Petra A. Bauer

Unschuldsengel


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      «Sie ham doch schon den Kuchen bezahlt.»

      «Dann betrachten Sie es als Arbeitsaufgabe!»

      Mina sah ihn fragend an.

      «Sie lesen das Buch und sagen mir, was Ihnen daran gefallen hat und was nicht. Dann kann ich sozusagen mit einer Buchbesprechung aus erster Hand zu den Buchhändlern gehen.» Er lächelte.

      Mina wollte schon zustimmen, zögerte dann jedoch. Weinhaus schien zu wissen, was sie sagen wollte. «Dazu müssten Sie sich jedoch überwinden, mich noch einmal wieder zusehen.» Mina spürte, wie die Röte langsam ihr Gesicht empor wanderte. Das kostet doch keine Überwindung, dachte sie. Wenn ich nur wüsste, ob sich das schickt. Schließlich kam sie zu dem Schluss, dass es gleichgültig war, ob es sich schickte oder nicht. Es musste ja niemand erfahren. «Einverstanden!», sagte sie schließlich.

      «Dann würde ich mich aufrichtig freuen, wenn wir uns in einer Woche hier wieder um fünfzehn Uhr treffen würden. Können Sie das einrichten?»

      Auf dem Nachhauseweg war Mina sehr damit beschäftigt, ihre Hände ruhig zu halten, die ohne Unterlass zitterten, als hätte sie nicht nur eine Tasse Kaffee getrunken, sondern fünf. Zugegeben, der Kaffee war kräftig gewesen, das war sie nicht gewohnt. Doch das Zittern kam auch aus ihrem Herzen. Das ist inzwischen der zweite Mann, der mich um ein Wiedersehen bittet, dachte Mina. Ob es im Leben wohl immer so weitergehen würde? Sie umklammerte das Buch, las aber noch nicht darin. Es war zu kostbar, um es im Omnibus oder der Bahn zu entweihen, die voller Menschen waren, die nicht zu würdigen wüssten, welchen Schatz sie bei sich trug.

      Die U-Bahn mied sie heute, sie fühlte sich nicht danach, im dunklen Tunnel unterwegs zu sein. Dann dachte sie plötzlich an Siegfried, und das schlechte Gewissen drohte, sie zu übermannen. Gleichzeitig fragte sie sich, womit er diese Rücksichtnahme überhaupt verdient hatte. Schließlich hatte er Mina verlassen und nicht umgekehrt. Aber sie konnte ihn einfach nicht vergessen.

      Mina schaute aus dem Fenster. Bei dem schönen Wetter schienen fast nur Liebespaare unterwegs zu sein. Einige hielten sich an den Händen, einige wagten dies nicht und beschränkten sich auf verzehrende Blicke. So viele Menschen, die einander liebten! Trauerte sie Siegfried vielleicht völlig umsonst hinterher? Gab es die wahre Liebe überhaupt? Oder war dies nur eine Illusion hoffnungsloser Romantiker, die nicht wahrhaben wollten, dass man mit jedem Menschen zusammenleben konnte, wenn man nur halbwegs ähnliche Interessen hatte?

      Sie stand auf, damit sie an der nächsten Station aussteigen konnte, und überlegte, ob sie ein Beispiel fand. Natürlich! Ihre Eltern waren doch so ein Fall. Die beiden behandelten einander stets mit Respekt. Doch solange sie denken konnte, hatte Mina sie niemals händchenhaltend oder sich eng umschlungen küssend gesehen. Mina erinnerte sich an den Tag, als sie ihre Mutter einmal fragte, ob sie verliebt in ihren Vater sei. Die Mutter wischte sich ihre Hände an der Schürze ab und sagte, Liebe wäre purer Luxus. Mina war damals zu klein, um die tiefere Bedeutung der Worte zu verstehen. Was sie jedoch verstand, war, dass sie nicht weiter nachfragen sollte. Doch inzwischen begann sie zu erahnen, was hinter den Worten ihrer Mutter stecken mochte. Wer weiß, ob sie an Siegfried nicht nur so hing, weil er der Erste gewesen war, der Interesse an ihr gezeigt hatte. Und mit Emil Weinhaus hatte sie sich ja immerhin sehr gut unterhalten. Das war doch durchaus ein Anfang. Alles Weitere sollte sie einfach abwarten.

      Die Straßenbahn hielt, und sie ging den Rest bis zu Charlottes Wohnung zu Fuß. Charlotte wollte sie von ihrer Begegnung mit Emil Weinhaus vorerst nichts erzählen. Mina wollte sich erst einmal selbst über alles klarwerden.

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