in denen ich bei zwölf Gläubigern in der Kreide stand. Gutes Taktieren gehörte zu einer Grundvoraussetzung in diesem nervenaufreibenden Finanzgeschäft. Neidisch verfolgte ich Menschen, die mit viel weniger Geld auskommen mussten und trotzdem den Monat bravourös meisterten. Oft wollte ich diesen Vorbildern nacheifern, doch der geschlossene Teufelskreis, in dem sich meine Wenigkeit befand, ließ kein Entrinnen zu.
Ungeachtet des zunehmenden Gewichtsverlustes wurde das Weizenbier als flüssige Nahrung gegen den aufkommenden Hunger eingesetzt. Nachdem sich mein Magen mit der gegebenen Situation abgefunden hatte, unterließ er auch das mitleidige Knurren. Blieb die feste Nahrung für einige Tage ganz aus, trat der gesamte Körper in den Streik und äußerte diesen in Form von Übelkeit und Fortbewegungsschwierigkeiten. Dies war das Signal zum Essen von leichter Kost, damit der Verdauungstrakt wieder seine eigentliche Arbeit aufnehmen konnte. Aus diesen ständigen Unregelmäßigkeiten entwickelte sich ein Magengeschwür, welches meist im Zusammenhang mit seelischen Konflikten auftrat. Erst nach Jahren konnte ich durch eine erfolgreiche Rollkur von diesem Leiden erlöst werden. Die deutliche Gewichtsabnahme kaschierte ich mit dem Entfernen der Batterie aus der Personenwaage.
Wie schon erwähnt, hortete ich im Gegensatz zu einigen Kumpels einen reichlichen Vorrat an Weizenbieren im Kühlschrank, die als sogenannte Entspannungsgetränke nach den einfallslosen Gesprächen in der Kneipe dienten. Man suchte die einfältige Kommunikation unter Alkoholabhängigen, um dem tristen Alltag zu entfliehen. Hier konnte man die Gesamtheit der Wehwehchen im engsten Kreis aufzählen und je nach Gemütslage eine neu ausgebrochene Krankheit hinzufügen. Ähnlich einem Altweibertratsch, wobei man den Unterschied zwischen Thrombose und Zirrhose ausdiskutierte, verhielt sich das fachärztliche Gespräch am Stammtisch. Wurde jemand aus der Runde für mehrere Tage vermisst, ahnte man das Schlimmste, da die entsprechende Person unlängst über ihre unzähligen Gebrechen berichtet hatte. Doch für alle überraschend, kehrte so mancher nach kurzer Zeit aus dem Totenreich zurück und schüttete in gewohnter Art die Halben in sich hinein.
Als Alkoholkranker fällt auch die gesellschaftliche Zusammenführung von Artgenossen leicht. Durch die einstigen, ständig wechselnden Arbeitsorte während meiner Selbstständigkeit war es ein Leichtes, sich in die Herzen der sogenannten Stammtischbrüder zu stehlen. Nach den ersten geschmissenen Runden gehörte man schon zum engeren Kreis der Elite. Da ich tagsüber arbeitete, hielt man mir bis zum abendlichen Erscheinen einen Sitzplatz warm. Alles war möglich, solange man in zweifacher Hinsicht flüssig war.
In der langen Trinkerzeit lernte ich aber auch die Kehrseite der Medaille kennen. Trat die Zahlungsunfähigkeit bei selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit ein, wurden alle Beihilfen eingestellt und man wurde fortan zur Barzahlung angehalten. Das Abrutschen in die Unterschicht gewährte mir Einblick in das Leben ebenfalls Gestrandeter, für welche diese Maßregelung zum Alltag gehörte. Sie waren im Umgang mit Erniedrigungen geschult und versuchten gemeinsam, diesem eingetretenen Umstand zu trotzen. Da es bei mir immer wieder die Möglichkeit einer entlohnten Arbeit gab, war der Aufenthalt im Reich der Lebenskünstler nur kurzweilig. Entsprechend einem Gezeitenwechsel, verhielt sich meine finanzielle Situation. Nach der Ebbe im Portemonnaie kamen die Momente des Überschusses, die ich jedoch nicht sinnvoll nutzte. Ich mischte mich wieder unter die Leute, welche vorher meinen Stolz verletzt hatten. Das eigene Selbstwertgefühl schrumpfte zunehmend und die Enttäuschungen nahmen zu. Man war mit sich und seiner Sucht dermaßen beschäftigt, dass selbst der Tod vieler Bekannter an den Folgen von Alkohol der geführten Lebensweise keinen Abbruch tat.
Nachdem sich auch meine einstigen Lebensgefährtinnen wohlgenährt von mir abgewandt hatten, begann die Zeit des Hoffens und Bangens. Ausgequetscht wie eine Zitrone nahm ich vorerst Abstand von dem sogenannten trauten Heim und verlagerte die Interessen an den Tresen. Gemäß der Redewendung „Freunde in der Not gehen hundert auf ein Lot“ wurden selbst schwierigste Lebenslagen überbrückt. Die daraus entstandene wechselseitige Beziehung zu meinen Gefühlen war der Auslöser für eine Gleichgültigkeit gegenüber Pflichtaufgaben und der eigenen Gesundheit. Die Brücken zu wahren Freunden wurden von mir abgebrochen und man suchte Trost bei denjenigen, welche mit den gleichen Problemen zu kämpfen hatten. Selbst das Aufbäumen des Organismus in Form einer akuten Lungenentzündung wurde bis zuletzt ignoriert.
Trotz der unterzogenen Therapie war ich immer noch der Meinung, die Krankheit aus eigener Kraft zu besiegen. Diese utopische Selbsteinschätzung wurde nach erfolgreich eingehaltenen Durststrecken binnen kürzester Zeit widerlegt und das Versäumte in doppelter Weise nachgeholt. Im letzten Abschnitt vor der endgültigen Einsicht wurde auch noch mein Pflichtbewusstsein außer Kraft gesetzt. Der Alkohol machte bei der Verwüstung von Körper und Geist keinen Unterschied. Um einen Einblick in das wahre Ausmaß der Zerstörung zu geben, beginne ich mit den Hinterlassenschaften der psychischen Schäden.
Im fortgeschrittenen Trinkerstadium entwickelte sich eine Apathie am Leben, welche zu Schwankungen im inneren Gleichgewicht führten. Jedes auftretende Problem wurde mit Bier kaschiert, was wiederum die noch verbliebenen Zellen ergrauen ließ und eine konstruktive Gesinnung verhinderte. Die Suche nach Lösungsmöglichkeiten stellte eine Belastung dar und führte zu einer Hilflosigkeit gegenüber der Vormachtstellung des Alkohols. Der Bezug zur Realität schwand zunehmend und ich hielt mich mehr denn je in einer Traumwelt auf. Nach der erwähnten Heilbehandlung inklusive Regenerationszeit stellten sich die alten Gewohnheiten wieder ein und ich nahm die vertraute Position am Stammtisch wieder ein. Im Kreis von „Suchtlern“ fiel mein geistiger Verfall nur unwesentlich auf und gab daher auch keinen Anlass, den vom Körper ausgesendeten Signalen übermäßige Bedeutung beizumessen.
Das ständige Wechselspiel zwischen Hoffnung und Misserfolg übte einen immensen Druck auf das Innenleben aus, sodass sich der Gemütszustand innerhalb von Minuten änderte. Aus einem Freudentaumel wurde plötzlich ein Wutausbruch und stieß bei den Anwesenden auf Unverständnis. So verlor ich öfters die Kontrolle über mich selbst, was zu Einbußen bei dem mir entgegengebrachten Respekt führte. Ich passte mich mit zunehmendem Alkoholkonsum dem Niveau der anderen an und vergaß sämtliche ethnischen Grundsätze. Zwar waren diese emotionellen Ausraster nicht alltäglich, gaben aber bei Gemeinschaftsaktionen wie Dart- oder Kartenspielen den Ausschlag, mich kurzerhand zu eliminieren. Dies führte letztendlich zu zahlreicher Nichtberücksichtigung und bescherte mir den Status eines Ersatzspielers, dem man nur im äußersten Notfall einen Einsatz gewährte.
Dieses ständige Wegschieben auf das Abstellgleis war natürlich Gift für das bereits angefressene Nervenkostüm und musste mit dem Gegenmittel Alkohol aus dem Körper entfernt werden. Die daraus entstandene Unsicherheit begleitete mich über die Gesamtheit der Abhängigkeit. Vergleichbar mit einer Spinne, baute die Sucht ein engmaschiges Netz, um eventuelle Befreiungsschläge schon im Keim zu ersticken. Ich wog mich in dem Glauben, durch Auftanken mit Bier das Denkvermögen bei gemeinsamen Events zu steigern. Doch im Gegensatz zu den Mitspielern, welche gänzlich auf alkoholische Getränke verzichteten oder aber sich an einem Radler den ganzen Abend lang festhielten, war meine Wenigkeit schon nach der ersten Spielrunde nicht mehr aufnahmefähig.
In den letzten Wochen vor der Therapie verzichtete ich angesichts des verletzten Stolzes auf jegliche Veranstaltung und nahm lieber die Rolle eines stillen, trinkenden Beobachters ein. Die unter ständigem Alkoholeinfluss entstandenen Konzentrationsschwächen bildeten die Grundlage für auftretende Gedächtnislücken, welche dann unter Mithilfe von Beteiligten wieder einigermaßen geschlossen werden konnten. Daher glich die peinliche Befragung von Bekannten zu den verpassten Abläufen einer momentanen Bestandsaufnahme, welche jedoch mit Vorsicht zu genießen war. Es war einfach, mir als Unwissendem etwas unterzujubeln, da ich durch die vielen Blackouts dem mir Zugetragenen notgedrungen Glauben schenken musste.
Diese Ereignisse durchlebte ich immer wieder mit einem Schamgefühl in den zerrissenen Träumen. Dieses permanente nächtliche Abspielen der schlechten Filme führte zu zeitweiligem Aufrechtsitzen während der Schlafphase und hinterließ mir für die darauffolgenden Tage eine große Last an Reumütigkeit. So wurde aus einer lebensbejahenden Person ein Häufchen Elend, das sich überall für das unpassende Auftreten entschuldigen musste. Reuezeigen gehört zu einem typischen Gebaren eines Alkoholabhängigen und machte auch vor mir nicht Halt. Mit der Zeit werden solche Aktionen einfach weggesteckt und man agiert als gesellschaftlicher Spaßmacher, sogenannter Vollgasdepp. Das Selbstwertgefühl war dahin, das