war es dann doch geschafft und wir befanden uns am Beginn eines wahren Wassersportparadieses.
Waren es die Anstrengungen, das heiße Wetter oder was auch immer, jedenfalls fühlte ich mich am Abend schlapp wie ein nasser Sack, hatte schwere Glieder, dröhnenden Kopf und sogar Fieber. OK, das kann schon mal passieren, normalerweise kein Grund extra darüber zu schreiben. Das Attribut »normalerweise« traf jedoch für mich mit meiner einjährigen Krankenhausvorgeschichte nicht zu. So hatte damals auch alles angefangen und ich war ja gerade noch so von der Schippe gesprungen. (S. »Sternstunde«). Das war wirklich keine gute Nacht, die ich nun erlebte und in der ich mir ausmalte, wie nun weiter, falls es doch wieder … Am nächsten Tag überredete ich Klaus, der von meiner Krankenhaus-Vergangenheit kaum wusste, zu einem Ruhetag. Die wunderschöne Gegend und die Anstrengungen der letzten beiden Tage erforderten keine weiteren Erklärungen. Und am übernächsten Morgen schien zum Glück alles wieder in Ordnung. (Und blieb es bis zum Ende der Reise und es blieb für mich auch unerfindlich, was mich da so kurzzeitig umgehauen hatte und was mir glücklicherweise nicht auf den tagelang einsamen Elbeetappen widerfahren war.)
Und so ging es also weiter.
Jeden der vielen durchfahrenen Seen, Kanäle und Fließe, vom Ruppiner See über die Rheinsberger und Zechliner Gewässer bis zum gewaltigen Müritzsee nun einzeln zu beschreiben, ginge in dieser Kurzversion zu weit.
Wobei für Paddler die kleineren Gewässer und ihre Verbindungskanäle ohnehin sehr viel interessanter sind als die großen, schiffbaren Seen, besonders bei Wind. Die Landschaften sind traumhaft, für Naturfreunde gibt es immer mal wieder ein »Leckerli«, ob nun Seeadler, Reiher(damals noch selten) oder gar Eisvögel. Gelegentlich kommt ein Wehr, das jedoch hier im Wasserwanderparadies nur in seltenen Fällen umtragen werden muss. Oft gibt es dafür Bootsschleppen, kleine Selbstbedienungsschleusen oder auf schiffbaren Gewässern auch die offiziellen Schleusen bei denen man sich entweder an die offiziellen Schleusenzeiten halten … oder den Schleusenwärter mit einer Kleinigkeit »bestechen« musste.
Mitunter sind einige der Fließe so klein und flach, dass man, falls man dazu überhaupt jemanden (Müller oder Schleusenwärter) findet, zum Befahren Zuschusswasser erbitten muss. (Rheinsberger Rhin), um überhaupt fahren zu können. Andernfalls man im Wasser »wandern« und das Boot hinterherziehen muss. (Eine völlig andere Auslegung des Wortes »Wasserwandern«) Mitunter, besonders im nächsten Jahr im Gebiet nördlich der Müritz, kam es auch vor, dass quer über einen mickerigen Fließ oder Bach die Latten eines Weidezauns die Weiterfahrt erschwerten, hinter denen … Kühe im Wasser standen, um zu trinken. Andernorts fuhr man auf einem schmalen Rinnsal durch ewige Schilfwände, bei denen man sich rechts und links mit dem Paddel nicht im Wasser, dafür war es zu schmal, sondern nur noch am Schilf abstoßen musste.
Daneben warten jedoch auch noch andere zeitraubende »Einlagen«:
Sind zwei Seen durch einen schiffbaren Kanal verbunden, dann kann man in den meist unvermeidlichen Schilfrändern die Ein- und Ausfahrten weithin sichtbar durch gewisse Baken erkennen. Kein Problem also die jeweilige Ausfahrt zu finden. Ganz anders, wenn Verbindungen nicht schiffbar sind. Dann wird die Suche nach der Ausfahrt zum Roulette. Wenn man glaubt, eine Lücke im Schilf oder Baumbestand entdeckt zu haben, welche die Ausfahrt sein könnte und volle Kraft voraus in den Schilfgürtel reinfährt, wird man oft (um nicht zu sagen, meist) enttäuscht. Man bleibt stecken, muss aussteigen, bis zum Knie oder auch schon mal bis zum Gürtel im Schilf waten und es erneut an anderer Stelle versuchen. Irgendwann wird man doch mal fündig. Hat man somit den nächsten, der meist kleineren Seen erreicht, hat man diesen in zwar nur kurzer Zeit überquert, um dann wiederum ewig nach dessen Ausfluss zu suchen. Ein paar Mal haben wir für dieses unangenehme, zeitraubende Spielchen Stunden gebraucht. Wenn dazu noch Gemeinschaftsarbeit von Sonne und Mücken angesagt ist, also beide stechen oder es dabei regnet, dann kann man sich gewiss Angenehmeres vorstellen.
Wer jedoch so verbissen an einem »Expeditionsziel« arbeitet, der muss da eben durch. Wenn man sich durchgebissen hat, anfangs ungewohnte Dinge und Situationen zur Tagesroutine geworden sind, dann erreicht man eben auch sein Ziel. Das jedoch hieß im ersten Jahr Waren am Müritzsee. Genau an dieser Stelle sollte es im nächsten Jahr zur zweiten Etappe bis zur Ostsee auch wieder losgehen.
Auch die Müritz hätte wirklich etwas mehr als nur ein paar dürre Sätze verdient. Mit knapp 20 Kilometer Länge und etwa 14 Kilometer Breite fast schon ein kleines Meer. Als wir, von Mirow aus kommend, im Süden einfuhren, hatten wir den See in voller Länge vor uns. Durch den hochsommerlichen Dunst an diesem Tag verschwammen die Nordufer im Nichts und wir kamen uns zeitweise wirklich wie auf dem Meer vor. Zwei Tage blieben uns noch. Am Westufer ging’s in zwei Etappen nach Norden (1.Zielow/Kuhkoppel, 2.Klink/Kuh-koppel). Am zweiten Tag mit unserem kleinen Treiber (Segel) sogar ohne einen Paddelschlag! Den Treiber hatte ja Klaus zusammen mit seinem Paddel mit der Bahn mit nach Genthin gebracht. Diese Segeltour war noch mal ein krönender Abschluss dieses ersten Jahres.
Insbesondere es für uns beide der erste Segelversuch überhaupt war.
***
Genau hier in Waren ging’s also im nächsten Jahr wieder los. Nun jedoch nach Westen und diesmal mit einem anderen Studienfreund (Uwe). Bereits am Nordufer des ersten der großen Seen, des Kölpinsees, bogen wir nach dem Wisentschutzgebiet Damerower Werder nach Norden zum Jabelschen See ab. Schließlich hieß das Ziel ja Boddengewässer der Ostsee. Da konnte man sich nicht nach Schönheit und Bequemlichkeit richten. Da würde man wieder durch so manches Nadelöhr müssen.
Sechs Seen gibt es von diesem Abzweig aus nach Norden, deren Verbindungen immer kleiner werden, zum Schluss nur noch den Charakter eines Straßengrabens haben und meist auch total verschilft sind. Waten und Boot ziehen sind somit etliche Male angesagt. Bis es dann wirklich nicht weitergeht (Dorf Klocksin) und man ein paar Kilometer über Land bis in den Malchiner See muss. Kurz zuvor ging es unter einer Straße sogar nur durch eine große Betonröhre. Da waren wir schon froh, das Boot im knöcheltiefem Wasser gerade noch ziehen zu können und damit der Schlepperei zu entgehen. Doch das Ziel aufgeben und stattdessen lieber in hübscher Umgebung einen gemütlichen Wasserwanderurlaub absolvieren, das kam keinem von uns beiden in den Sinn.
Über ein Pferdefuhrwerk ließ sich der zwar kurze, jedoch unumgängliche Landtransport von etwa reichlich fünf Kilometer reibungslos organisieren. Mit dem recht großen Malchiner See waren wir nun ins Einzugsgebiet der Peene, damit jenseits der Wasserscheide Nord-/Ostsee gelangt. Die Peene brachte uns bald zum noch größeren Kummerower See, der einem bei Wind schon gehörig Respekt einflößen kann. (Knapp 10 Kilometer lang, etwa 4 Kilometer breit) Doch schon in Demmin verließen wir die Peene wieder – der wir am Ende der Fahrt bei Anklam noch mal begegnen würden – und bogen nordwärts in die Trebel ein. Wie schon die Peene, mäandert auch die Trebel als typischer Flachlandfluss gemächlich durch die Landschaft. Einsamkeit pur. Man paddelt angestrengt, kommt aber auf der Karte durch die vielen Flussbögen nur langsam voran. Dann noch einmal ein ähnlich kurzer Landtransport (Bad Sülze) von der Trebel in die Recknitz, diesmal mit einen LPG-Fahrzeug. Da sag einer, die Mecklenburger wären zugeknöpft und stur. Wir hatten jedenfalls davon nichts bemerkt.
Auch die Recknitz ist ein ähnlicher Flachlandfluss wie zuvor die Trebel. Allerdings wartete sie mit einer neuen, unvorhergesehenen Einlage auf, deren Überwindung einen gewissen Einfallsreichtum erforderte:
Die Ufer sind hier meist so flach, aufgeweicht und wabernd, dass die Bauern das Schilf (Stichwort: Reetdächer) nicht vom Ufer aus ernten können. So erfolgt es eben per Boot vom Wasser aus. Das geschnittene Schilf treibt dann langsam den Fluss entlang, bis es sich an einer Drahtsperre hunderte Meter lang staut und von dort irgendwie und irgendwann mal geborgen wird.
Für den normalerweise nicht schiffbaren Fluß ist das für niemanden ein Problem. Wir dagegen mussten durch dieses, von Ufer zu Ufer reichende Schilfbett »irgendwie« durch. Und bei Länge der Staustrecke und der Beschaffenheit der Ufer war ein Umtragen keine praktikable Alternative. Und so kämpften wir uns mühsam durch den „Schilfbrei“ hindurch, verloren dabei soviel Zeit, dass wir zudem hier auch noch nach einem einigermaßen akzeptablen Zeltplatz suchen mussten. Allzu zimperlich durften wir dabei freilich nicht sein, wir waren schon zufrieden als am folgenden Morgen neben der Luftmatratze