Manfred Steinert

Vom Salz in der Suppe


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das Elbtal sowie diverse Bücher hatten dann alles in eine bestimmte Richtung befördert. Wobei bereits in Kindheitstagen die Elbe auf mich eine magische Anziehungskraft ausgeübt hatte, sie bei verschieden Urlauben mit den Eltern für mich eine Art Abenteuerspielplatz gewesen war. Allerdings hatten die oben erwähnten Bücher aus dem Lazarett eine ganz andere Dimension als »nur« einen Fluss aufgezeigt, denn dort ging es um Weltumsegelungen, einer hatte sogar im Faltboot den Atlantik überquert …

      Na gut, gewiss müsste man sicher erst einmal »klein« anfangen. Soviel Vernunft war schon da. Und dann … würde man ja sehen. Und jener ständige Blick auf meine im Tal fließende »Jugendliebe« gab dabei entsprechende »Hilfestellung« für den »Anfang«, der da lautete:

      Das ganze Land von der Süd- bis zur Nordgrenze im Faltboot durchqueren, hieß die Parole, um die fortan nun alle Gedanken kreisten. Dass es auf der Elbe, anstatt gleich bis Hamburg oder Cuxhaven, nur bis zur Westgrenze ginge, das war für einen jungen DDR-Bürger unstrittig. Da gab es nichts zu überlegen. Auf den Mars konnte man ja schließlich (damals) auch nicht. Also bis maximal zur Havelmündung und dann »irgendwie« quer durch Mecklenburg bis zur Ostsee.

      Und offene Ostsee ginge ja auch nicht, da würde scharf aufgepasst, dass keiner in den Westen abhaute, da kämen also maximal die Boddengewässer hinter dem Darß, hinter Rügen und Usedom in Frage. Im Prinzip wäre das landschaftlich wohl ohnehin viel spannender als die offene See, konnte man sich über diese Begrenzungen trösten.

      Und wenn man sich die Karte genau anschaute, merkte man bald, dass es unter den damaligen Bedingungen quer durch Mecklenburg gar keine durchgehende Wasserverbindung bis zur Ostsee gab und es deshalb wohl ohne ein, zwei kurze Strecken Landtransport von nur wenigen Kilometern gar nicht ginge. Da müsste man dann vor Ort sehen, ob und wie das zu machen wäre.

      Soweit der Grobplan. Ein Plan, der ausreichend Stoff für drei lange Studentenurlaube bot.

      Denn während es im ersten Jahr »nur« bis zum Müritzsee ging, gab es Ostsee pur erst im zweiten Jahr. Und im dritten Jahr gleich noch einmal, dann auf anderer Route.

      Unnötig zu betonen, dass besonders von den Eltern, die um die Gesundheit ihres gerade einigermaßen genesenden Sprösslings besorgt waren, von solcher Tour abgeraten wurde.

      Unnötig zu betonen, dass derartige Ratschläge bei dem jungen Mann, der gerade vom Leben einen gehörigen Dämpfer bekommen hatte und der sich auch mit Hilfe dieser Tour moralisch wieder aufrappeln wollte, dass die gut gemeinten Ratschläge auf taube Ohren stießen.

      Die Ausrüstung: Faltboot besorgen (RZ 85, gebraucht – auch DDR-Studenten hatten kaum Geld), dazu minimale Ausrüstungen wie Zelt, Kocher, Benzinkanister, Schlafsack (Von den Eltern »gesponsert«. Motto: »Wenn er sich die Tour schon nicht ausreden lässt, soll er wenigstens nicht frieren!«), Kartenmaterial, Informationen zur Binnenschifffahrt und anderes besorgen.

      Dann im Hof, fernab von jedem Wasser, Bootsaufbau ausprobieren. Schien erstaunlicherweise zu klappen, nichts blieb übrig und alles sah hernach tatsächlich wie ein Boot aus. Als nächstes eine kleine Probefahrt auf »richtigem« Wasser. Klappte auch, das Boot war dicht und ließ sich auch mit den Paddeln bewegen, folgte einigermaßen erwartungsgemäß den Steuerausschlägen. Gewiss alles noch etwas unbeholfen, dilettantisch und auch über die Gebühr spritzend. Doch das würde man schon »irgendwie« hinkriegen.

      Die »Mannschaften«: Zwei Kumpels waren in den ersten beiden Jahren deshalb nötig, weil nicht jeder der infrage Kommenden volle sechs Wochen unterwegs sein wollte oder konnte. Somit wurde für die erste Hälfte des ersten Jahres mein langjähriger Jugendfreund Heinz aus dem Nachbarhaus in Leipzig, für die zweite Hälfte mein Berliner Studienkollege Klaus erkoren. Im zweiten Jahr folgten zwei andere aus der Seminargruppe, wozu an geeigneter Stelle noch etwas kommt.

      Mannschaftswechsel (im ersten Jahr) sollte in Genthin sein. Diese Stadt, die keiner von uns vorher kannte, war auf der Karte nur nach zwei Kriterien ausgesucht worden: Erstens, wie weit die erste Halbmannnschaft bis zum geplanten Wechsel etwa gekommen sein könnte, wozu dieser Ort natürlich Wasseranschluss haben musste (In diesem Fall, am Elbe-Havel-Kanal gelegen). Zum anderen musste zwecks Anreise von Klaus, beziehungsweise Abreise von Heinz Bahnanschluss gegeben sein. Somit konnte es nun also tatsächlich (und endlich!) losgehen. Exakt an meinem Geburtstag.

      Und so ging es an diesem Tag in aller Früh und noch im Dunkeln in Leipzig los. Zunächst sollte es mit dem Zug nach Schöna als der letzten deutschen Station vor der tschechische Grenze gehen, dort so zeitig wie möglich der Bootsaufbau erfolgen und dann … ab die Post!

      Das Boot hatte ich rechtzeitig vorher per Bahn nach Schöna geschickt.

      Der Start schien jedoch zunächst ein gewaltiger Fehlstart zu werden.

      Denn der erwähnte Freund Heinz, der gerade bei der Armee war – und man lebte ja in politisch sehr unruhigen Zeiten – dem wurde plötzlich sein (lange beantragter und auch genehmigter) Urlaub gestrichen. Plötzlich eine außerplanmäßige Großübung, hieß die Begründung. Nein, keine Ausnahme sei da möglich! Ende der Durchsage!

      Was nun? Eigentlich kein Problem, möchte man meinen. Das Boot einfach zurückgeholt und drei Wochen später eben mit dem Klaus gestartet. Natürlich wäre dann in diesem Jahr nur die zweite Hälfte der geplanten Strecke möglich gewesen. Oder doch nicht? Sollte ich vielleicht die erste Hälfte gar allein fahren und alles beim geplanten Treffpunkt mit Klaus in Genthin belassen? Mutterseelenallein? Und als blutiger Wasserwanderanfänger und mit (damals noch) angeschlagener Gesundheit obendrein?

      Doch gegen die geballte Kraft von Vorfreude und Spannung hatten alle die mehr als berechtigten Bedenken keine rechte Chance.

      Und so ging es nun tatsächlich los. Allein!

       Übersichtsskizze aus dem Original der sechziger Jahre

      Der Start: Selbst hierbei begann zunächst alles etwas holperig, obwohl völlig harmlos im Vergleich zur Urlaubssperre des Freundes Heinz. Denn als ich frühmorgens, es war immer noch dunkel, mein Boot in Schöna von der Gepäckaufbewahrung holen wollte, machte mich der freundliche Beamte darauf aufmerksam, dass ich hier noch nicht aufs Wasser könne, weil das andere Ufer noch tschechisch sei. Ich müsse wieder eine Haltestelle zurück nach Schmilka-Hirschmühle fahren, da würde es gehen und der Zug in der Gegenrichtung würde glücklicherweise in wenigen Minuten kommen. Heute frage ich mich, wieso ich dem Hinweis gefolgt war. Denn das hieß ja Boot und alles Gepäck in den Zug reingehievt, eine Haltestelle gefahren und alles wieder raus. Und wenn ich im Morgengrauen die zwei, drei Kilometer dicht am deutschen Ufer entlang gepaddelt wäre, hätte doch kein Hahn nach mir gekräht. Schließlich war es nicht die Westgrenze, sondern die zur befreundeten Tschechei. Aber so war eben der junge, naive Durchschnitts-Ossi damals, und außerdem wollte ich nichts tun, was meine Pläne in irgendeiner Form gefährden könnte.

      Jedenfalls, nach Ankunft in Schmilka – und immer noch im Morgengrauen – baute ich schließlich das Boot am Elbeufer zusammen, schob es ins Wasser, verstaute Zelt und alle andere Utensilien, nahm schließlich auf dem Hintersitz Platz und … tat die ersten Paddelschläge im braunen, damals merkwürdig duftenden und mit irgendwelchen Schnitzeln durchsetztem Elbewasser.

      Das Gefühl dabei: Unbeschreiblich! So ähnlich musste wohl Neil Armstrong rund fünf Jahre später seinen ersten Schritt auf dem Mond empfunden haben.

      Bei der Beschreibung der einzelnen Touren wird es kompliziert. Denn was war aus der Fülle von Einzeleindrücken und Erlebnissen besonders wichtig? Was würde in dieser stark gekürzten Form halbwegs die damalige Situation realistisch wiedergeben? Was dem »Expeditionscharakter« der Fahrten am besten entsprechen?

      Zunächst wäre das Alleinsein auf der ersten Hälfte zu nennen. Nicht schlechthin allein zu sein, niemanden zum Austausch zu haben. Das war für mich, der ich vom Naturell her eher ein Individualist als ein Herdentier bin, nicht das Hauptproblem. Zudem