Manfred Steinert

Vom Salz in der Suppe


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mal) auf einem Truppenübungsplatz gelandet und gerade in dieser Nacht war wohl eine Elbüberquerung mit Schwimmpanzern angesagt gewesen. Wie groß war mein Schreck als ich des Nachts durch mächtiges Gebrumm geweckt wurde, schlaftrunken aus dem Zelt schaute und nur ein paar Meter neben mir die dunklen Ungetüme, aus der Elbe kommend, die Böschuung hinauf brummten. Die Soldaten in den Panzern, egal ob NVA oder Sowjetarmee – das hab ich in der Dunkelheit nicht erkennen können – die hätten in der Nacht niemals mein kleines olivgrünes Zelt bemerken können. Das wärs dann gewesen und es hätte nicht mal für eine Schlagzeile in der Zeitung gereicht, weil derartige Unfälle geflissentlich unter der Decke gehalten wurden. Die Nacht war somit natürlich gelaufen. Nachdem der Pulsschlag sich wieder normalisiert hatte, blieb ich nicht nur solange neben dem Zelt sitzen, bis sich das Panzergedröhn verzogen hatte, sondern bis es begann hell zu werden. Auch dann war nichts mehr mit Schlafen, sondern es wurde gepackt, noch mal die Panzerspuren im Hellen »begutachtet« und dann ging es, nachdenklicher als die Tage zuvor, weiter.

      Noch vor Barby und Schönebeck mündet links die Saale in die Elbe. Ich fuhr die Saale gleich »bergauf« ein paar hundert Meter, um dort auf einer Apfelplantage zu zelten. (Das nächste Frischobst gab’s dann erst wieder in Mecklenburg). Nach Magdeburg mit seinem gewaltigen Dom und dem recht hübschen Tangermünde2 kommt bald jene Stelle, wo es damals als DDR-Paddler absolut nicht mehr weiterging: Die innerdeutsche Grenze, die wohl damals am schärfsten bewachte Grenze in der Welt. Natürlich wäre ich die Elbe gerne weiter gefahren, doch das lag außerhalb jeglichen Vorstellungsvermögens.

      Also würde es nun bald von der Elbe in die Havel gehen.

      Welche »Abschiedszeremonien« da die Elbe mit meinem Boot zelebrierte, das zählte zweifellos zum Thema Ausnahmen, obgleich es dabei nicht ums Leben, jedoch um das jähe Ende der Fahrt gegangen war. Etwa in Höhe der Havelmündung, wo ich ja bald in diesen Fluss abbiegen würde, wollte mir die Elbe offenbar zeigen, dass auch ihr der Abschied von mir schwerfiel:

      Beim morgendlichen Packen am letzten Platz an der Elbe in einer idyllischen Buhnennische (etwa gegenüber des Dorfes Werben) und ohne spürbare Strömung und Wind, hatte ich die Bootsleine des bereits im Wasser liegenden und schon weitgehend beladenen Bootes nicht extra festgebunden. Vor dem Start wollte ich hinter dem Damm noch etwas erledigen, was sich später im engen Boot weniger gut machen würde. Warum eigentlich hinter dem Damm? Niemand weit und breit. Seit dem letzten Großeinkauf vor Tagen hatte ich keinen Menschen gesehen. Na gut, so ist der einigermaßen zivilisierte Mensch eben. Jedenfalls, als ich wieder über den Damm kam, … war kein Boot mehr da. Das trieb in der Ferne auf dem Fluss und war gerade im Begriff hinter einer Kurve zu verschwinden. Da gab es nicht viele Möglichkeiten, außer alles stehen und liegen zu lassen und am Ufer elbeabwärts zu sprinten, was das Zeug hielt. Bis plötzlich … ein toter Wasserarm den weiteren Weg versperrte. Ohne groß zu überlegen, ob das vielleicht auch gefährlich sein könnte oder sinnvoll war, sprang ich somit ins Wasser und schwamm nun meinem Boot hinterher. Dass ich mit der Strömung schwamm, nützte mir dabei gar nichts, denn mein Abstand zum Boot wurde nur um soviel geringer als ich schneller schwamm als das Boot mit der Strömung trieb. Erst später kamen mir Zweifel. Denn klüger wäre gewesen, erstmal nur den toten Arm zu durchschwimmen und an dessen anderem Ufer dann an der Elbe weiterzurennen und so viel schneller wieder in Bootsnähe zu gelangen. So aber, längst war mein Startplatz hinter der Kurve verschwunden, hatte ich den Ausreißer nach geschätzten zwei, drei Kilometer angestrengten Schwimmens endlich ein, ging erst einmal an Land (was zudem noch das gegenüberliegende Ufer war) um mich von meinem »Langstreckenschwimmen« etwas zu erholen. Zum Glück war nicht nur das Gepäck schon im Boot gewesen, sondern auch das Paddel. (Was ich hätte machen können, wenn das Paddel noch nicht im Boot gewesen wäre – dazu fällt mir auch bis heute nichts Gescheites ein). Mühsam, weil nun gegen die Strömung, ging es dann zurück. Schließlich an meinem Startplatz angekommen, um dort die restlichen Utensilien einzusammeln, war der Vormittag gelaufen, mein Tagesplan nicht mehr zu schaffen. Noch ein paar Kilometer stromaufwärts in die Havel, bis wieder eine Kuhkoppel zum Zelten einlud. Na egal, noch mal gut gegangen!

      Und das mit der nicht festgezurrten Bootsleine? Das passierte mir wirklich nicht wieder.

      Und jener überraschende Wasserarm, der das weitere Rennen am Elbufer verhindert hatte?

      Das war die frühere Havelmündung, nun nur ein toter Arm. Denn die Mündung hatte man aus Hochwasserschutzgründen in den fünfziger Jahren künstlich um etwa neun Kilometer elbabwärts (Gnevsdorf) verlegt, so dass Elbe und Havel nun dieses Stück, nur durch einen Damm getrennt, fast parallel nebeneinander flossen. Auch dieser zusätzlichen neun Kilometer wegen (für mich natürlich 18), konnte ich, zusammen mit der verlorenen Zeit meines »Schwimmwettkampfes« in der Elbe, mein ursprüngliches Ziel, das etwa in der Gegend von Rathenow hätte sein sollen, an diesem Tag nicht mehr erreichen. Und anstatt dann am Tag darauf schon in Genthin landen zu können, machte ich notgedrungen bereits am Rand von Havelberg Station. Die Stadt an der Havel wählte ich nur deshalb, weil ich dort einen Bahnhof vermutete, von dem aus ich sicher würde Genthin erreichen können.

      Die Havel, eigentlich ein idealer Wanderfluss, wegen geringer Strömung auch flussaufwärts, hatte (damals) für mich nur den einen Haken, dass sie auch durch (das damalige) Westberlin führte. Womit wir wieder beim Thema Westgrenze wären.

      Es gab da zwar einen Umgehungskanal um Westberlin und ich hatte mir sogar vorher von der Behörde eine schriftliche Genehmigung geholt, um diesen Kanal befahren zu dürfen. (Havel-Kanal, etwa Ketzin bis Hennigsdorf) Ursprünglich – deswegen die Genehmigung – war diese Route ja sogar geplant gewesen. Obwohl, ein paar Tage lang auf schnurgeraden Kanälen zwischen zwei Dämmen zu paddeln, das war gewiss nicht die erste Wahl. Doch gab es eben noch einen anderen, viel wichtigeren Grund, diese Möglichkeit nun zu ignorieren und nach einer anderen zu suchen.

      Dieser andere Grund war, nach bisher fast drei Wochen Alleinseins, meinen Studienfreund Klaus auf dem Bahnhof Genthin abzuholen. So wie wir es Wochen zuvor, über Landkarten und Zugfahrpläne gebeugt, abgestimmt hatten: Samstag, den 15. 08. 1964, gegen 16 Uhr! Und Handys gab es damals noch lange nicht, da war schon ein normales Telefon nur etwas für Privilegierte. Da musste man noch klug und vorausschauend planen.

      Und eine Gewalttour mit Nachtfahrt, wie schon mal bei Torgau, die wäre theoretisch noch möglich gewesen, um Genthin zu erreichen. Doch hier auf der Havel mit ihren vielen Nebenarmen, Ausbuchtungen und Seen – bei Nacht für einen einsamen Paddler ein aussichtsloses Unterfangen.

      Also musste ich wieder Zelt, Boot und Ausrüstung, diesmal jedoch ganztags, alleine lassen und versuchen, irgendwie nach Genthin zu kommen. Wie sich herausstellte gab es von Havelberg aus diese vermutete Bahnverbindung gar nicht, die gab es erst vom etwa fünf Kilometer südlich gelegenen Sandau aus.

      In Kürze: Irgendwie und etwas abenteuerlich (teilweise per Anhalter mit drei Nonnen im Auto) gelangte ich gerade noch so zur Zeit nach Genthin, traf Klaus, wir kamen auch am gleichen Tag gegen Abend wieder zurück nach Havelberg und – freudiger Schreck lass nach! – alles war unversehrt. Nicht mal die Kühe auf dem (natürlich wieder) wilden Zeltplatz hatten Interesse gezeigt.

      Nun ging es zu zweit weiter, was manches einfacher und unkomplizierter machte sowie – besonders auf künftig stehendem oder nur schwach fließendem Wasser – größere Fortschritte beim »Kilometerfressen« versprach.

      Aus genannten Gründen – das Boot lag ja nun nicht wie früher geplant in Genthin, sondern in Havelberg – musste eine notwendigerweise veränderte Streckenführung ausbaldowert werden. Das hieß, nun nicht ab Genthin über Elbe-Havel-Kanal und dem erwähnten Umgehungskanal um Westberlin wieder in die Havel, sondern weiter nördlich »irgendwie« auf Schleichwegen in Richtung märkische Seen.

      Da bot sich, zumindest auf der Karte, als Möglichkeit der Abzweig von der Havel zum Gülper See und der Rhin-Kanal nach Wustrau am Neuruppiner See an.

      Im Nachhinein keine empfehlenswerte Idee, doch das wussten wir zum Glück vorher nicht. Nicht der eintönigen Landschaft durch das Rhiner Luch (Rhinow, Fehrbellin) wegen, sondern dort warteten sage und schreibe auf nur etwa 30 Kilometer 11 Wehre (in Worten: Elf!) darauf, umtragen zu werden. Eine schweißtreibendes, nicht problemfreies, vor allem ein zeitraubendes Unterfangen. Und die