Manfred Steinert

Vom Salz in der Suppe


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fließt schließlich bei Ribnitz-Damgarten in den Saaler Bodden, damit quasi in die Ostsee. Womit wohl auch der Sinn der beschwerlichen Übung klar sein sollte.

      Noch ein Wort zum ständigem »wilden« Zelten. Im Binnenland war das für Wasserwanderer, die ja in der Regel am nächsten Tag wieder weg sind, im Prinzip kein Problem. Natürlich nur, wenn man keine ausgewachsene Abneigung gegen Kühe hatte. Und außerdem gab es nicht allzu viel »Verrückte« die an den unmöglichsten Stellen zelten wollten oder mussten.

      Gewiss hätte man in Mecklenburg auch damals gelegentlich einen offiziellen Platz finden können, wenn der zum Strecken- und Zeitplan gepasst hätte. Das aber wäre unter den Prämissen dieser Tour wenig wahrscheinlich gewesen. Zum anderen war man ja schließlich Student und hatte – das war auch damals schon so – natürlich kein Geld. Da konnte man die Zeltplatzgebühren lieber in ein Brot, ein Stück Speck oder Dosenwurst, eine kochfertige Suppe und eine Flasche Bier investieren, um mal kurz das lukullische Durchschnittsangebot auf der Fahrt anzureißen. Von selbst »geerntetem« Obst und Gemüse mal abgesehen. Wozu jedoch, zumindest zwischen den Deichen der Elbe, relativ wenig Gelegenheiten waren. Das wurde erst in Mecklenburg besser und damit der Speiseplan reichhaltiger.

      Ganz anders war’s mit dem Zelten an der Ostsee und deren unmittelbarem Hinterland.

      Das war nach DDR-Sprachregelung Grenzgebiet, dort galten die bekannten, strengen und allerstrengsten Regelungen. Dagegen zu verstoßen, brachte einen nicht nur in den Verdacht zur Republikflucht, sondern das konnte auch ganz schnell die Bekanntschaft mit Gitterstäben zur Folge haben. Je wahrscheinlicher, je näher man sich »unbefugt« an der Westgrenze herumtrieb.

      Andererseits waren offizielle Zeltplätze an der Ostsee so begehrt, dass man sich schon im Januar darum bemühen musste, um eine ohnehin nur geringe Chance zu haben. Bei dem Gesamtkonzept dieser »Expeditionen« also keine praktikable Option.

      Also blieb hier erst recht nur das »wilde« Zelten. Nur dass die Plätze hierfür so sorgfältig ausgewählt werden mussten, um auf keinem Fall »erwischt« werden zu können. Denn das hätte leicht das Ende der Fahrt (und mehr) bedeuten können. Am sichersten fühlten wir uns deshalb … unter Kühen. Je mehr, je besser, denn dann kam in der Regel kein Mensch hin.

      Gleich am ersten Abend nach der Mündung der Recknitz in den Saaler Bodden wär's fast schief gegangen. Des Risikos zwar bewusst, aber nach langem schwerem Tag todmüde, gingen wir dennoch nördlich von Dierhagen/​Wustrow (bereits auf dem Darß, also in „gefährlichem“ Gelände) an Land und wollten gleich am Morgen aus der Gefahrenzone raus über den Saaler Bodden in Richtung Born.

      Kaum stand das Zelt auf verwildertem, einsam scheinendem Gelände, da lautete eine unfreundliche Message: »Wenn ihr in einer Stunde nicht weg seid, komm ich mit der Polizei wieder.« Da half kein Bitten und Erklären, dass man doch nur … schon spät, … zu starker Wind … etc.

      Also alles wieder gepackt und bei gefährlich starkem Wind erstmal direkt rüber Richtung Festland. In der Abenddämmerung merkten wir, dass wir wahrscheinlich unvermutet (und auch unentdeckt?) auf einem NVA-Flugplatz oder in dessen unmittelbarer Nähe gelandet waren. Zumindest ließen die laufend startenden und landenden Düsenjäger derartige Schlussfolgerung zu. Am nächsten Morgen ging’s deshalb sofort weiter nach Nordost, Richtung Born/​Darß. Beim Näherkommen winkte auf der Festlandseite eine »vertrauensbildend« ausschauende … Kuhkoppel, diesmal nicht mit dutzenden, sondern mit hunderten von Kühen. Dass jenes »vertrauensbildend« etwas voreilig war, merkten wir am zweiten Tag, als wir vom Großeinkauf drüben in Born zurückkamen. Am Platz, wo unser Zelt stand, konnten wir aus der Ferne zunächst nur Kühe ausmachen. Beim Näherkommen sahen wir, dass einige diese fremde Etwas als durchaus zum Spielen geeignet erkoren hatten und unser Zelt nur noch einem Häufchen Unglück ähnelte. Doch ließ sich glücklicherweise alles wieder akzeptabel zurechtbiegen und -flicken. Und die Tiere waren ja keinesfalls bösartig, nur neugierig und unternehmungslustig. Und selbst in diesem traurigen Moment gab es Tröstliches, fast schon Spaßiges. Denn bald mussten wir laut lachen, nachdem wir gelernt hatten, die Kühe mit lautem Hundegebell in die Flucht zu schlagen. Nur dass wir uns nun nicht mehr getrauten, länger vom Zelt wegzubleiben. Denn solange wir in der Nähe waren, konnten wir mit unserer »Hundegebell-Nummer« alles recht zuverlässig im Griff halten. Gegen Abend hatten die Tiere mit dem Wiederkäuen ohnehin Wichtigeres zu tun, wozu sie sich in Massen um uns herum ins Gras legten und erst gegen Morgen wieder mobil wurden.

      Doch wurde das ab dem nächsten frühen Morgen sowieso unwichtig. Denn was wir an diesem Tag vom Morgengrauen bis zum Einbruch der Dunkelheit erlebten, da komme ich heute noch ins Schwärmen. (Und der Name »Sternstunde« ist ja im Buch leider schon vergeben.)

      Da ging es vom Saaler Bodden hinter dem Darß, über Koppelstrom, Bodstedter- und Barther Bodden, dem riesigen Grabow in Richtung Rügen. Schließlich zur Linken an der Insel Bock, später der Südspitze von Hiddensee, dem Gellen, vorbei, weiter über den Kubitzer Bodden in den Strelasund hinein bis zunächst Altefähr auf Rügen (gegenüber von Stralsund).

      So wie schon beim Müritzsee, so wären auch die Touren über die Boddengewässer einen extra Abschnitt wert. Trotzdem, ein paar besondere »Leckerlis« sollten schon sein.

      Bemerkenswert an dieser Etappe, die ganze Tour von der Riesen-Kuhkoppel gegenüber Born bis Altefähr, etwa 65 Kilometer, absolvierten wir ohne einen Paddelschlag, bei idealem Wind nur mit dem Treiber bei anfangs leichten, über den Tag immer stärker wehendem Westwind.

      Der östliche Teil des Darß, die Insel Bock und andere kleine Inseln waren schon damals bedeutende Naturschutzgebiete. Wir merkten davon, indem wir dort unversehens plötzlich in einer riesigen Herde von Wildschwänen fuhren. Kein ungefährliches Unterfangen, falls diese gerade Junge führen würden. Da wir nicht paddeln brauchten, ließen wir uns mucksmäuschenstill durch die Herde treiben und waren sowohl begeistert über das Erlebnis, doch auch etwas erleichtert, nachdem wir wieder aus der Herde heraus waren. Die allerdings hatte uns mit absoluter Missachtung gestraft.

      An der Südspitze von Hiddensee, wo von der offenen See bereits recht hohe Wellen hereingerollt kamen, erhielten wir Besuch von einem Polizeiboot, die sich vergewissern wollten, dass wir keine »Dummheiten« vorhatten und wirklich nur in Richtung Stralsund wollten.

      Später, irgendwo im Kubitzer Bodden, wurde plötzlich die Ostsee so flach, dass wir aussteigen und unser Boot im nur knöcheltiefem Wasser ziehen mussten. Nicht nur ein kurzes Stückchen, nein, es war eine richtige »Wasserwanderung«, diesmal im Wortsinn. Zur Rechten in der Ferne das Festland, zur Linken, auf Grund der Größe des Boddens, die (scheinbar) offene See. Irgendwann wurde das Wasser wieder tiefer, in der Ferne erkannten wir auch die Betonnung der Schiffahrtsrinne wieder und segelten nun bei straffem und immer stärker werdendem Wind und beängstigend hohem Wellengang (und ohne Seitenschwerter!) bis Altefähr, wo uns kurz vorm Ziel bei einer starken Bö sogar noch der Mast brach. Es mutete an, als wolle das Schicksal nach diesem wundervollen Tag noch mal zeigen, dass es auch anders könne. Doch ging bis auf den gebrochenen Mast, den wir später notdürftig reparierten, erstaunlicherweise doch noch alles gut und erschöpft und verbrannt aber glücklich bauten wir abseits vom Zeltplatz (wo sonst)Altefähr unser Zelt.

      Ich habe später wiederholt versucht, jene »Wanderstrecke« in der Ostsee exakt zu lokalisieren. Es ist mir nicht zufriedenstellend gelungen, beziehungsweise blieb es immer widersprüchlich.

      *

      In Altefähr fand ein vorher fest geplanter Mannschaftswechsel statt, der an sich schon einen gewissen Höhepunkt der Reise darstellte. Höhepunkt nicht etwa, weil Uwe, der mir auf der Fahrt ein so toller Kumpel gewesen war, nun am nächsten Tag nach Hause fahren würde. Und zuvor hatte ich mit ihm noch den »Ersatzmann« vom Bahnhof abgeholt. Das Besondere dieses Wechsels bestand darin, dass es sich dabei weder um »Ersatz-« noch um »-mann« handelte, sondern um ein Mädchen (Marlies) unserer Seminargruppe, die später sogar meinen Familiennamen annahm und Mutter meiner zwei Töchter wurde. Doch weil das hier schließlich keine Familiengeschichte, sondern die Beschreibung einer außergewöhnlichen Reise werden soll, wird hier auf die weitere Ausschmückung dieser neuen Situation mit Details verzichtet.

      Außer, dass wir versuchten,