Denise Hunter

Hüter meines Herzens


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aufgezogen, aber entweder hatte sie sich gebessert, was das anging, oder aber sie nahm Rücksicht.

      Mit einem Klicken öffnete sich die Tür, als er gerade den zweiten Stiefel auszog. „Noah?“ Ein Hauch Panik lag in ihrer Stimme, und er fragte sich, wie oft sie schon nach ihm gerufen hatte.

      „Gleich.“ Er brachte ihr das Kleiderbündel. Dampf quoll aus dem Türspalt, als er ihr die Kleider reichte. Er wandte seinen Blick ab und versuchte, nicht daran zu denken, was sie wohl gerade auf der anderen Seite trug oder nicht trug.

      „Danke.“ Die Tür schloss sich.

      Er legte Jacke und Sweatshirt ab und behielt nur sein schwarzes T-Shirt und die feuchte Jeans an. Lieber erst einmal übers Abendessen nachdenken. Dann würde er duschen und nach dem Wetter sehen. Er hatte gerade erst damit begonnen, den Inhalt seiner Speisekammer zu begutachten, als er sie hinter sich hörte.

      Shadow ließ ihn stehen, um sie schwanzwedelnd und mit heraushängender Zunge zu begrüßen.

      „Hast du einen Trockner für die hier?“

      „Da hinten.“ Mit einer Kopfbewegung wies er in die ungefähre Richtung.

      Er beobachtete sie beim Weggehen. Ihre nackten Füße patschten über seinen Küchenboden. Die Jeans hatten die richtige Länge, spannten aber an der Sitzfläche und mussten in der Taille mit einem Gürtel zusammengerafft werden, den sie anscheinend schon vorher getragen hatte.

      Er wandte sich wieder seinen Vorräten zu und versuchte, das Bild ihres herzförmigen Hinterns aus seinem Kopf zu verbannen. War das Wollust, wenn sie immer noch verheiratet waren?

      Er schlug seinen Kopf gegen die Tür der Speisekammer. Einmal. Zweimal. Idiot. Er war schon einmal verblendet gewesen. Nie wieder. Gib ihr was zu essen und schaff sie hier raus.

      Er überflog die Auswahl an Konserven und Schachteln. Noah machte sich nicht die Mühe, für sich allein zu kochen, und sein Vorratsschrank spiegelte sein einfaches Küchenkönnen wider. Er hatte am Samstag vorgehabt, bei Piggly Wiggly ein paar Kleinigkeiten mitzunehmen, war dann aber durch seinen unglückseligen Zwischenstopp bei der Post abgelenkt worden.

      Er versuchte immer noch, einen Plan zu schmieden, als der Trockner ansprang. Einen Moment später fühlte er Josephines Gegenwart in seinem Rücken.

      „Warum gönnst du dir nicht eine heiße Dusche, während ich mich ums Abendessen kümmere?“, schlug sie vor.

      „Essenstechnisch ist da nicht viel zu machen.“ Er sah sie über seine Schulter an. „Ich müsste längst mal zum, äh …“

      Das Farnam-Logo auf ihrem lila-grauen T-Shirt spannte sich straff über ihrer Brust. Wenn Mary Beth das T-Shirt je getragen hatte, erinnerte er sich nicht daran.

      Er riss seine Augen von dem Logo los und blinzelte. „Äh, Supermarkt. Vielleicht ist noch was im Gefrierschrank.“

      „Mir fällt schon was ein.“

      Die Küche war um zwei Größen geschrumpft. Irgendetwas Metallisches klickte gleichmäßig in der Trommel des Trockners.

      Ihr feuchtes Haar war zerzaust, und ihr Gesicht war ungeschminkt, was ihre Augen hervorhob, obwohl die ihn immer noch nicht anschauten. So war sie ihm immer am liebsten gewesen. Natürlich. Sie brauchte keinen Lippenstift und keine Wimperntusche. Obwohl sie, echtes Südstaatenmädel, das sie war, nie ohne aus dem Haus ging. Ohne diese Maske aus Make-up haftete etwas Verletzliches an ihr.

       Es befindet sich kein verletzlicher Knochen in ihrem Körper, Mitchell.

      Sein Herz wehrte sich gegen den Gedanken, aber sein Hirn wusste es besser. Sosehr sie sich auch bemühte, es zu verstecken – vor ihm, vor allen anderen –, da drin steckte irgendwo ein geschundenes kleines Mädchen.

      Aber es lag nicht mehr an ihm, dieses Rätsel zu lösen. Er wandte sich Richtung Bad. „Dann überlasse ich dir das Feld.“

      Sobald sich die Badezimmertür geschlossen hatte, taumelte Josephine gegen die Wand. Die Dusche hatte sie aufgewärmt, aber diese unfassbare Situation setzte sie so unter Adrenalin, dass ihre Knie weich waren wie gekochte Nudeln.

      Shadow schob sein Maul in ihre Hand. Er bettelte um Aufmerksamkeit und bekam sie auch. Mit gesprenkelten braunen Augen schaute er zu ihr auf, das eine Ohr aufgestellt, das andere geknickt. Noah hatte immer gescherzt, es sei kaputt, aber Josephine hielt dagegen, es sei einfach Teil seines Charmes.

      „Gut jetzt, Mädchen“, murmelte sie sich selbst zu. „Reiß dich zusammen.“ Sie wandte sich der Speisekammer zu, schob Dosen beiseite, überflog die Etiketten, gab aber angesichts der wilden Mischung bald auf. Der Gefrierschrank spuckte immerhin etwas Hackfleisch und gefrorenen Brokkoli aus.

      Sie taute das Fleisch auf, und als sie hörte, wie Noah im Nebenzimmer das Feuer schürte, brutzelten längst Frikadellen in der Pfanne. Ein bisschen Fett spritzte ihr aufs T-Shirt, als sie einen der Burger umdrehte, aber das war ihr so was von egal.

      Als er sagte, er würde trockene Kleider für sie heraussuchen, hatte sie eins seiner T-Shirts und eine Jogginghose erwartet. Doch diese Klamotten schrien förmlich nach „Mary Beth Maynor“. Sie versuchte, nicht weiter über den Grund nachzudenken, warum Mary Beth Kleider in Noahs Zuhause aufbewahrte. Versuchte, alle Gerüchte aus ihrem Kopf zu verbannen. Aber sie krochen immer wieder aus den Schatten und verspotteten sie.

       Das geht dich alles nichts an, Josephine. Er gehört dir nicht mehr. Egal, was es mit den Papieren auf sich hat.

      Sie briet die Frikadellen fertig, packte sie mit einem großzügigen Klecks Senf zwischen zwei Scheiben Weißbrot und legte zwei davon auf Noahs Teller. Sie verteilte den dampfenden Brokkoli und platzierte die Teller auf dem Tisch der Essecke, die einst seiner Großmutter gehört hatte.

      „Es ist fertig“, rief sie.

      Noah betrat den Raum. Er roch sauber und trug frischgewaschene Jeans und T-Shirt.

      Er setzte sich ihr gegenüber und senkte den Kopf, schloss sie aus seinem stillen Gebet aus. Vermutlich bat er Gott um eine Hitzewelle.

      Früher hatte er an genau diesem Tisch immer ihre Hand gehalten und für sie beide gebetet. Nach dem Amen hatte er dann sanft ihre Hand gedrückt. Josephine hatte es nicht so mit dem Beten. Es hatte ihr nie viel gebracht. Aber aus ihrem abendlichen Ritual hatte sie Mut geschöpft. Aus seinem Glauben.

      Jetzt sah sie seine Hände an, die zu Fäusten geballt neben dem Teller lagen. Seine starken, männlichen Hände hatte sie immer gemocht. Männerhände: rau, schwielig, aber zärtlich. Ein Hauch dunkler Haare zog sich über seinen Unterarm und führte zu ihrem Lieblingsteil seiner Anatomie – seinem Bizeps, geformt und gehärtet durch stundenlange körperliche Arbeit. Sein Beruf hatte sich verändert, nicht aber diese Arme.

      Ihr Blick wanderte hinauf zu seinem arglosen Gesicht. Dunkle Augenbrauen schwangen sich über seinen geschlossenen Augen. Seine Wimpern waren feucht und hoben sich spitz von seiner olivfarbenen Haut ab, und dichte Stoppeln zogen sich über seinen Unterkiefer. Zwei-Tage-Bart, schätzte sie.

      Damals hatte sie ihn manchmal an faulen Samstagvormittagen rasiert. Er konnte nie stillhalten oder seine Hände bei sich lassen. Oft lag er am Ende halb rasiert wieder mit ihr unter den kühlen Bettlaken, wo sich das Lachen in seinen Augen schnell genug in Lust verwandelt hatte.

      Seine Augen öffneten sich und richteten sich auf ihre. Sie war wie ein Reh im Scheinwerferlicht gefangen. Sie fragte sich, ob er wohl ihre Gedanken lesen konnte, und lief rot an. Was die wechselseitige Chemie anging, hatten sie nie Probleme gehabt.

      Sie senkte den Blick auf ihren Teller und hob ihren Burger mit zitternden Händen.

      Sie musste aufhören, so zu denken. Da sah man doch gleich, was es mit ihr machte. Sie konnte nicht einmal in seiner Nähe sein, ohne ihn wiederhaben zu wollen. Sie hatte sich gesagt, diese Gefühle seien tot, aber offenbar hatten sie nur Winterschlaf gehalten. Und drohten bei der leisesten