Otfried Schröck

Die Kleinen sind die Feinen


Скачать книгу

nicht darauf, denn ich habe ja noch mindestens einen Kilometer Wegstrecke vor mir. Strolch, der bisher neben oder hinter mir hergetrottet ist, stößt mich erst am Hacken an, dann läuft er vor und stellt sich vor mich hin, so als ob er mich fragen will: „Hast Du das nicht gehört?“

      Wichtiger als das Suchen und Bringen von Federwild war für uns die Arbeit auf der roten Fährte. Mit dem Flintenlaufgeschoss traf man nicht immer so präzise, wie heute mit der Büchse und auf größere Entfernungen ließ die Treffgenauigkeit ohnehin rapide nach. Wer wollte es dem Jäger verübeln, der nach langem Ansitz dann doch noch einen Schuss auf eine Distanz wagte, die für die Brennecke mitunter etwas zu weit war.

      Einige Nachsuchen mit Strolch sind mir in guter Erinnerung. So hatte ich bei schwindendem Büchsenlicht auf einen Überläufer geschossen, der in der Nähe des Wildackers aus dem Heide-Kranichsluch auswechselte. In der Aufregung kam ich wohl zu weit hinten ab. Am Anschuss fand ich dunklen Schweiß, der mich Böses ahnen ließ. Ich verbrach den Anschuss und ging nach Hause, um am nächsten Morgen die Nachsuche zusammen mit meiner Mutter und Strolch aufzunehmen.

      Meine Mutter, die inzwischen ebenfalls die Jagdeignungsprüfung absolviert hatte, führt Strolch am Schweißriemen. Der Hund hält, als hätte er nie etwas anderes getan, sicher die Fährte. Die war auch nicht allzu schwer, wenngleich der Schweiß immer weniger wurde. Der Rüde führt uns durch Hochwald bis zu einer vielbefahrenen Landstraße, an der wir die Nachsuche unterbrechen müssen. Mein Vater hat im Institut ausländische Kollegen zu Besuch und es ist zu dieser Zeit üblich, dass man sich für die im Ausland empfangene Gastfreundschaft bei Gegenbesuchen reichlich revanchiert. Das geschah vor allem aus zwei Gründen, die sich heute kaum noch nachvollziehen lassen. Zum einen gab es weder im Institut noch in öffentlichen Gaststätten die Möglichkeit, den Gästen früh am Morgen ein Frühstück servieren zu lassen, zum anderen waren die Tagegelder in den Instituten der sozialistischen Länder nicht sehr üppig und man selbst und auch die Gäste wollten das schmale Budget nicht für den Lebensunterhalt, sondern für Mitbringsel ausgeben. Also blieb nur die Bewirtung in der Familie des Gastgebers. Ich selbst habe das später in meiner wissenschaftlichen Tätigkeit mit Gästen im Rahmen der Internationalen Zusammenarbeit ebenso gehalten.

      Deshalb muss meine Mutter wegen der Gäste nach Hause, um das Frühstück vorzubereiten und ich warte vor Ort. Nach gut zwei Stunden ist sie wieder bei mir und wir setzen die Nachsuche fort.

      Strolch führt zunächst eine Böschung hinunter, dann in ein Stangenholz und weiter in ein zu dieser Zeit trockengefallenes Erlenbruch. Hier wechseln sich Erlen Grasbülten, Brennesselhorste und Schilfpartien ab. Ich gehe immer zehn Schritt hinter den beiden her. Als Strolch an einem größeren Brennesselhorst vorbei und meine Mutter mit diesem auf einer Höhe ist, prasselt das kranke Stück seitlich von uns weg. Mit einem schnell hingeworfenen Schuss kann ich den Fangschuss antragen. Der Überläufer, der einen Keulenschuss hatte, war einen Widergang gelaufen und schob sich, wie das kranke Sauen oft tun, neben der Fährte, ein. Im ungünstigsten Fall für Hund und Jäger greift die Sau dann von der Seite her an. Mir fallen mindestens zwei Steine vom Herzen, einer, weil die Sau meine Mutter nicht angenommen hat und ein zweiter, weil der Fangschuss die Qualen des Stückes beendet. Die Nachsuche war mehr als 1000 Meter lang.

      Eine weitere erwähnenswerte Nachsuche absolvierte Strolch ein Jahr später auf einen Überläufer, den meine Mutter ihrem Bericht zufolge abends in einem Erbsenschlag krankgeschossen hatte. Am nächsten Morgen nehmen wir bei reichlichem Büchsenlicht die Suche auf. Am Anschuss finden wir Inhalt vom Weidsack4 und so ist es sicher, dass die Sau einen Weidwundschuss hat. Diesmal führe ich den Hund. Strolch liegt gut im Riemen und hält sicher die anfangs gut sichtbare Schweißfährte. Immer weniger Tropfen finden sich und bald sind wir nur noch auf die Nase des Hundes angewiesen. Der führt zunächst durch einen großen Roggenschlag, dann durch eine noch größere forstliche Versuchsfläche, an deren Umzäunung die Sauen schon erfolgreich gearbeitet haben und dann weiter durch Hochwald bis zu einer aufgelassenen kleinen Tongrube. Hier wird der Riemen plötzlich locker und die Sau geht vor mir ab. Den Hund schnallen und die Flinte in Anschlag bringen, sind eins. Die Sau nimmt den kleinen bellenden weißen Hund anscheinend nicht ernst und stellt sich in Sichtweite. Sobald ich den Wildkörper frei habe, bringe ich den Fangschuss an. Vor uns liegt aber kein Überläufer, sondern ein mindestens dreijähriger Keiler, der später 90 Kilogramm auf die Waage bringt.

       Strolch mit dem von ihm nachgesuchten Keiler

      Eine seiner letzten Nachsuchen macht Strolch im Alter von neun Jahren. Auf der Feldmark hatte der Landwirtschaftsbetrieb am Rande eines Getreideschlages einen schmalen Streifen mit Mais bestellt. Dieser Mais muss wohl vergessen worden sein, denn er steht Ende September noch immer und wird gern vom Rot- und Schwarzwild angenommen. Mein Moped habe ich gut 300 Meter entfernt an einer Windschutzhecke abgestellt. In einem Wildbirnenbaum in der Nähe des Maisstreifens habe ich mir einen Ansitz eingerichtet, aus dem sich eine gute Rundumsicht bietet. Bei noch gutem Büchsenlicht wechselt ein Alttier mit seinem Kalb in den Maisstreifen. Ich konzentriere mich auf das Kalb, das ich mit einem sicheren Blattschuss erlege. Erst, als es liegt, mache ich mir Gedanken darüber, wie ich es bis zu meinem Moped bekommen soll. Denn ich will das Stück weder an Ort und Stelle aufbrechen, noch zur Bergung mit dem Moped heranfahren. Zu verlockend ist dieser kleine Maisschlag für das Wild und ich will die Stelle vor dem nahenden Vollmond nicht verstänkern. So komme ich auf die Idee, mir das starke Kalb auf den Rücken zu laden und es quer über den bereits geschälten Acker mindestens 300 Meter weit bis zu meinem Moped zu tragen. Bereits nach der Hälfte der Strecke bin ich fix und fertig. Ich ahne aber, dass ich das Stück wohl nicht mehr auf den Rücken bekommen werde, wenn ich es erst einmal abgelegt habe. So bleibt mir nichts anderes übrig, als eine Weile stehend zu verschnaufen und mich den Rest des Weges zu quälen. Am Moped angekommen, lasse ich das Kalb vom Rücken gleiten. Gefühlt eine viertel Stunde brauche ich, um wieder zur mir zu kommen.

      Am nächsten Abend sitze ich wieder in meinem Birnbaum und hoffe auf Anblick. Der Mond ist schon lange am Himmel, als gegen Mitternacht vom Wald aus kommend ein einzelnes Stück Schwarzwild auf den Mais zuwechselt. Auf den Schuss hin ruckt es deutlich sichtbar zusammen, um dann mit immer kürzer werdenden Fluchten den Wald anzunehmen. Eine Nachsuche noch am selben Abend verbietet sich allein schon deshalb, weil das Stück über die nahegelegene Grenze in das Nachbarrevier geflüchtet ist. Damals gab es noch keine Handys und ich muss ohnehin erst nach Hause, um den zuständigen Jagdleiter zu informieren. Da ich an einem Sonntag nicht in aller Herrgottsfrühe dort anrufen will, fahre ich zunächst am frühen Morgen gemeinsam mit meiner Mutter ins Revier. Bei bereits gutem Licht untersuchen wir den Anschuss. Die Pirschzeichen deuten auf einen Weidwundschuss hin. Ich lege Strolch zur Fährte und er führt uns sicher bis an die Grenze zum Nachbarrevier. Nun ist erst einmal Schluss mit unserer Suche. Meine Mutter bleibt zurück und ich fahre ins nächste Dorf, wo der Jagdleiter wohnt. Nach längerem Klingeln und Klopfen erscheint er schlaftrunken am Fenster und gibt mir sein Einverständnis für die weitere Nachsuche. Bald bin ich zurück und nun geht es auf der Wundfährte zügig weiter. Nach kaum mehr als 100 Metern bricht das schwer-kranke Stück aus einem Ginstergebüsch vor uns hoch und es gelingt mir, den Fangschuss anzubringen.

      Es läuft mir noch heute kalt den Rücken hinunter, wenn ich an diese Nachsuchen denke. Wir waren zwar immer zu zweit, aber mit dem Mut der Unerfahrenen haben wir, meine Mutter und ich, uns mehrmals in unnötige Gefahr gebracht. Doch es war nicht leicht, damals einen Hundeführer mit einem firmen Hund und der erforderlichen Zeit zur Nachsuche zu bekommen. Andererseits war es für uns selbstverständlich, die Nachsuche sobald wie möglich zu beginnen.

      Strolch war auf all meinen Pirschgängen und Ansitzen dabei. Er war für mich ein zuverlässiger und angenehmer Begleiter und hat mir nie Sorgen bereitet. Im Gegensatz zu seinen Nachfolgern ist er mir auch nie abhanden gekommen.

       UTZ VOM EICHHOF