Jamo Mantam

Oooh, Dicker, mein Dicker ...


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Giebelweiher Steige ist eine Anhöhe von vielleicht 200 Metern kurz vor Brummelbach, die ich niemals fahre. Grundsätzlich schiebe ich diese Steigung. Denn sie ist wirklich steil. Und dort hatte man mich also gesehen. Schiebend. Mit Sammelsäcken und falschem Bart. Nun musste ich Farbe bekennen. Ich stieß bei der Schilderung meiner neuen Nebentätigkeit mehr auf Belustigung denn auf Abscheu, aber ich verteidigte diese Art der Geldbeschaffung mit Stolz und Selbstbewusstsein. Zumal allseits bekannt war, wie arm mein Herr Freund doch war. Ich stellte meine Argumentation auf die soziale Schiene, machte klar, dass ich all das ja nicht für mich tat, und ergänzte, dies sei außerdem eine gute Sache für meine Figur. Eine sehr gute sogar! Hier stieß ich auf Verständnis. Und Anerkennung sogar. Den Wickeltisch konnte ich somit wieder unter dem Teppich verschwinden lassen. Auch den falschen Bart.

      Von einer Sache ließ ich alsbald komplett die Finger. Nämlich von den üblichen Keilereien mitten auf der Straße, wenn mir mal wieder jemand auf meiner Beutetour zuvor kommen wollte. Denn eines Tages ging während einer solchen Zerrerei meine Brille zu Bruch. Der Dicke nahm mich, heulend und wehklagend, beiseite und beteuerte seinen vollen Respekt für meinen körperlichen Einsatz. Doch wenn hierbei materielle Werte auf der Strecke blieben, müsse man die Reißleine ziehen. Das fand ich ganz furchtbar lieb von ihm. Ich dürfe durchaus weiter sammeln gehen, aber die Prügeleien ums Pfandgut müssten künftig ihm überlassen bleiben.

      Jetzt werden Sie sich fragen, weshalb er mich nie unterstützt hatte, wenn ich mal wieder die Fäuste hatte sprechen lassen. Und dann auch noch viel zu kleine Fäuste! Nun, das Geheimnis liegt darin begründet, dass ich mittlerweile so sattelfest geworden bin, dass wir uns trennen. Somit können wir einen größeren Suchradius abdecken. Ehe wir losfahren, wird in der Küche eine Routenbesprechung vorgenommen. Wir klären ab, bis zu welchem Standort wir gemeinsam fahren und wo konkret wir uns dann trennen. Wer dann wohin und wie entlang fährt. In meinem Straßenatlas zeichne ich die vorgegebene Strecke ein. Der Orientierung wegen, Sie wissen schon. Und wir bewaffnen uns wieder. Mit unseren Handys. Denn der Dicke hat den genialen Einfall gehabt, sein Telefon auf extra laut zu stellen. Damit er es auch hört, wenn ich ihn während des Radelns zu kontaktieren wünsche. Das Ding ist so laut, dass, wenn es anschlägt und er sich gerade unter anderen Leuten aufhält, die älteren Herrschaften automatisch damit beginnen, einen Luftschutzkeller aufzusuchen. Er ist zwar schon des Öfteren angemeckert worden wegen dem gewalttätigen Radau, aber er antwortet dann immer, er sei taub, und sein Blindenhund wolle ihn dringend sprechen. Wenigstens hört er jetzt, wenn ich ihn von unterwegs anrufe. Und dann verständigen wir uns. Wo bist du gerade? Ich bin da und da. Wie viel hast du schon gefunden? Das und das. Du machst jetzt ganz langsam kehrt, und ich hole dich dort und dort ein. Roger und Over!

      Das ist toll! Das ist wie beim Militär! Oder wie im Film! Roger und Over! Einfach klasse …

      Und sollte während meiner Tour mir doch einmal ein Konkurrenzsammler die Beute vor der Nase wegschnappen, so brauche ich mich nun nicht mehr drum zu hauen. Nein, ich bleibe stehen, steige ab, sehe zu, wie er das Objekt unserer gemeinsamen Begierde einsackt, und sage dann höchst huldvoll zu ihm: „Nun, denn, so soll deines sein, was meines Begehr gewesen! Auch dein Leib hat Recht auf Speisung, die dir dies Fläschchen spenden möge! Auf dass deine Kräfte erhalten und somit dein Geist klar bleiben möge!“

      Hallelujah! Ich rechne zwar damit, dass man mich irgendwann mal wegen dieses Schwachsinns einkassieren und bei der örtlichen Blubberklinik abliefern wird, aber es macht Spaß zu sehen, wie andere mich für komplett plemplem halten. Und meine eigene Großherzigkeit rührt mich schon fast wieder zu Tränen …

      Im Prinzip also funktionieren unsere Fahrradtouren. Aber nicht immer. Zum einen fahre ich grundsätzlich keine Steigungen. Dem Dicken macht das nichts aus. Der hängt sich tief über seinen Lenker, schaltet einen Gang zurück und strampelt sich mit einer Verbissenheit den Berg hinauf, die mir das kalten Grausen kommen lässt. Wenn er oben ist, geht es gleich schon weiter. Ich mache das nicht. Bergauf fahren strengt mich mächtig an, daher steige ich ab und schiebe. Das bringt mich in Zeitverzug. Und unsere Zeitpläne sind ziemlich eng gesteckt. Das heißt für mich, dass ich mich an anderer Stelle furchtbar ins Zeug legen muss, um wieder aufzuholen. Da hängt mir bergab die Zunge aus dem Hals, dass es eine wahre Pracht ist! Aber anders geht es nicht, denn ich fahre nun mal keine Berge hoch!

      Noch schöner wird die Fahrerei im Sommer. Einem jeden Menschen geht beim Wort „Sommer“ das Herz auf! Mir rutscht es in die Hosen. Ich bin einer der seltenen Typen, die keine Hitze vertragen. Ich hasse es, zu schwitzen. Vor allem auf dem Rad! Man erklärt mir immer, Schwitzen sei gesund, man müsse nur viel trinken! Ich kann aber nicht viel trinken. Ich bin ein Mensch mit einem geringen Flüssigkeitsbedarf. Ich kann mich nicht einfach hinstellen, den Kopf in den Nacken legen und einen halben Liter in mich hinein pumpen, wie das alle anderen Sportskanonen einem so vormachen. Wie oft stand mein Herzblättchen schon vor mir, drückte mir die Wasserflasche in die Hand und forderte mich, die ich mich knapp vor der Bewusstlosigkeit wähnte, lauthals auf: „Drink’! Du solls’ drink’n!!!“

      Und ich trinke ja auch! Ein ganz kleines Schlückchen für den Anfang, damit die Zähne nur ja nicht zu nass werden. Und dann noch eines, ein ganz kleines Bisschen nur, denn in dehydriertem Zustand fällt mir das Schlucken schwer. Es stimmt schon, es ist zum Auswachsen, wenn ich trinken SOLL! Ich stehe schwer schnaufend da, kralle mich an der Wasserflasche fest, lutsche an ihr herum, und jedes Tröpfchen, dass ich irgendwie in mich hinein zwänge, drückt sofort von innen zu den Poren wieder heraus, und ich schwitze und schwitze immer mehr, ich werde immer feuchter und nasser, und das bringt mich schier um, das widert mich an! Ich brauche kein Wasser in einem solchen Zustand, ich muss ins BETT! Aber ich soll trinken, und das kann ich nicht, und ich soll radeln, und das will ich nicht. Wie also macht man da am besten weiter?

      Also, wie bereits angedeutet: im Sommer radeln, das ist bei mir so eine Sache. Mittlerweile habe ich mir ausbedungen, dass alles, was über die 35-Grad-Marke hinausgeht, mich von der Radel-Pflicht entbindet. Das habe ich in endlosen Diskussionen und unter Androhung der Freundschaftskündigung durchgeboxt, und das war ein hartes Stück Arbeit. Aber alles, was an Gradzahlen drunter bleibt, da muss ich raus! Wegen der Figur. Und wegen der Flaschen. Und wegen meinem Teint. Sagt er. Weil ich immer so blass sei. Die Blässe ist mir allerdings angeboren. Und seit ich mit IHM zusammen bin, hat sie sich noch vertieft. Das ist halt so bei mir. Ich werde nicht braun. Ich bekomme trotz Lichtschutzfaktor 200 Sonnenbrand. Wenn der weg ist, bin ich wieder weiß. Ich habe kaum Pigmentierung, bin zwei Stufen von einem reinrassigen Albino entfernt. Und so etwas jagt man mitten im Hochsommer aufs Fahrrad? Ja. Das macht man so. Bis zu 35 Grad. Das sei gesund, erklärte man mir. Nun, wie gut mir das tut, sei in zwei Sätzen geschildert: Der Weg hin zu unserem ersten Bestimmungsort geht ja noch. Das sind an die 10 Kilometer einfache Strecke, und es geht meist ganz leicht bergab. Der Fahrtwind, der mir dabei um die Rübe bläst, mag von anderen meinetwegen gern als belebend und erfrischend empfunden werden, ach, diese herrlich warme Luft! Ich empfinde sie als klebrigen, dicken, viel zu warmen und drückenden Dampf, durch den ich mich da durchzuquälen habe. Zudem muss ich auf unseren Radtouren im Sommer eine Mütze tragen, damit ich mir nicht direkt die Hirnwindungen verbruzzle. Das ist zwar gut und schön und vorausschauend durchdacht, doch unter der Mütze wird es rasch warm, dann heiß, bis mir unter dem Mützenrand der Schweiß vortritt und mir in die Augen trieft. Und nebenher kann ich zuschauen, wie meine sorgfältig eingecremten Arme mit Lichtschutzfaktor Unendlich schön knackig rot werden. Ich kann im Sommer nicht in ärmellosem Top und Shorts radeln, das geht bei mir nicht. Ich trage lange Jeans und ein kurzärmeliges T-Shirt; ich muss möglichst viel anhaben, damit ich mir möglichst wenig verbrenne, verstehen Sie? Das hält schön warm, auch bei schlappen 30 Grad im Schatten! Ich komme nie in Verlegenheit, mir im Sommer Frostbeulen einzuhandeln, das ist wichtig!

      Dem Dicken macht das alles nichts aus. Der findet’s herrlich, dem kann’s nicht warm genug sein. Er radelt vergnügt neben mir einher, lässt sich den wehen Buckel von der Sonne braten, bekleidet nur mit Shorts und einem Hauch von Nichts oben herum. Er ist zwar auch ein hellhäutiger Typ, doch er hat überall – wirklich ÜBERALL – Sommersprossen, die sich bei Sonneneinstrahlung sehr rasch zu einem sehr angenehmen, durchgängigen Bronzeton verbinden. Der hat alles, was man braucht, um braun zu werden. Ich habe nichts. Ich habe meine Mütze, meine warmen Klamotten, – ach, ja, und ich habe die Einweghandschuhe. Ich habe zum Sammeln ja immer diese dünnen