Otfried Schröck

Die Kleinen sind die Feinen


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der Einarbeitung des Hundes am Kunstbau feuert man den Hund bei den ersten Übungen an, wenn er keinen oder wenig Laut gibt, um ihm Mut zu machen und ihn zu unterstützen.

      Widerwillig lässt sich meine Familie wegschicken, nur mein Weidgenosse bleibt mit mir zurück. Wir legen meinen Rucksack neben die Einfahrt und setzen uns einige Meter entfernt davon hin, um eine Zigarette zu rauchen. Es dauert keine fünf Minuten und Utz erscheint an der Einfahrt, nicht dunkelsaufarben, wie man seine Fellfarbe nennt, sondern gelbbraun vom Sand im Bau. Völlig fertig und mit verklebten Augen, nimmt er den Rucksack an und bewegt sich nicht mehr von der Stelle. Glücklich fahren wir mit meinem Hund nach diesem Erlebnis nach Hause.

      Aber damit sollte es noch nicht genug sein mit dem Fuchsgraben. Erfahrung macht nicht immer klug! Einige Wochen später nähere ich mich meinem Auto, das ich in der Nähe eines alten Eichenbestandes abgestellt habe. Utz ist bereits von der Leine und verschwindet wenige Meter von mir entfernt im Bestand – und taucht nicht wieder auf. Als ich ihm nachgehe, stehe ich kurz darauf vor der Einfahrt eines Fuchsbaues, den ich nicht kenne. Dem Laut nach zu urteilen liegt der Hund in einer Notröhre oder einem Sommerbau nur wenige Meter von der Einfahrt entfernt und nicht allzu tief dem Fuchs vor. Der Laut bewegt sich lange nicht vor der Stelle, also kann der Fuchs wohl nicht nach hinten ausweichen. Deshalb entschließe ich mich, zu graben und meinen Hund für die qualvollen Stunden im alten Mutterbau vor einigen Wochen zu entschädigen. Ich fahre nach Hause, um Hilfe und einen Spaten zu holen. Die Röhre ist ja nicht tief, das wird für mich ein Kinderspiel. Hilfe bekomme ich nicht, es ist ein Arbeitstag und keiner meiner Weidgenossen steht zur Verfügung. Am Bau wieder angekommen, verhöre ich noch einmal den Standort des Lautes. Der hat sich weder in der Tiefe noch in der Entfernung von der Einfahrt verändert. Also los, graben, aber immer schön aufpassen, dass ich keinen Sand an die Hände bekomme, denn falls der Fuchs springen sollte, möchte ich ihn natürlich auch erlegen. Es macht sich nämlich nicht so gut, die bereitstehende Flinte mit sandigen Händen anfassen zu müssen. Ich bin bald einen halben Meter tief gekommen, als es unter mir laut und anhaltend poltert. Ich greife zur Flinte und schon ist der Fuchs raus aus dem Bau. Ich habe nicht viel Platz und donnere leider vorbei. Fuchs weg, Hund zwar da, aber der Fuchs hat ihm noch einen tiefen Schmiss quer über den Fang beigebracht. Ich bin glücklich, dass die Sache noch gut ausgegangen ist, aber das dicke Ende kommt nach. Sicherheitshalber gehe ich zum Tierarzt und der verschreibt meinem Hund eine vierwöchige Quarantäne im Keller und mir eine Tollwutimpfung im Krankenhaus.

      Ich möchte nach diesen Erlebnissen nicht, das Utz noch einmal einen Bau annimmt und halte ihn zukünftig von allen diesbezüglichen Gelegenheiten fern. Das ist jedoch nur bedingt möglich, denn wenn ich ihn schnallen muss, kann ich das Annehmen eines Baues nicht mehr verhindern.

      Es ist Winter, es liegt Schnee und nach den ruhigen und genussvollen Feiertagen drängt es mich an einem sonnigen Wintertag ins Revier. Im Luch angekommen stelle ich das Auto am Eichendreieck, einer langgestreckten Baumgruppe, die sich rechtwinklig in das Luch erstreckt, ab. Ich pirsche am Bach unterhalb der Aschehalde entlang und hoffe, dass Fuchs oder Sau ebenfalls noch bei Tageslicht das Bedürfnis haben, sich die Läufe zu vertreten. Lange tut sich nichts, aber am Bahndamm angekommen, geht vor uns im Gebüsch plötzlich Meister Lampe hoch. Ich kann trotz der Überraschung einen Schuss loswerden, etwas Wolle fliegt tatsächlich, aber am überwiegenden Teil der Wolle ist der Hase noch dran. Trotzdem schnalle ich Utz in der Hoffnung, dass der Hase doch etwas abbekommen hat und der saust sofort hinter Meister Lampe her, den Bahndamm hinauf und darüber hinweg. Inzwischen habe auch ich die Gleise erreicht und verfolge von hoher Warte meinen Hund erst sichtig, dann, als er in den Weiden der Asche verschwindet, vernehme ich nur noch den Spurlaut. Sein helles „Jiff, Jiff“ schlägt plötzlich in wütenden tiefen Hetzlaut um und ich weiß sofort, jetzt ist er an Sauen gekommen. Auch das noch: kein Hase, Hund weg und der im fremden Revier an Sauen jagend. Bald ist von ihm nichts mehr zu hören und ich beginne, mir ernstlich Sorgen zu machen.

      Es vergeht eine Stunde, dann noch eine zweite und bald wird es dunkel. An der Stelle, an welcher der Hund den Bahndamm verlassen hat, lege ich meinen Lodenmantel auf die Erde. Ich will verhindern, dass er über die Gleise wechseln muss, wenn er auf seiner Spur zurückkommt. Trotzdem wird mir bei dem Gedanken an den Zugverkehr auf der Bahnstrecke nicht gerade wohler. Anschließend geht es zurück zum Auto. Dort lasse ich meinen Rucksack zurück. Zwar habe ich mit dem Hund bisher nicht geübt, am abgelegten Gegenstand auf mich zu warten, aber ich vertraue darauf, dass ihn die enge Bindung zu mir instinktiv das Richtige tun lässt. Es ist bereits dunkel geworden und ich muss nach Hause, um meiner Frau das Geschehen zu beichten. Utz ist von Anfang an nicht nur mein Hund, sondern auch ihrer. Wir sorgen uns beide und es hält mich nicht lange zu Hause. So bin ich gegen 19:00 Uhr wieder im Revier und kontrolliere Mantel und Rucksack. Nichts! Auch auf das Signal „Hunderuf“, das ich mit dem Jagdhorn blase und auch auf mein Pfeifen und Rufen lässt sich Utz nicht sehen.

      Voller Sorge informiere ich alle möglichen Ansiedlungen, bei denen er anlaufen könnte, den Reichsbahnangestellten am Haltepunkt, den Wachhabenden der nahegelegenen Kaserne und den Leiter der am Bahnübergang gelegenen landwirtschaftlichen Untersuchungseinrichtung. Der ist auch Jäger und ich bin seit Jahren mit ihm befreundet. Nochmals fahre ich zum Mantel am Bahndamm und danach zum Rucksack am Eichendreieck und stelle zwei Stöcke aufrecht in den Rucksack, damit Utz bequemer einschliefen kann - wenn er denn zurückkommt. Wieder zu Hause, mache ich mir das Bett im Wohnzimmer auf dem Sofa zurecht, um das Telefon nicht zu überhören. Handys oder das Mobilteil eines Festnetz-Telefons gab es damals noch nicht. Das wir überhaupt ein Telefon im Hause hatten, war nur einer glücklichen Fügung zu verdanken.

      Nach einer kurzen, unruhigen Nacht weckt mich gegen sechs Uhr morgens das Telefon. Mein Weidgenosse ist mit den Worten: „Dein Hund war gerade auf unserem Betriebsgelände, hat sich aber nicht anfassen lassen. Dann ist er sehr zielstrebig in Richtung Bergschäferei gelaufen“ am Apparat. Mir fällt ein Stein vom Herzen, denn in der angegebenen Richtung befindet sich das Eichendreieck, das mein Hund schon von vielen Jagdgängen her kennt.

      Wir, meine Frau ist selbstverständlich mit dabei, fahren quer durch das Luch direkt auf das Eichendreieck zu. Noch ist es stockdunkel, aber wir sehen schon von weitem dicht nebeneinander zwei grüne Leuchtpunkte. Utz hat den Rucksack angenommen. Die Freude auf allen Seiten ist riesengroß und wir schließen unser „Miststück“ in die Arme. Er ist über und über mit rötlichem Staub von der „Asche“ bedeckt. Möglicherweise hat er, nach dem er die Verfolgung der Sauen aufgegeben hat, noch einen Fuchsbau besucht, denn das dauert bei ihm ja erfahrungsgemäß immer etwas länger. Wir fragen uns, wie er zurück gefunden hat. Auf seiner Spur vom Hinweg zurück zum Rucksack bestimmt nicht, denn da wäre er zuerst am Mantel angelangt. Der Weg über den Betriebshof des Untersuchungsdienstes ist der kürzeste vom letzten Laut bis zum Rucksack. Es bleibt eigentlich in diesem Fall wohl nur die Vermutung, dass er sich großräumig an dem Geruch der Eichen und anderen Gerüchen orientiert hat. Dabei spielt sicher die Windrichtung auch eine Rolle; das haben wir damals aber nicht überprüft. Wir sind so froh, dass wir unseren Hund wieder haben, und dieser ist es wohl auch. Als wir mit dem Auto die Gleise auf dem Bahnübergang kurz vor unserem Haus überqueren, hebt er seinen Kopf aus der warmen Jacke, in die wir ihn eingepackt haben, heraus und ein freudiger Jauler kommt aus seinem Fang. Er ist wieder zu Hause. Wer mag wohl glücklicher sein in diesen Minuten – Frauchen, Herrchen oder unser Hund.

      In meinem Heimatort wird nun schon seit vielen Jahren ein Volksfest, welches Jägerfest genannt wird, gefeiert. Während das Programm dieses Festes ursprünglich mit vielen jagdlichen Aktivitäten ausgefüllt war, ist es heute nur noch ein Volksfest wie viele andere auch. Geblieben ist der Name, das Engagement der Jäger hält sich, auch durch die veränderten Bedingungen nach der Wende, in Grenzen. Heute wird kaum eine der aufwendigen jagdlichen Programmpunkte mehr durchgeführt, weil die Akteure dafür nicht mehr durch ihre Arbeitgeber freigestellt werden. So haben wir in den ersten Jahren mit Erfolg und unter großem Applaus u. a. die Arbeit der Teckel in einem künstlichen Bau vorgestellt. Dazu hatte ich mir ein Plastikrohr mit einem Durchmesser von 20 Zentimetern in drei Teile schräg zerschneiden lassen, so dass ich sie in zwei Kurven auslegen konnte. Allein die Vorbereitung des Aufbauens nahm