Dr. med. Ludwig Manfred Jacob

Prostatakrebs-Kompass


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Konzentrationen als Estradiol (Voigt und Bartsch, 1986). Im Gegensatz zu Estradiol, das mit gleichstarker Affinität an ER-alpha und -beta bindet, zeigt das schwächer affine 3beta-Adiol eine leichte Bindungsselektivität zum ER-beta-Rezeptor. Viel größer ist jedoch die Selektivität bezüglich der intrinsischen Aktivität: Im ERE-Luziferase-Assay (ERE = estrogen responsive element) steigerte 3beta-Adiol bei gleicher Konzentration die ERE-Promotor-Aktivität von ER-beta stärker als das viel höher affine Estradiol. Trotz niedrigerer Affinität zeigte 3beta-Adiol an ER-beta also eine höhere Wirkung als Estradiol. 3beta-Adiol bindet und blockiert zudem ER-alpha, zeigt aber in Bezug auf die ERE-Promotor-Aktivität von ER-alpha eine extrem geringe Wirkung (Pak et al., 2005). Dies bedeutet für das Wirkprofil von 3beta-Adiol, dass es sich schwerpunktmäßig um einen ER-beta-Agonisten und um einen ER-alpha-Antagonisten handelt und damit einen bedeutenden endogenen, antiproliferativen Schutzfaktor darstellt. Eine Studie lieferte zudem einen Hinweis darauf, dass 3beta-Adiol vermutlich als Komplex mit ER-beta bei der Regulation der AR-Expression eine große Rolle spielt und überschießendes epitheliales Wachstum verhindert (Weihua et al., 2001).

      Letztlich ist das Zusammenspiel zwischen ER-alpha, ER-beta, dem Progesteron- und Androgenrezeptor und ihren Isoformen, Liganden und Coaktivatoren sehr komplex. Der Forschungsbedarf ist noch groß, insbesondere auch in Bezug auf die ER-beta-Isoformen und deren sich veränderndes Verteilungsmuster und Wirkungsweise während der Kanzerogenese. Fraglich ist, ob sich ein solch komplexes und hochgradig dynamisches Zusammenspiel so aufklären lässt, dass sich daraus für den Patienten und seine individuelle, ebenso komplexe Tumorbiologie klare Konsequenzen ergeben. Allgemeingültige Antworten wird es wohl letztlich nicht geben, denn kein Betroffener und kein Prostatakarzinom gleicht dem anderen.

      Phytoöstrogene wie Soja-Isoflavone können Prostatakrebs und möglicherweise auch der gutartigen Prostatahyperplasie vorbeugen.

      Als Arzt und Betroffener sollte man immer daran denken, dass sich beim fortgeschrittenen, metastasierten Prostatakarzinom vor allem unter Anti-Hormontherapie die Tumorbiologie sehr dynamisch verändert und normalerweise gesunde Stoffe, wie z. B. Isoflavone (Kurahashi et al., 2007), unter Umständen eine paradoxe Wirkung haben und das Tumorwachstum fördern können. So wie sich die individuelle Beschaffenheit der Tumorbiologie im Krankheitsverlauf allmählich verändert, muss sich auch die Therapie anpassen. Daher sollte der Erfolg der Naturstoffe, insbesondere auch hochdosierter Phytoöstrogene, sowie der Erfolg von Änderungen in der Einnahme an der PSA-Dynamik gemessen werden.

      Die nachfolgende Tabelle gibt eine Übersicht über die unterschiedlichen Zell- und Gewebstypen der menschlichen Prostata sowie über deren Rezeptoreigenschaften im physiologischen und pathologischen Zustand (Tab. 2).

      

       Tab. 2: Hormonrezeptorstatus in der Prostata

Zelltyp Sekretorisches Epithel Basalzellen Stroma (Bindegewebe)
Vorkommen Differenzierungskompartiment Proliferationskompartiment
Eigenschaften • PSA-sezernierend • hormonsensibel • androgenabhängig • stammzellartig
Androgenrezeptor (AR) androgenabhängig androgenunabhängig, aber Androgen-rezeptiv vorhanden
Östrogenrezeptoren (ER-alpha, ER-beta) Kein ER-alpha Hohe Expression von ER-beta (wirkt als Tumorsuppressorgen antiproliferativ und differenzierungsfördernd, verhindert Hyperplasie des sekretorischen Epithels) Gleichgewicht von AR und ER-beta ER-alpha (wirkt als Onkogen: proliferativ, blockiert Differenzierungswandel) Geringe Expression von ER-beta (antiproliferativ, differenzierend) Gleichgewicht von AR, ER-alpha und ER-beta ER-alpha fördert über Wachstumsfaktoren die Proliferation des Epithels.
Kanzerogenese Anstieg der Expression von ER-alpha und AR, Abnahme der ER-beta-Expression Verlagerung der Proliferationsaktivität von der Basalzellschicht in die Sekretionsschicht Hormonrefraktäre Prostatakarzinomzellen nehmen wieder die Stammzelleigenschaften von Basalzellen an.

       Verschiebung des Östrogen-Androgen-Gleichgewichts

      Prostatakrebs ist ein typischer Alterskrebs: Seine höchste Inzidenz liegt jenseits des 65. Lebensjahres. Auf den ersten Blick ist es erstaunlich, dass das androgenabhängige Prostatakarzinom seine höchste Inzidenz zu dem Zeitpunkt im Leben des Mannes hat, an dem der Androgeneinfluss am niedrigsten und der Östrogeneinfluss am höchsten ist. Dies weist auf die besondere Bedeutung der Östrogene in der Kanzerogenese des Prostatakarzinoms hin.

      Mit zunehmendem Alter verschiebt sich bei Männern das Androgen/​Östrogen-Verhältnis auf die Seite der Östrogene. Diese Verschiebung des Hormongleichgewichts geschieht durch eine Abnahme der Testosteron- und Dehydroepiandrosteron- (DHEA-)Produktion. Gleichzeitig werden aus Testosteron immer mehr Östrogene und immer weniger Dihydrotestosteron (DHT) gebildet. Mit dem Alter nehmen so die Östrogenkonzentrationen, die den ER-alpha aktivieren zu, während die Spiegel der typischen ER-beta-Agonisten (3beta-Adiol, DHEA) abnehmen (s. Abb. 6).

       Abb. 6: Bildungswege und ER-Bindungspräferenzen verschiedener Androgen- und Östrogenmetaboliten

      Auch bei der Entwicklung der gutartigen Prostatahyperplasie steht der relative Androgenmangel mit der altersbedingten Verschiebung des Androgen-Östrogen-Gleichgewichts im Vordergrund (Bonkhoff und Remberger, 1998): Der relative Androgenmangel führt zur Überexpression des AR im Proliferationskompartiment (hypersensitive Basalzellen) und zur Beschleunigung des Differenzierungswandels von Basalzellen zum sekretorischen Zelltyp mit einer Hyperplasie des sekretorischen Epithels. Darüber hinaus verursacht der relative Androgenmangel eine verminderte Expression des Androgen-regulierten ER-beta im sekretorischen Epithel, wodurch der protektive, antiproliferative Einfluss des ER-beta abgeschwächt und die Kanzerogenese begünstigt wird.

      Im Laufe des Lebens können sich in der Prostata beträchtliche Mengen an Kanzerogenen ansammeln. Hierzu zählen klassische Kanzerogene, die beim Braten, Schmoren oder Grillen von Fleisch auftreten (z. B. heterozyklische Amine, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe), sowie exogene, östrogen wirksame Substanzen (z. B. PCB, Phthalate [verbreitete Weichmacher aus Kunststoff], Bisphenol A). Diese wirken einerseits direkt kanzerogen und fördern andererseits durch ihre östrogene Wirkung die Proliferation. Auch Metalle wie Kupfer, Nickel und Eisen wirken proinflammatorisch, prooxidativ und dadurch prokanzerogen. Viele Metalle wirken auch als Metalloöstrogene. Bei Metalloöstrogenen handelt es sich um anorganische Xenoöstrogene, die an Östrogenrezeptoren binden und die Genexpression in humanen, östrogensensitiven Zellen beeinflussen. Beispiele für Metalloöstrogene