in der Katharinengemeinde untergebracht. Wie, das ist deren Angelegenheit. Die Westdeutschen kommen morgens von Westberlin herüber und müssen abends wieder zurück.“
Bei den Anwesenden trat betretenes Schweigen ein. Rico fing sich als Erster wieder: „Das ... das geht nicht anders?“
„Was fragst du mich? Ich kann nichts für das System. Die Vermutung liegt nahe, dass die staatlichen Stellen auf diese Weise unsere Zusammenkunft torpedieren wollen.“
„Na gut“, schloss Uwe das leidige Thema ab. „Wie Wolfgang schon sagte, können wir nichts dagegen unternehmen.“ In seinem Kopf arbeitete es. Wenn die Westdeutschen jeden Abend zurückfuhren, würde vielleicht bei der letzten Fahrt die Kontrolle schlampiger verlaufen oder überhaupt nicht stattfinden. Wäre das seine Chance?
„Mehr können wir heute Abend nicht klären“, meinte Wolfgang. „Ich setze euch über die nächsten Schritte in Kenntnis.“
Kapitel 7
In Berlin angekommen, stand Uwe vor einem Klavier, welches schon bessere Zeiten gesehen hatte. Er säuberte sich gewohnheitsgemäß mit einem Schraubenzieher die Fingernägel und überlegte, wie er den Herrschaften beibringen konnte, dass das Instrument auf den Schrott gehörte. Nicht nur die Filzscheiben unter den Tasten waren den Motten zum Opfer gefallen, sondern auch andere Filze in der Mechanik. Zudem lagen wieder alte Brötchen zwischen den Saiten. Um dies zu erkennen, hatte der Klavierstimmer fünf Stunden Bahnfahrt auf sich genommen. Nun, das würde er der Gemeinde in Rechnung stellen. Zudem kamen noch der Wochenend- und der Erschwerniszuschlag.
Die Tür öffnete sich und Frau Kannegießer erschien im Zimmer. „Na, geht es voran?“
Uwe antwortete leicht verärgert: „Sehen Sie sich diese Schweinerei an.“ Mit dem Schraubenzieher deutete er ins Innere des Pianos.
Frau Kannegießer trat näher. „Das ist doch Mäusedreck“, sagte sie angewidert. „Und was sind das für Krümel?“
„Reste von Filzteilen, die die Motten übrig gelassen haben. Ich kann Ihnen noch mehr zeigen.“ Uwe zog eine Gabel und vertrocknete Brötchen aus dem Inneren der Mechanik. „Ich möchte nicht wissen, was unter den Tasten verborgen liegt. Es geht ja noch weiter.“ Er zog die Holzplatte unter der Tastatur heraus, worauf ihm eine zerbrochene Holzstange entgegenfiel. „Wollen Sie noch mehr sehen? Ich weigere mich, diesen Schrott zu reinigen.“
„Wir brauchen das Instrument aber!“, stöhnte Frau Kannegießer.
„Das glaube ich Ihnen“, antwortete Uwe, nun etwas ruhiger. „Das Reinigen ist noch das kleinere Übel. Sie werden keinen Klavierbauer finden, der den Kasten repariert.“ Mit diesen Worten wies der junge Klavierstimmer auf die von Motten zerfressenen Hämmerchen. „Zur Not kann ich das Klavier stimmen, das ist aber auch alles.“
Frau Kannegießer atmete erleichtert auf. „Das ist erst mal die Hauptsache.“ Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer.
Undank ist der Helden Lohn, dachte Uwe und öffnete den Werkzeugkoffer.
„Ist Herr Jäger schon eingetroffen?“, fragte Herr Engelmann Frau Kannegießer, die etwas angesäuert den Raum betrat.
„Ja.“
Wo ist er jetzt?“
„Im Musikzimmer. Er regt sich wegen des Klaviers auf.“
„Mit Recht“, meinte Herr Engelmann. Der hochgewachsene, etwas schlaksig wirkende Mann saß auf einer Tischkante und spielte mit einem Kugelschreiber. „Ich wollte wegen etwas anderem mit Ihnen reden.“
„Wegen der Westdeutschen?“
Herr Engelmann nickte bestätigend. Er rutschte von der Tischkante und lief im Raum auf und ab. „Ein Herr ... Herr ...“ Der Mann ging zu einem kleinen Schreibtisch und wühlte in einem Schubfach. Endlich fand er das Gesuchte. Auf einem dicht beschriebenen Blatt Papier las er den Namen ab. „Ein Herr Steinert aus Oberlensbach gibt uns morgen die Ehre.“
„Hängt das mit der Zieling zusammen?“
„Vermutlich. Ich wurde nur gebeten, Herrn Jäger wegen eines oder zwei der Klaviere zu bestellen.“
„Was hat Herr Steinert damit zu tun?“, fragte Frau Kannegießer.
„Soviel ich weiß, ist er ein ehemaliger Lehrer von Herrn Jäger.“
„Und was hat die Westdeutsche damit zu tun?“
„Das weiß ich ebenso wenig wie Sie. Ich soll nur den Klavierstimmer nach Berlin holen. Irgendwie hängt die Frau mit drin.“
„Übernachtet er wieder im Gästehaus?“, fragte Frau Kannegießer.
„Er schläft doch jedes Mal dort, wenn es nötig ist. Ich schau mal nach ihm.“ Eiligen Schrittes verließ Herr Engelmann den Raum. Zwei Türen weiter betrat er leise das Musikzimmer.
Inmitten von herausgenommenen Tasten saß Uwe, mit einem Lappen Taste für Taste säubernd, auf dem Fußboden. Er war so in seine Arbeit vertieft, dass er den Gemeindehelfer erst wahrnahm, als dieser neben ihm stand.
Erstaunt blickte dieser auf das Durcheinander von Tasten, alten Lappen und neu aussehenden Filzscheiben. „Sie geben sich aber viel Mühe mit diesem Schrotthaufen.“
„Ich gebe mein Bestes“, knurrte Uwe. „Morgen werde ich Schnupfen haben.“
„Sind Sie Allergiker?“
„Leider. Deswegen nehme ich eigentlich keine Reinigungen mehr an.“
„Das hätten Sie uns sagen müssen.“
Uwe lachte: „Ich werde es überstehen.“
Herr Engelmann hockte sich neben dem Klavierstimmer auf den Boden. Nach einer Weile fragte er zögernd: „Kennen Sie einen Herrn Steinert?“
Vor Schreck ließ Uwe eine Taste fallen. „Er war mein Klassenlehrer.“
„Er kommt morgen Vormittag.“
„Ist deswegen Ihr Auftrag so dringend?“
„Nicht nur. Wir brauchen vor allem das Klavier im Gemeinderaum.“
Der Schrotthaufen hier ist dann wohl Beschäftigungstherapie, dachte Uwe. „Was möchte Herr Steinert von mir?“, fragte er.
„Das weiß ich selbst nicht.“
Uwe beschloss, die Frage vorerst auf sich beruhen zu lassen. Er nahm den Lappen, putzte die restlichen Tasten und setzte sie in die Klaviatur ein. „Ich möchte die Reinigung heute noch schaffen, sodass ich morgen für den Gemeindesaal Zeit habe.“
Nach einer Weile überließ Herr Engelmann den Techniker sich selbst und verließ den Raum.
Die geplante Ankunft Steinerts hatte Uwe aus dem Konzept gebracht. Das alles fand er sehr sonderbar. Aus welchem Grund interessierte sich sein ehemaliger Schullehrer zwei Jahre nach Abschluss der Berufsausbildung für ihn? Das letzte Mal hatte er ihn getroffen, um Meikes ersten Brief abzuholen. Meike? Sollte das Ganze doch mit ihr zusammenhängen? In ihren letzten Briefen hatte nichts darüber gestanden. Ruhelos lief Uwe durch den Raum. Konnte es sein, dass sie hier war? Bestimmt nicht. Sie hatte ein Einreiseverbot. Doch galt dies auch für Berlin? Hatte vielleicht das ewige Warten bald ein Ende?
Später, in seinem Gästezimmer, wollte der Schlaf nicht kommen. Lange wälzte sich Uwe in seinem Bett hin und her. Sicher machte er sich umsonst Hoffnung. Dass Herr Steinert in Berlin war, brauchte nicht zwangsläufig mit Meike zusammenzuhängen. Uwe stand auf und holte etwas aus seiner Tasche. Es war ein kleines Abzeichen, auf dem Schwerter zu Flugscharen abgebildet waren. Aus der Erinnerung heraus hörte er die Stimme seiner Freundin: „Ich möchte, dass du ein Andenken von mir hast. Schwerter zu Pflugscharen, das Symbol der Friedensbewegung. Es wird uns verbinden, bis wir uns wiedersehen.“
Uwe hielt das Abzeichen in der Hand. Seine Gedanken