Erhard Heckmann

Kreation Vollblut – das Rennpferd eroberte die Welt (Band 1)


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der Amtszeiten der Könige George I. und George II. florierte der Rennsport weiterhin, doch war es erst der zweite Sohn von George II., der Duke of Cumberland, der bleibenden Einfluss auf Sport und Zucht ausübte: Er war das erste königliche Mitglied im „Jockey Club“ und der Züchter von Herod (1758) und Eclipse (1764), die gemeinsam mit Matchem (1748) als das große Dreigestirn in die Geschichte des Vollblutpferdes eingingen. 1766 hatte Richard Tattersalls sein Auktionsgeschäft zu Newmarket gestartet, und 1875 registrierte auch der Prince of Wales, der spätere König Edward VII. seine Rennfarben und kaufte Pferde für sein Gestüt Sandringham. Für diesen enthusiastischen Besitzer-Züchter gewann Persimmon (St. Simon) 1896 Derby und St. Ledger, vier Jahre später der St. Simon-Sohn Diamond Jubilee die DREIFACHE KRONE, und Ambush die GRAND NATIONAL zu Aintree vor den Toren Liverpools. Manifesto, der in diesem schwersten Hindernisrennen der Welt achtmal lief und 1897 und 1899 bereits gewonnen hatte, wurde dabei Dritter. Insgesamt war er dreimal auf diesem Platz, als auch einmal Vierter und zum Schluss Sechster. Minoru (Cyllene), den König Edward der VII. von Lord Wavertree gepachtet hatte, gewann 1909, ein Jahr vor seinem Tod, das Derby als Debütant. Das beste Pferd des Jahrgangs war Minoru nicht, das war Bayardo, aber sein größter Beitrag zu seiner Rasse war, dass er die große Serenissima zeugte, die mit ihrer Tochter Selene – Mutter des kleinen „großen“ Hyperion – eine unsterbliche Linie begründete.

      Das königliche Gestüt, das auch in unseren Tagen noch eine Rolle spielt und von Königin Elezabeth II fortgeführt wird, erbte King George V (1865-1936), während Lord Wavertree (Colonel Hall-Walker) seinen irischen Zuchtbetrieb der britischen Nation vermachte, und der heute als Irish National Stud fungiert.

      Züchterisch gesehen führt heute die direkte Hengstlinie eines jeden Vollblüters der Welt zu einem der drei nach England importierten Araber-Hengste zurück, die sich von einigen Hundert, die zwischen 1689 und 1730 dort eine neue Heimat fanden, als Vererber durchsetzen konnten, und die als The Godolphin Arabian, The Byerly Turk und The Darley Arabian bekannt sind. Auf der Stutenseite führt die Familienlinie am Ende zu den jeweiligen Gründerstuten, und jedes Pferd, das als Vollblüter gelten soll, muss beide Anforderungen erfüllen. Den Nachweis dafür leisten die Gestütsbücher.

      Die neue Rasse Vollblut, oder Thoroughbred, wie wir sie heute kennen und erleben, ist somit das Produkt einer progressiven Entwicklung über rund drei Jahrhunderte, an deren Anfang hochklassiges arabisches Blut mit dem englischer Stuten gekreuzt, und durch ständige Auslese auf der Rennbahn stetig verbessert wurde. Damit ist die Zucht des Vollblüters auch die Krone der Tierzucht. Eine echte Wissenschaft ist die Vollblutzucht allerdings nicht, sondern eher eine Art Glück, genetische Lotterie und Kunst zugleich. Sie bedingt jedoch eine große Portion Wissen, Erfahrung, Geduld und Hoffnung, und zu ihrer Vervollkommnung trugen zahlreiche Züchter bei.

      Den Anfang machten die Engländer und Iren; Deutschland war etwas früher dabei als Amerika, Australien, Neuseeland, Österreich-Ungarn und Frankreich. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die Ouvertüren auch schon in Italien und Argentinien gespielt, während Japan erste Importe tätigte. Danach traten von den heute wichtigeren Rennsportländern auch Südafrika, Kanada und Brasilien auf den Plan, doch fasste der Vollblüter auch in Chile, Peru und anderen Ländern Fuß, während der internationale Auftritt der Russen Mitte des 20. Jahrhunderts nur ein kurzer war. In einigen dieser Länder, wie England/Irland, Frankreich, Australien/Neuseeland, USA oder Japan entwickelten sich Sport und Zucht zu einer gewaltigen, globalen Industrie, und in Südamerika hat der Vollblüter auch ein Millionen-Publikum. Auf Hongkong trifft das ebenfalls zu, doch eröffnete dort eher die Wettleidenschaft der Chinesen ungeahnte Möglichkeiten, während der Riese China anderswo fast noch schläft. Allerdings nicht mehr tief, denn erst im Januar 2016 wurden 76 Vollblüter von Irland nach Peking geflogen.

      Deutschland, dessen Zucht in der Weltelite mitmischt, hat im Rennsport schon wesentlich bessere Zeiten erlebt, zu denen auch noch ein hochkarätiger und florierender Hindernissport gehörte. Inzwischen ist dieser allerdings so gut wie tot, denn zum Jockey- oder Trainer-Championat reichen heute weniger als zehn Jahressiege aus. Seine Blütezeit hatte er zu Karlshorst, als der Verein für Hindernisrennen Charlottenburg seine Bahn verlegte, und im Mai 1894 auf rund 75 Hektar das neue Karlshorst eröffnete, das 30.000 Besuchern Platz bot, 1935 eine neue Tribüne erhielt, als das „deutsche Autieul“ galt, und 1932 die ersten Jagdrennen für Damen ausschrieb. 1945, als in Berlin etwa 3.000 Pferde Richtung Russland verladen worden sein sollen, entstand aus diesem Hinderniskurs die einzige Trabrennbahn „Ostdeutschlands“.

      Die deutsche Vollblutzucht besitzt im 21. Jahrhundert zwar internationales Niveau, und ihre Produkte gewannen in den letzten Jahren mit Millionen dotierte internationale Großereignisse wie die Japan- und Melbourne Cups, den Prix de l’Arc de Triomphe oder die King George VI.and Queen Elizabeth Stakes zu Royal Ascot, doch betrachten Fernsehen, Presse und andere deutsche Medien den Galopprennsport und die Vollblutzucht seit Jahrzehnten als wären sie nicht existent!

      Als die ersten Besitzer 1762 ihre Farben beim englischen Jockey Club registrieren ließen, waren das sieben Dukes (Herzog), vier Earls (Graf), zwei Baroninnen, je ein Marquis und Lord (Adliger) und drei ganz normale Bürger. Ende des 20. Jahrhunderts kam der Typ der „Neureichen“ aus Handel und Industrie hinzu, die enorme Summen für gut gezogene Jährlinge ausgaben, und mit ihrer Passion in der Runde der Aristokratie auch versuchten, ihren sozialen Status aufzubessern. Sie alle vereinte jedoch der edle Vollblüter, und sie waren in der Regel alle Besitzerzüchter, die ausschließlich für ihren eigenen Rennstall züchteten. Die einen taten das als „Home-Breeder“, die auch die besten Hengste ihrer Zeit besaßen, die anderen als „Outside-Breeder“, die auf die besten Stallions ihrer Zeit zwar Zugriff hatten, die jedoch in anderen Gestüten standen und ihnen nicht selbst zählten. James R. Keene, Die Alexanders und die Calumet Farm gehörten beispielsweise zur ersten Version, Lord Fallmouth und Frederico Tesio zur zweiten Kategorie. Marcel Boussac machte hinsichtlich der Hengste auch Ausnahmen und nutzte dabei die besten, die anderswo zu finden waren. Lord Derby, der selbst über eigene Spitzenbeschäler verfügte, schickte dennoch etwa die Hälfte seiner Stuten zu Spitzen-Vererbern, die anderswo standen, um durch sie die Blutströme seiner eigenen Herde aufzufrischen. Und auf diese Weise erhielt er Pferde wie Hyperion, Phalaris oder Swynford.

      Abram S. Hewitt, Oxford-Absolvent mit Enthusiasmus für den Rennsport und später Besitzer und Züchter, analysierte in seinem Buch „The great Breeders and their Methods“, dass Zuchten, wie z. B. die von William Woodward in den USA und Lord Astor in England, die klassisch gezogene Stuten mit Hengsten paarten, die auf der Rennbahn ebenfalls klassische Leistungen gezeigt hatten, mit der Zeit verflachten, weil der Speed verlorenging. Und wenn Züchter, wie Warren Wright, zu Beginn nicht auf Spitzenhengste zurückgriffen – ähnlich auch bei Tesio oder Lord Derby – dann blieb der gewünschte Erfolg ebenfalls aus. Als Wright jedoch den 1937 importierten Epsom-Derbysieger Blenheim nutzte, erhielt seine Calumet Farm aus dessen erstem Jahrgang den „Triple Crown-Sieger“ Whirlaway. Und wenn beide Züchter-Gruppen auf die jeweils besten Stallions ihrer Zeit zurückgriffen und Stehvermögen mit Speed kreuzten, dann waren sie auch erfolgreich, während die reine Kreuzung Speed mit Speed größtenteils in zweit- oder drittklassigen Fliegern resultierte.

      Und dieser Chronist weist darauf hin, dass es zwar purer Zufall sein kann, jedoch bemerkenswert ist, dass die einflussreichsten Hengste der moderneren Zeit wie Phalaris, Hyperion, Swynford, Nearco, Nasrullah, Blandford oder Tourbillon aus Paarungen mit „fremden“ Hengsten entstanden. Und er analysierte weiter, dass in den wichtigsten und erfolgreichsten Pedigrees wiederholt Speed und Stehvermögen zu finden sind, während die Kreuzung zwischen reinen klassischen Pedigrees auf Dauer nicht erfolgreich sind, weil sich im Laufe der Zeit der Speed in den Blutlinien verlor, und Erfolge letztlich ganz ausblieben. Nach seinen Recherchen brachte Speed mit Speed auch nicht den gewünschten Erfolg, während die Inzucht auf einen nahen Vorfahren, der die wichtigsten „Schlüssel-Pferde“ vertrat, ein Vorteil sei, der von den Züchtern jedoch oft unterschätzt worden wäre. Hewitt räumt auch ein, dass in der Zucht auch „Glück“ ein nicht unwesentlicher Faktor zu sein scheint, man jedoch ohne einige herausragende Pferde zu besitzen, auch nicht erfolgreich sein kann. Ein weiteres Merkmal seiner Analysen: Die „großen“ Pferde standen meistens auch in den Ställen bedeutender Trainer. Ob das „große“ Pferd den „großen“ Trainer macht, oder umgekehrt, das lässt auch Hewitt offen. Wichtiger ist dabei