Jamo Mantam

Oooh, Dicker, mein Dicker ...


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Fähigkeit zu vernunftbegabter Diskussion verfügt. Oh, er wird schon diskutieren, wenn Not am Mann ist, keine Sorge! Aber er wird die Diskussion ALLEIN führen, denn die Diskussion ist ER, und nur ER weiß, wo es lang geht, nur ER weiß um Recht und Ordnung, nur ER wird seinen Standpunkt zu vertreten wissen! Weil nämlich alle anderen Diskussionsteilnehmer nicht ZU WORT kommen!

      Aber lassen wir das. Wir werden noch genug Gelegenheit bekommen, dies alles zu beleuchten.

      Fest steht, er hegt Hass und Wut auf alles und jeden. Er legt sich mit Gott und der Welt an, mit den Nachbarn, mit der Hausverwaltung, er streitet und prozessiert, er hat vor nichts und niemandem Angst, ja, er ist einer, der nicht einmal davor zurückscheut, sich bei Erstreitung seiner Rechte auch ab und an mit der Polizei anzulegen. Dies gern auch unter Einbeziehung des Faustrechtes.

      Gut, der verrückte Heini hat auch seine freundlichen Attribute, nur nützen ihm die wenig. Denn egal, um welche Ecke er gerade herum geschleudert kommt, die Leute beginnen sich eiligst aus seinem Dunstkreis zu verziehen. Da kann er sein Gesichtchen noch so freundlich scheinen lassen. Sobald er den Schnabel aufsperrt, um was auch immer von sich zu geben, so treten die Menschen den Rückzug an. Denn sie ist nicht nur unbequem und ungehobelt, diese radelnde Vogelscheuche, sie ist auch LAUT! Ganz laut! Er kann nicht leise sein, der Dicke. Er kann nicht leise reden, er kann nicht leise gehen, er kann überhaupt nichts leise machen. Wo er geht und steht, egal, wo er gerade sein Unwesen treibt, man hört ihn. Auch ohne Worte. Es poltert und kracht und scheppert; man hört ihn eigentlich immer. Selbst wenn er noch meilenweit entfernt ist. Die Tage, die ich mit ihm gemeinsam verbringe, sind erfüllt von meinem halbstündlich heruntergeleierten Mantra: „Nicht so laut – schrei nicht so – bisschen leiser …“ Was wenig fruchtet. Denn seiner Ansicht nach ist er doch nicht LAUT! Er macht doch keinen KRACH, nein! Er doch nicht.

      Aber wie gesagt, das alles werden wir noch ein bisschen genauer unter die Lupe nehmen.

      Was gibt es noch über ihn zu sagen? Ach, eigentlich gibt es so viel über ihn zu erzählen, dass ich gar nicht weiß, wo anfangen. Im Grunde genommen verkörpert er zum einen das nackte Grauen. Und zum anderen einen einfach gestrickten Charakter mit haarsträubenden An- und Einsichten, der mir zum Beispiel weis machen will, den Lieben Gott gebe es eigentlich gar nicht, der sei nur eine Erfindung der Evangelischen als Vorwand dafür, auch ein paar Feiertage unter dem Deckmäntelchen des Christentums kreieren zu können. Weil ja die Katholiken schon so viele hätten. Dies ist nur eine von vielen Weisheiten dieses ungetauften, nie mit Religion in Berührung gekommenen Ex-DDR-lers, der außerdem in der verqueren Überzeugung lebt, unser Lieber Herr Jesus habe an Ostern Geburtstag, und Karfreitag heiße Karfreitag, weil’s da immer Fisch gebe. Äh – also, wie ich das jetzt auseinander dividieren soll, weiß ich auch nicht so recht. Ich habe versucht, ihm das alles zu erklären, stieß dabei auf derart morbides Unverständnis, dass ich es irgendwann dabei bewenden ließ. Als er mich eines Tages um das Mysterium von Christi Himmelfahrt löcherte und ich dieses darzulegen begann, wurde ich anschließend befragt, ob der Liebe Jesus denn mit Air Berlin oder mit Turbo Prob da rauf gefahren sei. Kurzum: An Ostern feiern wir halt jetzt immer dem Lieben Herrn Jesus seinen Geburtstag, und an Weihnachten machen wir einen Christbaum, weil man das eben so macht und der ganze Zirkus eh bloß mal wieder eine Wessi-Erfindung ist, wohl gemerkt: von katholischen Wessis!

      Soweit alles klar?

      Er ist also zu blöd, als dass man ihm noch etwas Neues beibringen könnte, einfach zu gefestigt in seinen eigenen verrückten Ansichten. Er ist zu blöd und zu alt für so genanntes neumodisches Gelumpe. Andererseits wieder verfügt er über genügend Bauernschläue und Hartnäckigkeit, um auf der Suche nach einer neuen Klobrille an einen Verkäufer für Sonnen- und Gleitsichtbrillen zu geraten, den er so lange und aufs Massivste massakriert, bis der bedauernswerte Optiker sich nach einem stundenlangen Streitgespräch erschöpft dazu bereit erklärt, ihm am Wochenende frei Haus einen nagelneuen Toilettensitz zu liefern.

      Und er duzt jeden. Schrecklich! Das ist ganz schrecklich! Ich bin davon überzeugt, würde ihm unser lieber Papst über den Weg laufen, auf welchen göttlichen Wegen auch immer, der Dicke würde Du zu ihm sagen. Und ihn dann nicht fragen, wo denn seine eigene – also des Dicken – göttliche Aufgabe läge, sondern er würde ihn in seiner unglaublich penetranten, bezwingenden Art und Weise anhauen, ob er mit ihm wohl ein Bier trinken ginge. Irgendwo halt, wo es so ein scheiß blödes Bier gäbe. Und ich bin davon überzeugt, unser lieber, guter Papst würde halt mitgehen. Ein Bier trinken. Mit einer unguten, verqueren Seele, die einfach nur eine Klobrille kaufen wollte. Und unser guter, lieber Papst wüsste auch nicht so recht, weshalb er das täte. Er würde halt einfach mitschlurfen. Ein Bier mit dem Dicken trinken. Und sich dann von ihm an den Rand der Suizidbereitschaft quasseln und kreischen lassen …

      Ja, so ist das mit ihm. Kurzum: Der Mann ist ein felsenfester Garant für absolute Peinlichkeiten, was natürlich einen irren Spaß für mich als gelegentliche Begleitperson bedeutet. Für mich, die propere und biedere Bürodame, welche zwangsläufig im Kielwasser dieser komplett durchgeknallten, radelnden, Flaschen sammelnden Kreatur einher dümpelt und sich seit nunmehr satten acht Jahren wieder und wieder fragt, was denn wohl die seligen Eltern zu einem solchen Exemplar gewachsener und gereifter Dussligkeit sagen würden, mit dem ich nun um die Häuser ziehe. Ein Wesen, das mit seinen hanebüchenen Aktionen und den damit verbundenen Erlebnissen, die wir beiden zwangsläufig teilen, bei mir im Büro für so viel schallendes Gelächter gesorgt hat, dass einige meiner Kollegen und Kolleginnen mir schon so oft ans Herz gelegt haben, wenigstens ein paar dieser verrückten und wahren Geschichten zu Papier zu bringen. Geschichten, die wirklich wahr sind. Die einen etwas länger. Die anderen etwas kürzer …

      Was ich hiermit versuche. Der bereits erwähnten Traumabewältigung wegen eben.

      Ein paar Geschichten über einen Blödhammel aus Brummelbach. Der nun unweigerlich in meinem Herzen festsitzt, den ich für mein Leben gern auf den Mond schießen würde, den ich nicht mehr wieder aus meinem Herzen herauskriege, und der es sich zur Obsession gemacht hat, mir all seine Liebe, der er trotz aller Unbillen seines Daseins fähig ist, aufs Auge zu drücken und mich zu umhüten und umhegen, mir auf die Pelle zu gehen und mir den letzten Nerv zu zerfieseln. Ein Knallkopf aus Brummelbach, der trotz allen Aggressionspotentials, mit dem er durchs Leben kurvt, noch immer über genügend Reinheit im Herzen verfügt, um Liebe im Überfluss zu produzieren. So dass ich eben auch nicht anders kann, als zu lieben.

      Ist das nicht furchtbar? Es gibt nur zwei Menschen auf dieser ganzen großen Welt, die er wirklich und aufrichtig liebt. Der eine ist Andrea Berg, – und an die kommt er nicht ran. Der andere bin ich. Weil er an Andrea Berg eben nicht rankommt.

      Ja. Ich hätte damals weglaufen sollen. Mich unsichtbar machen, meinen Wurststand Wurststand bleiben lassen, mich auf Diät setzen und auf Tauchstation gehen. Und vermutlich wäre das im Verlauf unserer weiteren Wurststand-Meetings auch genau so gekommen. Ich hätte weiterhin mein geruhsames Dasein leben können. Und alles wäre gut geblieben.

      Ich hätte weglaufen sollen.

      Aber – es kam alles ganz anders …

      Ich muss ja jetzt immer radeln, ja ja. Ob mir das gefällt oder nicht, ich habe gefälligst zu radeln. Denn ER radelt ja schließlich auch, nicht wahr? Und da habe ich mich anzupassen. Man muss ja Gemeinsamkeiten aufbauen und miteinander pflegen. Ich kann Zeter und Mordio schreien, wie ich will, ich muss aufs Rad! Jeden Sonntag. Akkurat von 10.30 Uhr bis 14.30 Uhr. Egal, wohin. Einfach raus, sagt er. An die frische Luft. Sagt er. Weil mir das gut täte, meint er. Und – das stechendste Argument: gut für die Figur.

      Spätestens dann weiß ich nichts mehr gegen einzuwenden. Denn es verhält sich so: mit der Vollendung meines vierzigsten Lebensjahres begann ich damit, mich körperlich auszubreiten. In alle Richtungen. Das ist ein Prozess, der bis zum heutigen Tage anhält. Der Volksmund nennt diesen Prozess liebevoll „Wechseljahre“. Anfangs wollte ich diese körperliche Ausweitung noch nicht wahr haben; nun ja, ich war vielleicht etwas schwerer geworden mit dem Laufe der Zeit, aber raffiniert geschnittene Kleidung und meine dennoch recht zierlichen Gliedmaßen täuschten über einige Jahre noch darüber hinweg, was indes zwischen Schultern und Schritt langsam und schleichend Einzug gehalten