Ritchie Pogorzelski

Der Triumph


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abgetan oder der etruskischen Kunst zugerechnet. Winkelmann und der Klassizismus vertraten im Gefolge der Renaissancekünstler die Theorie einer „weißen Antike“. Diese Vorstellung einer farblosen Antike bzw. Architektur entsprach und entspricht den ästhetischen Vorstellungen sowie dem Erkenntnisideal einer intellektuellen Bildungsschicht. Das führte zu einer Bevorzugung von klaren Formen und der farblosen Zeichnung. Die Ansichten Winkelmanns beeinflussten für lange Zeit den Blick auf die Antike Kunst, tun dies sogar bis heute.

      Aber selbst die Aussage Winckelmanns konnte nicht verhindern, dass die Idealisierung des strahlend weißen Marmors als ein Traumgebilde entlarvt wurde. Zu eindeutig waren die Farbspuren auf den neu entdeckten Kunstwerken in Griechenland und Italien. So kam es 1811 zu einem Widerstreit, als die Giebelfiguren des Aphaia-Tempels von Aigina aufgefunden wurden. Diese waren mit deutlichen Farbresten behaftet. Ein Jahr später erwarb der Bildhauer, Maler und Kunstagent des Bayernkönigs Ludwigs I., Johann Martin von Wagner, diese Stücke für die königliche Sammlung in München. Wagner bewertete die Farbigkeit antiker Kunstwerke völlig anders als Winckelmann und erregte damit großes Aufsehen. Er schrieb:

       „Wir wundern uns über diesen scheinbar bizarren Geschmack und beurtheilen ihn als eine barbarische Sitte. … Hätten wir vorerst unsere Augen rein und vorurtheilsfrey, und das Glück zugleich, einen dieser griechischen Tempel in seiner ursprünglichen Vollkommenheit zu sehen, ich wette, wir würden unser voreiliges Urtheil gern wieder zurücknehmen.“

      Jetzt begann im Mittelmeerraum die Zeit intensiver archäologischer Aktivitäten und immer wieder verwiesen Kunstwissenschaftler und Architekten auf das Phänomen der Polychromie. Literarische Quellen und neuere, nach Farbspuren untersuchte Funde belegten nicht nur die Farbigkeit der Bauten, sondern auch eine Bemalung antiker Figuren. Der französische Architekt und Archäologe Jakob Ignaz Hittorff gab 1830 sein Werk „De l’architecture polychrome chez les grecs“ heraus und verwies auf die Farbigkeit der griechischen Bauten. Gottfried Semper bereiste zwischen 1830 und 1833 Griechenland und Italien, um die Bauten der Antike zu studieren. 1834 veröffentlichte er die Schrift „Vorläufige Bemerkungen über die bemalte Architektur und Plastik bei den Alten“ und 1836 die reich illustrierte und vom Autor zum Teil handkolorierte Schrift „Die Anwendung der Farben in der Architectur und Plastik – dorisch-griechische Kunst“. Als die Statue des Augustus 1868 in Prima Porta entdeckt wurde, besaß sie Spuren der Bemalung, die deutlich besser sichtbar waren als heute. Unter den Personen, die bei der Entdeckung zugegen waren, war auch Arnold Böcklin, ein Maler, der stark vom Gedankengut des Klassizismus geprägt war. Als er diese Statue so farbig sah, so ganz anders als die Statuen aus weißem Marmor, war das für ihn ein Schock! Zeitgenossen berichten über seine heftige Reaktion: „Der Klassizismus, wie ich ihn kennengelernt habe, ist falsch und unzutreffend.“

      Der Schock von Böcklin steckt auch heute noch in uns allen, wenn wir antike Statuen betrachten und uns vorstellen sollen, dass sie bemalt waren. Wir sind zu sehr daran gewöhnt, antike Statuen in strahlendem Weiß zu sehen. Diese Gewohnheit hat sich über Jahrhunderte verfestigt. Dieses Weiß der Statuen wird von uns mit der Klassik an sich gleichgesetzt. Wir müssen einerseits bedenken, dass die Statuen im Laufe der Zeit ihre Farben verloren haben. Andererseits sind wir durch unsere Sehgewohnheiten geprägt, die unsere Wahrnehmung der Antike geformt haben: Wir können die griechischen und römischen Statuen nicht ohne die europäischen Statuen, die von Michelangelo bis Canova oder Thorvaldsen den Stil und damit die Wahrnehmung der Marmorfigur in reinem Weiß geprägt haben, betrachten. Das Weiß einer Statue wie der Pietá des Michelangelo oder der Statuen von Bernini stellen für uns einen unumgänglichen Filter dar. Diese großen Meister haben ein immer transparenteres und stärkeres Weiß gesucht. Und das, um der klassischen Antike möglichst nahe zu kommen. Dabei sind nur die wenigsten Statuen der Antike aus einem reinen weißen Stein. Die Mehrheit wurde aus einem Stein gemeißelt, der natürliche „Unreinheiten“ aufweist. Der Archäologe und Direktor der Münchner Glyptothek, Adolf Furtwängler, untersuchte abermals die in seinem Hause aufbewahrten Giebelfiguren des Aphaiatempels. Er ließ sogar eine farbige Rekonstruktion der Westfassade des Tempels in verkleinertem Maßstab anfertigen. 1906 schrieb er in einer grundlegenden Publikation:

       „Wie unendlich wichtig aber die Farbe am antiken Tempel und seinem plastischen Schmuck ist, das empfindet wohl ein jeder, wenn er von dem rekonstruierten farbigen Bilde zu dem farblosen zurückkehrt. Man hat ja keinen Begriff von der leuchtenden, frohen Schönheit altgriechischer Kunst, wenn man ihren Farbenschmuck nicht kennt.“

      An der Tatsache der Farbigkeit antiker Kunst konnte kein ernsthafter Zweifel mehr bestehen, wohl aber an ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild. Daraus entstand eine Front mit drei Lagern unterschiedlicher Ansichten. Verschiedene ästhetische Urteile, Meinungen zur Wahrnehmung, historische Versionen und eine Neuinterpretation der antiken Schriftquellen, die von den Farben berichten, kreuzen sich hier. Eine beständige Entdeckung neuer Details in den antiken Quellen, meist nur fragmentarisch vorhandene Farbspuren und ungeeignete Untersuchungsmethoden ließen viel Raum für unterschiedliche Interpretationen. So entstand der „Polychromiestreit“, der während des gesamten 19. Jhs. anhielt und bis zum Zweiten Weltkrieg andauerte. Neben den Anhängern der „weißen Antike“ bzw. „bunten Antike“ gab es auch die, die eine mittlere Position einnahmen. Möglich war dies auch deshalb, weil die im Altertum verwendeten Farben eine unterschiedliche Dauerhaftigkeit besaßen. Hellere Farben wie Gelb gingen schneller verloren als Mineralfarben wie Rot oder Blau, die Jahrhunderte überdauerten. Obwohl man alle Grundfarben an antiken Skulpturen beobachten konnte, war man bemüht, das Bunte gegen eine Zweifarbigkeit von Rot und Blau auszutauschen. Dieser Polychromiestreit erreichte allerdings das breite Publikum kaum. Durch die beiden Weltkriege und die Orientierung auf die Ästhetik der Moderne, die allgemeine Abkehr von Ornament und Dekor, nahm auch das Interesse der Archäologen und Kunsthistoriker an diesem Thema spürbar ab. Es geriet nahezu in Vergessenheit. Im wissenschaftlichen Diskurs von Kunstgeschichte und Archäologie spielte die Polychromie kaum mehr eine Rolle. Die Nachkriegsgeneration der Archäologen zog sich auf eine formalästhetische Betrachtung der antiken Kunst zurück. So wurden weitere Generationen von marmorweißen Denkmälern geprägt, wie sie die Museen weltweit präsentieren. Doch in der Antike hatte die Farbe eine besondere Bedeutung. Sie wurde mit den vier Elementen gleichgesetzt: das Feuer, das Wasser, die Erde und die Luft, aus denen die Welt erschaffen wurde. So war auch die Erscheinung der klassischen Antike farbig. Hier müssen wir daran erinnern, dass für die Kunst damals die Nachahmung der Natur essentiell war. Und die Natur war immer farbig.

       Neue Untersuchungsmethoden und die technischen Hilfsmittel

      Neue Untersuchungsmethoden und neue technische Verfahren helfen, Farbspuren zu identifizieren und sichtbar zu machen. Mit Techniken der Beleuchtung und der VIS-Spektroskopie lassen sich selbst sehr kleine Spuren ausfindig machen. Den Ergebnissen dieser Techniken müssen wir uns fügen und unseren Geschmack neu kalibrieren. Dazu besitzen wir zwei Ebenen des Zugangs: Die des Klassizismus, der über Generationen Teil der Ausbildung der Künstler und des gebildeten Publikums in ganz Europa war, und die der archäologischen und technologischen Forschung, in der das Weiß durch Farbe ersetzt wird. Noch heute werden die Werke von der Fachwelt ohne Rücksicht auf ihre ehemalige Farbe interpretiert. Zahlreiche Archäologen und andere Forscher richteten in der Vergangenheit ihr Interesse mehr auf historische, typologische und stilistische Aspekte antiker Skulptur und versäumten es dabei, sich mit dem Problem der Farbigkeit zu beschäftigen. Noch immer werden Museumsbesucher nicht korrekt und zeitgemäß über die Polychromie antiker Kunst informiert. In den Vorlesungen der Universitäten ist die Polychromie der Antike bis heute noch kein nennenswertes Thema.

      Bild 1a: Statue des Augustus aus Prima Porta in zwei Varianten. Malerei von Angi Delrey nach einem Original aus den Vatikanischen Museen.

      Durch neue Techniken ist es vielfach gelungen, die alten Farben der Antike nachzuweisen und teilweise sogar zu rekonstruieren. Im Laufe des 20. Jhs. nahm die Erforschung antiker Polychromie einen großen Aufschwung. Voraussetzungen dafür waren enorme Fortschritte in den fotografischen