der Kartenvorbestellungen für die Kriminacht auf verdächtige Personen prüfen.
»Die drei Gespräche übernehmen Mia und ich«, entschied Peer Kappe und fixierte sein restliches Team. »Nach dem Käufer des Messers zu suchen und das Abchecken der Besucher ist euer Bier. Viel Spaß und Erfolg dabei!«
Zuerst fuhren sie zu Bosetzky, der in der Nähe des Bundesplatzes wohnte, was vom Dienstgebäude in der Keithstraße (Landeskriminalamt Berlin, LKA 1, Delikte am Menschen) nur einen Katzensprung entfernt war.
»Meine Oma kennt ihn von seinen Familienromanen her«, sagte Mia Maximilian. »Ich selbst aber habe von ihm noch nichts gelesen. Kein real existierender Kriminalbeamter ist ja so bekloppt, Kriminalromane zu lesen.«
Peer Kappe lachte. »Ich habe in der Reihe ›Es geschah in Berlin‹ alles von ihm gelesen, da setzt er nämlich zwei meiner Ahnen, Hermann und Otto Kappe, ein Denkmal.«
»Wenn das so ist, dann müsste man dich wegen Befangenheit von dem Gespräch mit ihm ausschließen, denn auch er könnte ja der Täter sein.«
»Bitte, Mia, da geht wohl deine Fantasie etwas mit dir durch!«
»Wieso denn das? Seine große Zeit ist vorbei. Keiner spricht mehr von ihm. Ich habe bei den Zwischenbuchhändlern, den sogenannten Barsortimenten, angerufen: Seine Auflagenhöhen befinden sich im steilen Sinkflug. Ich habe mich bei seiner Bank erkundigt: Er ist hoch verschuldet. Und nun? Wegen der Geschehnisse bei der Reinickendorfer Kriminacht schreiben alle Zeitungen etwas über ihn, ist er auf allen Sendern zu hören und sitzt in allen Talkshows. Seine PR-Werte schnellen in die Höhe, plötzlich ist er wieder wer, man kauft seine Bücher, er kann seine Schulden abzahlen.«
Peer Kappe musste zugeben, dass das alles sehr überzeugend klang, zumal er beim Betreten der Bosetzky’schen Wohnung im Stillen dachte, dass mancher Hartz-IV-Empfänger luxuriöser eingerichtet war.
Bosetzky grinste, als sie in seinem Arbeitszimmer Platz genommen hatten. »Ich weiß, was Sie denken, aber meine Wohnung ist im Stil von Heinrich Zille eingerichtet, sehr verkramt und wenig bourgeois. Ich bin nun mal ein alter Linker von der FU. Auch mein Motiv, das Theatermesser ausgetauscht zu haben, wird Ihnen einleuchten: Ich bin in den Medien, also bin ich. Der Mann, der sich am Schreibtisch mindestens fünfzig Morde ausgedacht hat, ist nun selbst ein Mörder geworden. Das ist schwer zu toppen.« Er sah Mia Maximilian und Peer Kappe nacheinander an. »Und was hat die Kriminalpolizei nun zu meiner Verteidigung hervorzubringen?«
Peer Kappe ging auf das Spielchen ein. »Erstens, dass es noch eine Reihe anderer Tatverdächtiger gibt, und zweitens, dass wir auf der Mordwaffe nur die Fingerabdrücke von Fabio Sullenschin gefunden haben.«
»Gott, der Arme!«, rief Bosetzky. »Ich bin seit Jahren mit ihm befreundet und fühle mich jetzt mitschuldig daran, dass sie ihn zur stationären Behandlung in die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik gebracht haben. Er hat unwissentlich seinen besten Freund erstochen, und das erträgt keiner.«
Mia Maximilian wollte das Gespräch etwas von seiner emotionalen Höhe herunterholen und bemühte sich ostentativ um Gelassenheit. »Herr Bosetzky, haben Sie mit Ihrer schriftstellerischen Fantasie eine Idee, wer die Messer vertauscht haben könnte?«
»Hm …« Bosetzky dachte nach. »Hätte ich mir diesen Fall ausgedacht, wäre der Täter ein Besucher der Kriminacht, der psychisch gestört ist, schon lange selber einen Mord begehen wollte, es aber aus vielerlei Gründen nicht geschafft hat. Nun aber ist ihm die Idee gekommen, den armen Sullenschin stellvertretend für ihn die Tat ausführen zu lassen.«
Peer Kappe schüttelte den Kopf. »Wie soll er das mit dem Theatermesser denn gewusst haben?«
»Ganz einfach, Herr Kommissar: Wir haben ab 16 Uhr auf der Bühne geprobt, da kann er alles gesehen haben, denn zu dieser Zeit hatte jeder ganz normale Benutzer der Bibliothek noch Zugang zur Ausleihe. Und dann hatte er über drei Stunden Zeit, sich ein echtes Messer zu beschaffen und es gegen das Theatermesser auszutauschen.«
Mia Maximilian nickte. »Zeit genug, durch ganz Berlin zu streifen und sogar mit der S-Bahn ins nahe Umland zu fahren, um sich ein Messer zu kaufen …«
Die beiden von der Mordkommission sahen sich an und waren sich einig, dass bei Bosetzky nun nichts mehr zu holen war und sie zu Lexa Krojanke fahren sollten, die in der Charlottenburger Mommsenstraße wohnte.
»Ist es für eine Schauspielerin von großem Vorteil, wenn sie einen Namen hat, der außergewöhnlich ist und den sich alle gleich einprägen?«, fragte Mia Maximilian auf dem Weg dorthin.
Peer Kappe lachte. »Klar. Du würdest mit deinem Namen eigentlich auch in die TV-Serie ›Gute Zeiten, schlechte Zeiten‹ gehören und nicht in eine Mordkommission.«
Als sie dann die Maisonette von Lexa Krojanke betraten, sah es dort genauso aus wie bei all den Möchtegern-Prominenten, die Mia Maximilian aus der Fernsehreihe »Das perfekte Promi Dinner« kannte: normierte Originalität pur. Sie kannte etliche Backwarenfachverkäuferinnen, die hübscher waren als Lexa Krojanke und einen wesentlich höheren IQ hatten.
Man setzte sich, als sich die beiden Kripoleute vorgestellt hatten, und die Schauspielerin war es, die die erste Frage stellte.
»Sie sind wegen dem Mord an Jannek hier?«
Peer Kappe zuckte unwillkürlich zusammen, zum einen, weil es natürlich »wegen des Mordes« heißen musste, und zum anderen, weil er diese Frage selten dämlich fand und am liebsten mit »Nein, wegen eines Autogramms von Ihnen« beantwortet hätte. Er konnte sich aber noch rechtzeitig bremsen. »Ja, wegen Herrn Jannek Schloppe. Es ist schrecklich für Sie, aber …«
Weiter kam er nicht, denn die Schauspielerin brach in Tränen aus. »Schrecklich, denn Jannek und ich …« Sie stockte.
Mia Maximilian hakte sofort nach. »Jannek und Sie, Sie waren einmal miteinander liiert?«
»Ja, wir wollten auch heiraten, bis er dann mit dieser Mistbiene aus München was angefangen hat.«
Sie nannte noch Namen und Adresse, aber da die Dame gerade zu Dreharbeiten in Mexiko weilte, spielte das im Augenblick keine Rolle. Lexa Krojanke aber stand plötzlich unter Mordverdacht: Aus Rache konnte sie die Messer vertauscht haben. Wie kaum ein anderer hatte sie die Gelegenheit dazu gehabt. Ob sie das echte Theatermesser mit nach Hause genommen hatte? Reichte dieser Verdacht aus, eine Hausdurchsuchung zu beantragen? Nein. Peer Kappe beschloss, das Gespräch erst einmal zu beenden, aber es konnte nicht schaden, sie noch ein wenig unter Druck zu setzen. Vielleicht verlor sie die Nerven und beging einen entscheidenden Fehler.
Mia Maximilian schien seine Gedanken erraten zu haben und kam ihm zuvor. »Wissen Sie, Frau Krojanke, für uns Kriminalisten ist ja das Motiv immer das A und O. Und wenn Sie Herrn Schloppe möglicherweise gehasst haben, weil er Sie verlassen hat, dann …«
»Dieser Verdacht ist ja eine ungeheuerliche Verleumdung!«, schrie die Schauspielerin. »Verlassen Sie auf der Stelle meine Wohnung! Ich werde meinen Anwalt einschalten.«
Als Peer Kappe und Mia Maximilian wieder unter auf der Mommsenstraße in ihrem Wagen saßen, fragten sie sich, ob dieser Ausbruch einem Geständnis gleichzusetzen sei oder nur dem Temperament der Diva geschuldet war, konnten sich aber nur auf ein dickes Fragezeichen verständigen.
Nun ging es nach Wittenau zur Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik, zu Bonnies Ranch, wie die Berliner sagten. Dort konnten sie mit ihren Dienstausweisen nur wenig Eindruck schinden und wurden von Pontius zu Pilatus geschickt, bis sie endlich Dr. Christian Kühl gegenübersaßen.
»Tut mir leid, aber ich kann Ihnen leider nicht gestatten, mit Herrn Sullenschin zu sprechen«, erklärte der Arzt ihnen. »Der Mann ist schwer traumatisiert, schließlich hat er einen seiner besten Freunde getötet. Ein Gespräch mit Ihnen würde nur die frische Wunde wieder aufreißen. Jetzt hat er sich in einen ›besonnenen Dämmerzustand‹ geflüchtet, wie wir das nennen, das heißt, er verfolgt ein irreales, traumhaftes Ziel, das ihn ganz erfüllt, ohne nach außen groß aufzufallen – nämlich das Ziel, seinen Freund Jannek Schloppe wieder zum Leben zu erwecken. So unternimmt er mit ihm Ausflüge in die Mark Brandenburg, und sie treten