hatte. Als ich dann im zarten Alter von 44 Jahren einen kritischen Blick in den Spiegel riskierte, gab es nichts mehr zu leugnen. Addierte ich nun noch die Tatsache hinzu, dass ich mich seit einigen Monaten mit mir unerklärlichen täglichen und nächtlichen Hitzeattacken herumschlug und offenkundig mein weiblicher Zyklus ins Schleudern gekommen war, lag auf der Hand, dass ich, bis dahin unbemerkt oder vielmehr erfolgreich verdrängt, meiner unvermeidlichen Menopause entgegentrudelte. Der Blick in diesen vermaledeiten Spiegel bestätigte den Verdacht. Bis vor nicht allzu langer Zeit noch recht schlank und ansehnlich bis auf gewisse Problemzonen, die mich seit der Pubertät piesackten, begann sich nun alles in alle Richtungen zu wölben. Mein einstiges Bäuchlein, altes Relikt aus prähistorischen Babyspeckzeiten, das sich noch sehr gut unter knappen Jeans hatte in seine Schranken verweisen lassen, war zu einem gar stattlichen Bauch geworden, welcher sich nun hartnäckig und erfolgreich gegen jeden noch so stabilen Reißverschluss zur Wehr zu setzen wusste. Meine einstige Taille wurde nun umschmiegt und geschützt von einem kraftvollen, wärmenden Speckgürtel, meine Hüften sind bestens gepolstert, und mein damals noch knackiger Busen wird schwer und immer schwerer und zeigt in verhaltener Traurigkeit nach unten.
Können Sie sich vorstellen, wie das aussieht? Man nehme ein Fass, schraube unten dran zwei ganz lange und ganz dünne Streichholzbeine und stecke oben links und rechts je einen viel zu langen Affenarm dran, dann nehme man eine Kugel, setze die auf einen etwas zu kurz geratenen Hals – das bin dann ich. So sehe ich in nackig aus. Richtig grotesk. Das rührt aber auch von den schlechten Genen, die ich mütterlicherseits verpasst bekommen habe. So jedenfalls lautet meine Standart-Ausrede. Nun könnte ich, wie jede entschlossene Power-Frau, die auf sich hält, dagegen anarbeiten. Ich könnte mich täglich nach Freierabend drei Stunden ins Sportstudio schleppen und mich quälen bis aufs Blut. Aber weder bin ich eine entschlossene Power-Frau, noch mag ich mich quälen. Außerdem würde ja mein tägliches Feierabend-Nickerchen, das zwischen 17 und 18 Uhr absolviert wird, auf der Strecke bleiben. Und das geht ja nun wirklich nicht. Ich müsste mich im Sportstudio aller Welt präsentieren, wie ich unter meiner kaschierenden Bekleidung in Wahrheit aussehe, und das will ich nicht. Außerdem sehe ich mich mit chronischer Faulheit geschlagen. Das ist halt bei mir so.
Also wurstle ich mich durch meine Wechseljahre weiter so durch, mein Körper wechselt seine Form ohne Unterlass, mein Bauch wechselt seinen Standort immer weiter nach außen, meine Hüften immer weiter nach hinten …
Was macht man da bloß?
Diese Frage sollte geklärt werden, als mein Dicker, damals noch der Herr Glaubert, in mein Leben trat.
„Aba da kamma doch wat mach’n!“, erklärte er mir tatendurstig, als wir uns an einem der legendären Dienstage wieder am Wurststand trafen und ich ihm seine Frage, ob ich denn öfters mal ins Freibad ginge, mit der Begründung abschlug, dies ließe meine Figur nicht mehr zu. Kauend ließ er seinen Blick an mir herauf und wieder herunter wandern und stellte fest, das Gesamtbild sehe doch so schlecht gar nicht aus. Im Vertrauen erklärte ich, das Gesamtbild würde dadurch geprägt, dass ich schmal geschnittene Hosen und weit ausgestellte Oberteile trüge und das leidliche Dazwischen also nicht weiter auffiele. Und dieses Dazwischen – ich winkte nur ab. Und dann kam dieser legendäre Satz, der mein weiteres Leben prägen sollte.
„Aba da kamma doch wat mach’n!“
An dieser Stelle muss ich bemerken, dass wir damals noch kein Paar waren. Ich hatte eigentlich auch nie ins Auge gefasst, irgendeine Bindung mit diesem unentwegt quasselnden schrägen Vogel einzugehen, im Gegenteil! Zu dieser Zeit stellte ich ernsthafte Überlegungen an, meinen wöchentlichen Besuch beim Wurststand ganz einzustellen und meine Mittagspausen am Dienstag irgendwo dort zu verbringen, wo man mich nicht finden würde. Ich war noch nicht wieder reif für eine neue Beziehung, ich hatte keine Lust auf eine Beziehung, ich wollte einfach meine Ruhe haben. Und da für mich klar war, dass das Thema Ruhe an der Seite eines manischen Quatschkopfes wie dem da vor mir ein für allemal passé sein würde, gab es da überhaupt keinen Gedanken weiter dran zu verschwenden. Meine nächste große Liebe, so hatte ich mir zum Ziel gesetzt und sie mir noch einmal vergönnt sein sollte, sollte nicht schlechter aussehen als der junge Robert Redford und Geld wie Heu haben. So stellte ich mir mein weiteres Leben vor. Aber doch nicht an der Seite einer frühberenteten, dauerlabernden Vogelscheuche auf einem Fahrrad …
Doch meine Zukunftsvorstellungen würden sich nicht mehr in die Tat umsetzen lassen. Ich wusste das damals nur noch nicht.
Mein semmelkauendes Gegenüber erging sich nun über die Vorzüge des Fahrradfahrens. Würde ich jeden Tag nur eine Stunde Rad fahren, bekäme ich meine Figur ganz schnell wieder in den Griff. Ich konterte, ich müsse jeden Tag acht Stunden meinen Schreibtisch festhalten. Danach hätte ich nicht mehr den Elan, in dieser Hinsicht noch groß was zu machen. Er zeigte sich verständig und rechnete mir dann vor, ich müsse dieses Ansinnen dann eben aufs Wochenende verlegen. Samstag und Sonntag jeweils zwei Stunden aufs Rad, und schon nach ein paar Wochen könne ich eine positive Veränderung feststellen. Und die zwei Stunden müssten doch drin liegen, oder?! ER radle schließlich jeden Tag, und ich solle ihn doch mal ansehen!
Jaaa, – und da hatte er wohl Recht! Ich kannte ihn ja nun schon einige Wochen, und aus unseren ersten Wurststand-Meetings im Sommer, als er in kurzen Hosen und leichtem T-Shirt unterwegs gewesen war, wusste ich, dass er über einen strammen, durchtrainierten Leib verfügte. Das stimmte schon. Diesbezüglich war er recht ansehnlich. Doch schon allein die Aussicht auf körperliche Agitation trieb mir den Schweiß auf die Stirn. Ich winkte erneut ab und konterte, ich sei vor 25 Jahren letztmals auf einem Rad gesessen, was die altbewährte Antwort zur Folge hatte, Radfahren verlerne man nicht. Um mein letztes Pulver zu verschießen, log ich, ich hätte überhaupt kein Rad. Woraufhin mir der Herr Glaubert strahlend eröffnete, dies mache überhaupt nichts aus, denn er habe zwei Räder. Erst kürzlich habe er sich ein nagelneues erworben, und das könne ich ja dann haben! Diese Information verwirrte mich zunächst. Sollte das heißen, er wolle mir sein nagelneues Rad schenken, damit ich am Wochenende etwas für meine Figur tun könne? Und im nächsten Moment stellte ich tief erschrocken fest, dass er bereits lautstark plante! Ich könne ihn doch am Wochenende mal besuchen! Einfach so! Eine kleine Fahrradtour mit ihm unternehmen! Ich würde feststellen, wie rasch ich in die Radelei wieder hineinfände! Und wie gut mir das täte! Eine kleine Probetour nur, ganz leichte Strecke, und ich solle doch am Sonntag in Brummelbach im Ebereschenweg 13 vorstellig werden, ob ich mir das merken könne?! Und dann würden wir gemeinsam eine ganz leichte, ganz schöne Tour machen, und das würde ganz toll sein und so weiter und so fort, und ehe ich noch irgendwelche Einwände dagegen vorschieben konnte, erbat er mir etwas zum Schreiben, was ich als Bankangestellte stets in meiner Handtasche mit mir führe. Er diktierte mir seine Handy-Nummer, bläute mir nochmals ein, am Sonntag um 12.30 Brummelbach, Ebereschenweg 13, und wenn mir was dazwischen käme, solle ich mich kurz melden, dann würden wir es vertagen, sei ja gar kein Thema, aber das Wetter solle ja noch halten, so einen schönen Novemberanfang hätten wir ja schon lange nicht mehr gehabt, und damit sprang er auf sein Rad, stieg in die Pedale, schickte mir ein begeistertes Tschüss nach und verschwand um die nächste Ecke.
Komplett überfahren blieb ich mit meiner Semmel in der Hand an meinem Wurststand zurück und starrte auf den Zettel mit der Telefonnummer. Was war DAS gewesen? Brummelbach? Wo, in drei Teufels Namen, lag Brummelbach? Und was dazwischenkommen? Selbstverständlich würde mir was dazwischenkommen! Keine zehn Gäule würden mich dazu bringen, mit diesem eigenartigen Knallkopf irgendwelche Touren zu unternehmen! Nein! Niemals! Auf gar keinen Fall …
Am Abend schaute ich zu Hause in meinem Autoatlas nach, wo dieses Brummelbach lag. Wer, um Himmels Willen, wohnte in Brummelbach?!
Am Sonntag fuhr ich nach Brummelbach. Ich hätte es bleiben lassen können, ich weiß. Den Zettel mit der Telefonnummer verlieren, den Wurststand abhaken und meinem weiteren Dasein die gewohnten ruhigen Bahnen gönnen. Ein Leben in Gemütlichkeit, Ruhe und Sicherheit. Doch irgendetwas trieb mich. Ich kann es bis heute nicht erklären, aber ich vermute mal, mich leitete die blanke Neugier, mal zu sehen, wohin es dieses radelnde Etwas aus dem schönen Sachsen verschlagen hatte. Darüber hinaus redete ich mir ein, ich würde es bei dieser einen Radtour bewenden und unsere Wege sich dann wieder sich trennen lassen. So einfach war der Plan. Ich würde ihm klar machen, ich wolle nicht mehr Rad fahren, ich könne nicht mehr Rad