Hanspeter Götze

Ein Wandel der Gesinnung


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Diese Verteidigungsbereitschaft führte bei besonders hartnäckigen Phantomen zu Blessuren an Armen und Beinen, welche ich mir in den Gefechten am metallenen Bettrahmen zuzog. Die dadurch auftretenden Schmerzen zwangen mich letztendlich zu einer Kampfpause, die ich bei eintretendem Bewusstsein dazu nutzte, um mein Schlafzimmer nach möglichen Feinden abzusuchen. So wurde aus einem herbeigesehnten erholsamen Schlaf ein nervenaufreibendes Abenteuer mit Wiederholungsgarantie. Besonders lästig waren auch die nicht enden wollenden Karussellfahrten vor dem Einschlafen nach einem überzogenen Kneipenbesuch. Am nächsten Tag fühlte ich mich wie gerädert und hatte schon Angst vor der bevorstehenden Nacht. Um diesen Horrorszenarien Einhalt zu gebieten, war ich sogar bereit, für einige Tage den Alkoholkonsum zu drosseln.

      Meine einstige Verhaltensweise glich einer Selbsttäuschung, welche jeder Suchtkranke perfekt anwendet. Man schlüpft eigennützig in die Rolle des Unbelehrbaren und macht dies auch offenkundig. Jegliche angebotene Hilfe wird von sich gewiesen und als unrechtmäßiger Eingriff in die Privatsphäre angesehen. Die Gesellschaft ist in den Augen eines Trinkers nichts weiter als ein ständiger Beobachter und Besserwisser. Durch die prüfenden Blicke der Allgemeinheit entwickelte sich bei mir ein schleichender Verfolgungswahn, welcher mein Tätigkeitsfeld massiv eingrenzte. Die Welt bestand damals für mich überwiegend aus Spannern, deren Anwesenheit ich in vielen Situationen des täglichen Lebens wahrnahm. Vor dem Verlassen der Wohnung spielten sich in meinem Kopf virtuelle Szenen ab, welche den Gang zum Einkaufen oder in die Kneipe zu einem Spießrutenlauf machten. Diese Bangigkeit hinterließ zusätzliche Spuren an der eh schon vorhandenen Unsicherheit. Erst auf dem Heimweg verschwanden aufgrund des Zustands diese Gefühle der Überwachung und so konnte ich mich vollends auf das Abstützen an den verschiedenen Hauswänden konzentrieren. In meiner einstigen egozentrischen Denkweise verharrte ich in der Meinung: Ist doch schließlich mein Leben, mit dem ich unachtsam umgehe!

      Jene imaginären Observationen zusammen mit den immer wiederkehrenden Albträumen trugen dazu bei, dass ich in meinem Alltagsleben den Zusammenhang, sowohl im beruflichen als auch im privaten Umfeld, verlor. Um dennoch gegenüber den Mitbürgern einen halbwegs passablen Eindruck zu hinterlassen, versuchte ich meine inneren Bürden tunlichst zu verbergen. Anstatt die zerrissene Seele zu öffnen, verschloss ich meine Gefühle vor der Selbstentfaltung. Durch ebenjene angespannte Lage erhöhte sich auch die Fehlerhaftigkeit und stellte mich erneut vor Probleme. Mein Sein befand sich in einer Umgebung voller Demütigungen und Missverständnisse. So jedenfalls empfand ich meine Misere und der Alkohol gab mir in dieser Hinsicht recht. Es brodelte in meinem Körper und ließ mich in den unvorteilhaftesten Momenten aus der Haut fahren, sehr zur Missbilligung der Betroffenen. Derartige Aufwallungen ereignen sich bei Suchtkranken immer dann, wenn sie in die Enge getrieben werden oder mit ihrem Latein am Ende sind. Wurde mein Körper danach mit Gerstensaft versorgt, verflog auch die Unbeherrschtheit und ich genoss bei den Leuten den Welpenschutz. Bei anderen hingegen löste die übermäßige Alkoholzufuhr einen ständigen Aggressionstrieb aus, welcher erst mit einer Schlägerei befriedigt werden konnte. Von diesem Los wurde ich Dank meiner noch vorhandenen Selbstdisziplin weitgehend verschont. Nebenbei möchte ich für Kneipenunkundige noch anführen, dass ein „Kampf“ unter betrunkenen Frauen teils heftiger bestritten wird, als allgemein vermutet. Fakt ist, der Alkohol macht vor keinem Geschlecht Halt!

      Diese Ausraster belegten, dass meine Wahrnehmung aufgrund des Trinkens stark beeinträchtigt war. Die Kneipe bestand für mich aus einem riesigen Bierfass, dessen Inhalt es galt zu leeren. Die sich mit zunehmendem Rausch vertrübenden Sichtverhältnisse nahm ich billigend in Kauf. Andererseits konnte ich im Vergleich zu einigen anderen trotz eingeschränkter Optik noch das wahre Aussehen einer weiblichen Person erkennen und musste sie mir bei Nichtgefallen noch zusätzlich schöntrinken.

      Im normalen Alltag fanden interessante Objekte wie zum Beispiel Museen, Ausstellungen, Konzerte oder aber Naturereignisse kaum Beachtung, da sie nicht auf meinem Stundenplan standen. Bei diesem gab es außer der Jahreszahlkorrektur keine weiteren nennenswerten Veränderungen. Selbst die Verschlechterung meines Allgemeinzustands wurde unbedacht unterdrückt. Man gab sich mit dem zufrieden, was die Sucht einem hinterließ. Es gab Zeiten, da war ich nicht nur im reellen Leben ohne Arbeit, sondern hatte auch im Umgang mit meinem Körper keine Beschäftigung mehr vorzuweisen. Das ganze Tun und Handeln oblag allein dem Alkohol, zu dessen alleinigem Handlanger ich degradiert wurde. Was nützt der beste Vorsatz für das Einhalten gesundheitsfördernder Maßnahmen, wenn diese immer wieder von Versuchungen untergraben werden? Der Suff übernahm alsbald die alleinige Führerschaft über mein Ich und mir blieb nur noch die Rolle als „Bierschlecker“. Verweigerungen wurden mit lästigen Schüttelattacken bestraft. Die eigentliche Schaltzentrale, das zentrale Nervensystem, unterlag den Anweisungen der Sucht. Selbst wenn man, auf Deutsch gesagt, „den Kragen schon voll hatte“, wurde bis zum Erbrechen weitergebechert.

      Da sich bei mir durch den übermäßigen Bierkonsum Gedächtnislücken auftaten, vergaß ich die Zuordnung der gesetzlichen Feiertage und stand als einziger Kunde mit dem Leergut vor den verschlossenen Türen des Discounters. Dadurch kam es zu nicht eingeplanten Versorgungsengpässen, welche mich zur Umschau nach Alternativen veranlassten. Diesem ständigen Druck, etwas beschaffen zu müssen, um ein Besäufnis herbeizuführen, war ich in all den Jahren als Trinker willensschwach ausgesetzt.

      Vom ewigen Drangsalieren entmutigt, verweigerten auch meine Gefühle ihren Dienst. Glück, Leid, Freude und Trauer wurden in einen Topf geworfen und konnten je nach Anlass herausgefischt werden. Ich befand mich in einem Zustand der absoluten Interesselosigkeit und hatte nicht einmal Lust auf eine Unterredung mit dem Gewissen. Sich seinem Schicksal zu fügen, war für mich die schlimmste Phase während meiner Sucht. Hier kam es mitunter zu einem Zusammenfall der lebensnotwendigen Funktionen im Körper und daher war es mir egal, ob ich nach einem Vollrausch überhaupt noch aufwachte. Man stellte sich in den wirren Träumen das eigene Begräbnis vor, in dem ich die noch in mir vorhandene Sentimentalität entdeckte. Am nächsten Tag stand man erneut vor dem hinterlassenen Scherbenhaufen und war unerfreut angesichts der plötzlichen Wiederauferstehung.

      Nach solchen Erlebnissen stellte ich mir oft die Frage: „Wie tief muss ein Mensch eigentlich sinken, damit man von dem Laster Alkohol erlöst wird?“ All die Stunden, die ich mit ernsthaftem Sinnieren verbrachte, erwiesen sich aufgrund der Willenlosigkeit als verlorene Zeit. Ein einziger Anruf von einem Kumpel genügte, um meine Denkweise umzumodeln. Nach den ersten Bieren keimte wieder Hoffnung auf und ich stellte mir ein Leben mit eingeschränktem Trinkverhalten vor. Befand man sich jedoch wieder im Kreis der Mitstreiter, wurde ich mit den Worten: „Auf einem Bein steht es sich schlecht“, von einem vorzeitigen Gehen abgehalten. Danach, wenn ich Bekanntschaft mit dem Asphalt machte, spielten die Beine eh keine Rolle mehr.

      Mit dem Vorsatz, nicht wieder in Grübeleien zu verfallen, überbrückte ich einen gewissen Zeitraum der Misere. Trotzdem blieb das Ignorieren der vom Körper ausgesandten Signale nicht ohne Folgen. Vorerst wurde alles, was gegen meine Vorgehensweise sprach, rigoros abgeblockt und wie eine Fahrkarte entwertet. Die krankhafte Abhängigkeit vom Alkohol trieb mich zu einer Tätigkeit, die dem eines Wünschelrutengängers glich, nur lag das Objekt der Begierde nicht beim Aufspüren von unentdeckten Wasserstellen, sondern man hielt Ausschau nach einem geöffneten Fass voller Gerstensaft. Schon allein der Gedanke an das „wohlverdiente Feierabendbier“ verbunden mit dem unsinnigen Geschwätz des Suffhaufens kreiste während meiner beruflichen Tätigkeit unaufhaltsam im Kopf herum. Je näher dieser herbeigesehnte Moment heranrückte, desto hibbeliger wurde ich. Kam es durch Überstunden zu unvorhersehbarer Verzögerung bei der Einhaltung des fest eingeplanten Trinktermins, entwickelte sich automatisch ein kontraproduktives Arbeiten. Die Frustreaktion gepaart mit äußerster Reizbarkeit ließ so manches Fehlverhalten zu. Gelangte ich mit Verspätung schließlich doch zum Weizenbier, musste ich zu meinem Entsetzen feststellen, dass sich einige der Stammtischfreunde aufgrund einer geregelten Arbeitszeit schon einen gewaltigen Vorsprung beim Trinken verschafft hatten. Obwohl sich durch die fortwährenden Wiederholungen der bereits geführten Gespräche bei mir keine Bildungslücke auftat, ärgerte ich mich trotzdem über die geleistete Mehrarbeit und versuchte den Artgenossen durch zügiges Hinunterschütten in nichts nachzustehen. Diese Verhaltensweise führte zum Verlust des konstruktiven Denkens. Ich wurde geleitet und war von meiner Selbstdarstellung meilenweit entfernt. Mein Intellekt kam innerhalb des Bekanntenkreises zum Erliegen, da der Alltag aus Arbeit, Kneipe und Schlaf