %

       Kriechmaß: 0,2 %

       Wärmedehnung: 0,005 mm/mK

       Wärmeleitfähigkeit: 0,6 bis 0,9 W/mK

      Versöhnungskirche Berlin. Tragende Wände und Fußboden aus Stampflehm (Bild: Bruno Klamfar, Architektur Rudolf Reitermann und Peter Sassenroth, Ausführung Lehm Ton Erde Baukunst GmbH).

       1.3 Handwerkliche Ausführung von Lehmestrich

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