Denise Hunter

Hüter meines Herzens


Скачать книгу

noch mehr zittern ließ. „Gib mir die Schlüssel!“

      Aber Noah war schon auf halbem Weg zu seinem Pick-up.

      Sie schlidderte hinter ihm her und rutschte dabei fast aus. „Noah!“

      Sie holte zu ihm auf, als er die Beifahrertür öffnete.

      Sein Gesicht war hart wie ein Eisblock. „Steig ein.“

      „Gib mir meine Schlüssel!“

      „Steig ein, Josephine, oder ich ziehe dich eigenhändig rein.“

      Sie steckte blitzschnell eine Hand in seine Manteltasche, aber ehe sie die Schlüssel finden konnte, hatte er sie in die Arme genommen und hochgehoben. Er machte einen Schritt, warf sie ohne weitere Umstände in den Wagen und schloss die Tür hinter ihr.

      Bis sie sich aufsetzen und nach dem Türgriff greifen konnte, hatte sich Noah schon auf den Fahrersitz gesetzt und die Türen von innen verriegelt.

      Josephine entriegelte das Schloss an ihrer Tür, aber bevor sie den Griff erreichen konnte, packte Noah sie am Arm. „Beruhig dich mal! Du machst dich lächerlich.“

      „Und du schikanierst mich. Du kannst mich nicht einfach entführen. Ich will nicht hierbleiben.“

      „Dann hättest du nicht kommen sollen.“

      Das tat weh. Sie strengte sich sehr an, ihre Zunge im Zaum zu halten. „Ich wollte dir einen Gefallen tun.“

      Er lachte ironisch, startete das Auto und wendete.

      Sie hielt sich am Armaturenbrett fest, um nicht gegen ihn zu fallen. Der Wagen rutschte ein bisschen, und er nahm Tempo weg, um um die nächste Kurve zu fahren.

      Josephines Augen fielen auf das Häuschen, das sich auf den entfernten Hügel schmiegte. Ihre ganze Wut verschwand, wurde verdrängt von dem Grauen, das langsam durch ihre Adern kroch. Das alles passierte wirklich. Sie war bei Noah. Sie würde die Nacht mit Noah verbringen. Ganz allein. Nur sie beide zu zweit.

      Sie schloss ihre Augen und ließ das Haus einen süßen Moment des Verdrängens lang verschwinden. Sie atmete tief ein, und sein vertrauter männlicher Geruch, Moschus und Holz, füllte ihre Nasenlöcher.

      Sie konnte dem hier nicht entgehen. Konnte ihm nicht entgehen.

      Er hatte recht. Es war zu kalt, um die Nacht im Auto zu verbringen, und sie war nass bis auf die Haut. Ihre Zähne klapperten, und ihr Körper bebte von der Art Kälte, die bis in die Knochen zog. Wie konnte das alles hier passieren? Sie war so eine dämliche, blöde Kuh. Warum war sie hier herausgefahren? Warum hatte sie nicht nach der Wettervorhersage geschaut?

      Sie öffnete die Augen und konzentrierte sich auf das Häuschen, das immer näher kam. Es war so klein. So klein wie ihr Bungalow in der Katydid Lane. Sie erinnerte sich daran, wie sie sich an kalten Winterabenden auf ihrer durchgesessenen Couch, in eine Wolldecke eingewickelt, zusammengekuschelt hatten. Wie sie zusammen in der engen kleinen Küche das Abendessen gekocht hatten, wie seine Hand die Rundung ihrer Hüfte fand, seine Lippen ihren Nacken. Wie sie Töpfe und Pfannen auf dem Herd zurückließen, wo das Essen verkochte, während er sie rückwärts ins Schlafzimmer führte.

      Die Erinnerungen schossen wie Sternschnuppen durch ihren Kopf und hinterließen eine Spur der Verzweiflung. Ihr Herzschlag sprang in ihrer Kehle. Ihre Brust wurde eng, und hinter ihren Augen fing es an zu brennen.

      Er hielt vor dem Haus an und stellte den Motor ab. Sie starrte an den schmelzenden Rinnsalen vorbei aus dem Fenster auf das Haus vor ihnen und fragte sich, wie sie diese Nacht überstehen sollte.

      KAPITEL 6

      Das Heulen des Windes gesellte sich zu dem stetigen Prasseln des Eisregens auf dem Dach von Noahs Pick-up-Truck. Er drehte sich zu Josephine, die schweigend aus dem beschlagenen Beifahrerfenster starrte.

      Das Kämpferische schien während der kurzen Fahrt vom Stall herüber aus ihr herausgesickert zu sein, und sie hatte sich nach innen gewandt. Das machte sie manchmal. Noah gefiel sie besser, wenn sie aufgebracht war, wenn Funken aus ihren blauen Augen schossen. Mit Wut konnte er umgehen. Dieses stoische Schweigen machte ihn hilflos. Und er fühlte sich nicht gern hilflos.

      Auch von seiner eigenen Wut war viel verraucht. Genug, dass er sich schuldig fühlte für die Art, wie er sie ins Auto bugsiert hatte. Er war nie anders als vorsichtig und zart mit ihr umgegangen, selbst wenn sie ihn provoziert hatte. Er fragte sich, ob es daran lag, dass ihre Schultern jetzt hochgezogen und die Knie von ihm abgewandt waren.

      „Es könnte sich zu Regen verändern und in ein, zwei Stunden wieder schmelzen.“

      Als sie nicht antwortete, stieg er aus und ging zum Haus. Er war erleichtert, als er ihre Schritte hinter sich hörte. Immerhin würde er nicht wieder handgreiflich werden müssen. Dieses närrische Weib. Sie würde dort draußen keine drei Stunden überleben. Ihr wurde ja schon kalt, wenn die Temperatur unter zwanzig Grad fiel.

      Er öffnete die Haustür, führte sie hinein und schloss die Tür dann wieder gegen den brausenden Wind. Shadow, sein schwarzer Labrador, kam ihm schwanzwedelnd entgegen, um ihn zu begrüßen. Noah kraulte sein Fell, aber der Verräter erkannte Josephines Geruch und bohrte leise winselnd seine Schnauze in ihre offene Handfläche.

      Sie kniete sich hin, und Shadow leckte ihr das Wasser vom Gesicht. Das erste Mal seit ihrer Ankunft umspielte ein kleines Lächeln ihre Mundwinkel. „Hallo, Schätzchen“, gurrte sie. „Oh, ich habe dich so vermisst. Du bist so ein guter Junge, ja wirklich, das bist du.“

      Er schenkte ihnen einen Moment und hatte augenblicklich Gewissenbisse, weil er sie voneinander getrennt gehalten hatte. Klar war Shadow sein Hund gewesen, aber er konnte auch nicht leugnen, dass es eine besondere Verbindung zwischen Josephine und dem Labrador gab.

      Am Ende stand sie zitternd auf seinem Teppich und sah aus wie ein verwahrlostes nasses Kätzchen. Ihre Hände zitterten, als sie ihre dünnen Ballerinas auszog. Ihr weißer Pullover war so dünn und nass, dass er das hellblaue T-Shirt sehen konnte, das sie daruntertrug.

      „Du brauchst eine heiße Dusche.“ Er zeigte den Flur hinunter. „Da lang geht es zum Bad.“

      Sie warf einen Blick auf die Holzdielen und schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich will nicht deinen ganzen Boden volltropfen.“

      „Das trocknet schon wieder.“

      Er wartete, bis die Dusche anging, und eilte dann wieder nach draußen. Mary Beth verwahrte Ersatzklamotten im Stall. Vorher hatte er noch nicht daran gedacht, sie zu holen. Der Wind war übel und peitschte ihm auf dem Weg zum Wagen Eis ins Gesicht.

      Wind und Regen hatte er erwartet. Viel Regen. Das Sturmtief war enorm. Aber eigentlich war nicht vorhergesehen gewesen, dass die Temperatur tief genug für Eisregen fiel. Jetzt, wo es passiert war, fragte er sich, was sonst noch kommen würde. Vielleicht würde der Eisregen wieder zu normalem Regen werden, und er konnte Josephine später am Abend in die Stadt zurückbringen. Für ihr Auto würde er einen Abschleppwagen rufen, und dann hätte er sie endlich endgültig vom Leib.

      In der Scheune nahm er sich etwas Zeit, um Kismet zu beruhigen. Das braune Vollblut war neu in seinem Stall und äußerst zaghaft. Gestern hatte er eine Dreiviertelstunde lang bei dem Pferd im Auslauf gesessen, das ängstlich hoch wiehernd auf und ab trabte, während seine Ohren fortwährend hin und her zuckten.

      Jetzt sprach Noah in tiefen Tönen mit ihm und streichelte Kismets Widerrist, als der ihn mit einem Stupsen dazu aufforderte. Nach ein paar Minuten beruhigte sich das Pferd. Noah holte Mary Beths T-Shirt und ihre ausgebleichte Jeans. Er schnappte sich die Scheidungspapiere von der Tonne und nahm auf dem Weg nach draußen Mary Beths Arbeitsmantel vom Haken. Nachträglich fiel ihm noch ein, ihre Stiefel ebenfalls mitzunehmen.

      Er konnte sich Josephine in diesen abgewetzten Kleidern nicht vorstellen. Mary Beth war ungefähr gleich groß und dürfte in etwa die gleiche Größe tragen, aber sie bestand ganz aus geraden Linien und Kanten, wirkte schlaksig. Josephine dagegen … nicht.

      Als