Otfried Schröck

Die Kleinen sind die Feinen


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sich beim Herauskommen aufnehmen lassen würde. Wenn draußen alles ruhig war, kam sie nach einiger Zeit rückwärts aus dem Bau heraus, um Luft zu schnappen. Sobald sie mich aber bemerkte, verschwand sie blitzschnell wieder und ich hatte das Nachsehen. Es gab nur eine Lösung: ich setzte mich über der Einfahrt auf den Boden, hielt völlige Ruhe und wartete, bis ihre Rute in der Röhre erschien. Die packte ich dann und wollte die Hündin anleinen. Aber ich hatte die Rechnung ohne sie gemacht. Sie biss so wütend um sich, dass ich sofort wieder loslassen musste. Jetzt hieß es wieder warten. Als sie das nächste Mal Luft schnappen wollte, ergriff ich die Rute, so fest ich nur konnte und warf die Hündin weit von der Einfahrt weg und setzte mich blitzschnell mit meinem rückwärtigen Körperteil in die Röhre. Jetzt ließ sie sich problemlos anleinen und nach Hause bringen. Ich weiß heute nicht mehr, wie oft wir beide dieses Spiel gespielt haben. Ich glaube aber, wir ließen sie später gewähren.

      Biene wurde zwölf Jahre alt. Damals war man noch der Auffassung, dass Hündinnen mindestens einmal werfen sollten, um keinen Mammatumor zu bekommen. Deshalb wurde sie auch einmal mit einem dorfbekannten dackelähnlichen „Deckrüden“ verehelicht und warf zwei Welpen, die auch wie Kurzhaar-Teckel aussahen. Sicher waren ihre Ahnen ja irgendwann einmal reinrassig.

       STROLCH

      Mit vierzehn Jahren erwachte in mir die Jagdpassion, die vor allem durch meine Mutter gefördert wurde. Hin und wieder setzte sie sich mit mir in dem Revierteil an, in welchem ich später meine ersten jagdlichen Schritte gehen sollte. In unmittelbarer Nähe zu einem Wildacker, den noch mein Großvater als Oberförster des Gutsforstes angelegt hatte, befanden sich mehrere meist immer wasserführende Tümpel, an denen wir einmal mitten im Sommer Enten beobachten wollten. Es war auch am Abend noch sommerlich heiß, die Mücken flogen Angriff auf Angriff und dann kamen die Enten. Schon von weitem war das typische Klingeln zu hören, das die Enten beim Fliegen hervorbringen. Wer schon einmal gesehen hat, wie sich Enten zwischen hohen, dichtstehenden Bäumen auf eine kleine Wasserfläche stürzen, weiß, wie schwierig es ist, diese noch im Flug zu treffen. Meine Mutter hatte zu dieser Zeit noch keine Jagderlaubnis, wie der Jagdschein damals hieß und wir wollten ohnehin die scheuen Breitschnäbel nur beobachten. Drei Stockenten gingen auf dem kleinen Gewässer nieder und hatten uns im selben Moment weg. Ein kurzes Flügelschlagen und Wasserspritzen, danach war die Gesellschaft wieder verschwunden. Den späteren Erzählungen meiner Mutter nach soll ich enttäuscht gesagt haben: „Ich glaube, ich werde nie ein Jäger werden.“ Es sollte anders kommen.

      Den größten Anteil an meiner Jägerwerdung hatte aber Wilhelm König, der Oberförster des forstlichen Versuchsreviers in Waldsieversdorf. Er führte mich in die großen und kleinen Geheimnisse der Jagd ein und lehrte mich ganz nebenbei das weidgerechte Jagen. Er stammte aus Ostpreußen und weckte in mir die Liebe für diese Landschaft, ohne mir gegenüber je ein böses Wort über den Verlust seiner Heimat zu verlieren. Mehrfach habe ich in den letzten Jahren die Begeisterung für diese Landschaft bei Reisen nach Masuren gemeinsam mit meiner Frau geteilt.

      „Opa König“, wie er allgemein genannt wurde, prägte mich für mein Jägerleben. Mein Vater und meine Mutter gingen zu der Zeit noch nicht zur Jagd und so wurde er mein Lehrprinz in allen jagdlichen Fragen. Auch als ich den Jagdschein schon in der Tasche hatte, begleitete er mich auf meinen ersten Jagdgängen. So erinnere ich mich an eine Gelegenheit Ende September, als wir an einem Hang in einem lückigen Jungwuchsbestand ein Stück Rehwild vor uns hatten, das augenscheinlich ein Schmalreh war. Da wir es nicht sicher als ein solches ansprechen konnten, sich aber auch kein zweites Stück zeigte, empfahl er mir, nicht zu schießen. Es hätte ja eine Ricke sein können, deren Kitz nicht zu sehen war.

      Opa König hatte einen kleinen Weiher im Wald gepachtet, der eigentlich außer Karauschen und einigen Karpfen, die er eingesetzt hatte, kaum Fischwild bot. Dennoch saßen wir oft frühmorgens im Kahn auf dem Krummen Pfuhl und angelten in der aufgehenden Morgensonne, um danach den spärlichen Fang aus den beiden Reusen zu bergen. Sicher hat er mir mit diesen Erlebnissen meine Vorliebe für den Morgenansitz ins Herz gepflanzt, denn noch heute gehe ich lieber morgens als abends zur Jagd – wenn nur das frühe Aufstehen nicht wäre!

      Wilhelm König weihte mich auch in die Kunst des Knüpfens von Fischernetzen und in die Geheimnisse der Fangjagd ein. So unterhielten wir im Revier mehrere Fangsteige mit den verschiedensten Fallenarten, die wir gemeinsam gebaut und auch regelmäßig kontrolliert haben. Das waren vor allem Knüppelfallen, die zu ebener Erde errichtet, aber auch als Schlagbäume in Augenhöhe an Bäumen angebracht wurden. Diese Fangeinrichtungen brachte das Raubwild selbst zum Zuschlagen, indem es Stellungen berührte, wenn es an den Köder wollte. Eine dieser Vorrichtungen, die von uns selbst aus Holz angefertigt wurden, besitze ich heute noch. Opa König zeigte mir auch den Fang von Krammetsvögeln (Wacholderdrosseln) in einem „Dohnenstieg“, was er aus seiner ostpreußischen Heimat mitgebracht hatte. Dazu wurden Weidenruten zu einem Bügel gebogen, mit einer Schlinge aus Pferdehaar versehen und dahinter Ebereschenbeeren angebracht. Mehrere dieser Dohnen wurden dann meist an Waldrändern an Bäume genagelt. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir damit jemals Drosseln gefangen haben. Gegessen habe ich jedenfalls keine und aus heutiger Sicht ist das Fangen von Singvögeln mehr als verwerflich und auch verboten. Für die arme Bevölkerung in Ostpreußen und anderswo, wo man auch Krähen fing und aß, trug das aber zum Nahrungserwerb bei. In Deutschland ist die Jagd mit Dohnen seit 1908 durch das damalige „Reichsvogelschutzgesetz“ verboten, wurde aber im I. Weltkrieg aufgrund der Ernährungslage zwischenzeitlich wieder erlaubt. Die Jagd mit Dohnenstiegen wurde früher wohl auch in unserer Gegend häufig ausgeübt, denn in der Umgebung findet sich eine große Anzahl von Straßen mit dem Namen „Dohnenstieg“ bzw. – steig“. Ich hoffe, dass unsere damalige Wilderei inzwischen verjährt ist.

       Der Verfasser mit seiner Mutter und Opa König

      Das Foto erschien auf dem Titelblatt der Märzausgabe 1964 der Zeitschrift „unsere jagd“ 2

      Mit achtzehn Jahren bestand ich dann endlich die Jagdeignungsprüfung. Früher ging es nicht, denn damals war es nicht möglich, einen Jugendjagdschein mit 16 Jahren zu erwerben. Die Zeit zwischen meinem heftig erwachenden Interesse für Wald und Wild überbrückte ich unter der Anleitung von Opa König zunächst mit vogelkundlichen Studien. Oft war ich in Wald, Feld und am Wasser unterwegs, um Vögel und ihre Verhaltensweisen zu beobachten. Geschadet hat mir diese jagdliche Enthaltsamkeit nicht, denn ich freue mich noch heute darüber, dass es eigentlich kaum einen hier vorkommenden Vogel gibt, den ich nicht am Flugbild oder an der Stimme erkenne. In meinem Streifgebiet kamen damals noch interessante Vogelarten, wie Großtrappe, Blauracke, Uferschwalbe, und Beutelmeise vor. Der Wiedehopf war in dem erwähnten Niedermoorgebiet geradezu häufig. Das lag sicher daran, dass er in seiner Lebensweise auch an weidende Kühe gebunden ist. Als gegen Ende der 1960-er Jahre die Weideviehhaltung der industriemäßigen Landwirtschaft zum Opfer fiel, bedeutete das für den Wiedehopf auch im Roten Luch das Aus. Sein charakteristisches „Huup, huup“ ist schon lange nicht mehr zu hören und auch der Kiebitz macht nur hin und wieder auf dem Zug im Moor Rast.

      Dafür haben andere Vogelarten das Revier erobert. Der Kolkrabe siedelte sich Anfang der 1970-er Jahre an und ist heute für das Niederwild, aber auch für die frisch geborenen Lämmer der Schäfer zur Plage geworden. Fast jedes Feuchtbiotop wird inzwischen von Kranichen bezogen, die mir eine große Freude bereiten, wenn sie unterhalb meiner Jagdhütte meist mit zwei Jungvögeln ohne große Scheu durch die Wiese ziehen.

      Nach dem Abitur nahm ich 1960 ein Studium der Landwirtschaft auf. Eigentlich wollte ich wie mein Vater Forstmann werden. Da ich aber als zweiten Studienwunsch Landwirtschaft angegeben hatte und zu dieser Zeit der „sozialistische Frühling“3 in der Landwirtschaft der DDR vehement vorangetrieben wurde, brauchte man dringend Diplomlandwirte. Alle Studenten ohne eine landwirtschaftliche Vorbildung absolvierten im Rahmen des Studiums ein Grundpraktikum, an dessen Abschluss der Facharbeiterbrief Landwirtschaft stand. Dieses Praktikum führte mich in die LPG Gussow in der Nähe von König-Wusterhausen.