Die Bedeutung des Östrogenrezeptors alpha in der Prostata
Der ER-alpha ist der wichtigste Östrogenrezeptor in Basalzellschicht und Stroma, wo er die Synthese von Wachstumsfaktoren stimuliert. Bei der malignen Transformation des Prostataepithels verlagert sich die Expression des ER-alpha auf mRNA-Ebene konstant in das sekretorische Epithel (Bonkhoff et al., 1999). Unter den verschiedenen durch ER-alpha regulierten Genen ist der Progesteronrezeptor einer der wichtigsten Marker der östrogenregulierten Zellproliferation in hormonabhängigen Tumoren. Die Expression des Progesteronrezeptors verläuft im Prostatakarzinom parallel zu der von ER-alpha (Bonkhoff et al., 2001). Am ausgeprägtesten ist die Expression des Progesteronrezeptors in hormonrefraktären und metastasierten Prostatakarzinomen.
Im Gegensatz zum Mammakarzinom ist die verstärkte Expression von ER-alpha und des Progesteronrezeptors im Epithel ein späteres Ereignis in der Tumorprogression des Prostatakarzinoms und korreliert mit dem Gleason-Score und dem pathologischen Stadium. Demnach wirkt der ER-alpha als Onkogen, das bei der malignen Transformation des Prostataepithels überexprimiert wird und somit den kanzerogenen Effekt der Östrogene auf das sekretorische Prostataepithel vermitteln kann (Bonkhoff et al., 1999). Die Blockierung des ER-alpha ist ein rationaler Ansatz für die Chemoprävention des Prostatakarzinoms. Dafür sprechen auch erste klinische Ergebnisse (z. B. Price et al., 2006) über die präventive Wirkung des ER-alpha-Antagonisten Toremifen. Auch Granatapfel-Polyphenole zeigen eine ER-alpha-antagonistische Wirkung.
Die Expression von ER-alpha und ER-beta kann durch verschiedene östrogene Substanzen beeinflusst werden. So steigern Östrogene die Expression von ER-alpha und senken die ER-beta-Expression. Dies fördert die Entwicklung von hyper-, dys- und neoplastischen Läsionen der adulten Prostata (Ho et al., 2006b). Dagegen steigerten im Uterus von ovarektomierten Mäusen der ER-beta-Agonist Genistein und SERMs (selective estrogen receptor modulator) wie Tamoxifen und Toremifen die Expression von ER-beta. Genistein und das Antiöstrogen ICI (Faslodex) senkten zusätzlich die Expression von ER-alpha (Wu et al., 2007).
Die ER-Situation scheint also auch von externen Stimuli abhängig zu sein und ist über ERalpha in eine proliferative oder über ER-beta in eine antiproliferative Richtung dirigierbar. Bei der heutigen westlichen Ernährungsweise und bei Übergewicht (hoher Körperfettanteil begünstigt die Estradiol-Biosynthese) überwiegen hochwirksame Östrogene wie 17-beta-Estradiol, die den ER-alpha stimulieren und damit die Proliferation des Prostataepithels fördern.
Die Bedeutung des Östrogenrezeptors beta in der Prostata
Der ER-beta existiert in fünf Isoformen (ER-beta 1 - 5), die unterschiedliche Funktionen und Gewebsverteilungsmuster besitzen. ER-beta 1 ist die einzige funktionstüchtige Isoform und kann als einzige Isoform Homodimere bilden. Für ER-beta 2, 4 und 5 wurde gezeigt, dass sie mit ER-beta 1 Heterodimere bilden und dadurch die Signaltransduktion von ER-beta 1 verstärken können. Dabei hängen die verstärkenden Effekte vom Liganden ab: Estradiol und synthetische Östrogene (z. B. Diethylstilbestrol, Bisphenol A) induzieren die Homodimerisierung von ER-beta 1 sowie die Heterodimerisierung mit ER-beta 2, 4 oder 5, während Phytoöstrogene (z. B. Genistein, Apigenin) lediglich ER-beta-1-Homodimere mit geringerer östrogener Transaktivierungsaktivität hervorrufen (Leung et al., 2006).
In hormonrefraktären PC3-Prostatakarzinomzellen wurden hohe Werte für die ER-beta-2-Isoform, in hormonrefraktären DU145-Prostatakarzinomzellen extrem hohe Werte für die ER-beta-5-Isoform gemessen. Bei allen Karzinomzelllinien war die Konzentration der ERbeta-1-Isoform, die als einzige klassische Homodimere mit geringerer östrogener Transaktivierungsaktivität bilden kann, gering. Dies legt nahe, dass es in Prostatakarzinomzellen verstärkt zu einer Bildung von ER-beta-Heterodimeren kommt, die eine höhere östrogene Transaktivierungsaktivität haben als die Homodimere (Leung et al., 2006). Möglicherweise ist eine Verschiebung des Verteilungsmusters der ER-beta-Isoformen der Grund, warum in Prostatakarzinomzellen die Tumorsuppressorfunktion von ER-beta zurückzugehen scheint.
Bisher wird ER-beta in Studien meistens als „ein“ Rezeptor behandelt und die wahrscheinlich unterschiedlichen Auswirkungen der verschiedenen Isoformen und ihrer Heterodimere nicht berücksichtigt. Diese Überlegungen vorab sollen folgende Ausführungen zur allgemeinen und prostataspezifischen Wirkung von ER-beta etwas relativieren.
Selektive ER-beta-Agonisten zeigten im Tiermodell antiinflammatorische Effekte bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Arthritis und Endometriose (Harris, 2006). Entzündungsprozesse spielen sowohl in der Kanzerogenese als auch bei der Entstehung von Alterserkrankungen und Arteriosklerose eine wichtige Rolle. Der ER-beta vermittelt im Tier- und Zellversuch bei Brustkrebs und in der Prostata antiproliferative und antientzündliche Effekte (Koehler et al., 2005). Diese Ergebnisse zeigen, dass der ER-beta sowohl in der Prävention als auch in der Therapie von Alters-, Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen von Bedeutung ist (Koehler et al., 2005).
Der ER-beta ist in die Bildung antioxidativer Schutzenzyme involviert und schützt damit indirekt vor oxidativem Stress. Antioxidative Schutzenzyme, wie die Phase-2-Enzyme Chinonreduktase und Glutathion-S-Transferase, spielen bei der Entgiftung von freien Radikalen und Chinonen, die bei Phase-1-Reaktionen aus Substraten wie z. B. Estradiolmetaboliten entstehen, eine wichtige Rolle. Für die Expression der Chinonreduktase wurde eine deutliche Abhängigkeit von der Stimulation des ER-beta gezeigt – die Aktivierung von ER-alpha führte zu deutlich geringeren Expressionsraten des Enzyms (Montano et al., 2000). Ähnliche Effekte zeigten sich für die Expression der Glutathion-S-Transferase (Montano et al., 2004). In Brustkrebszellen reduzieren ER-beta-selektive Phytoöstrogene Estradiol-induzierte oxidative DNA-Schäden, wobei gleichzeitig eine ER-beta-abhängige Steigerung der Chinonreduktase-Expression festgestellt wurde (Bianco et al., 2005).
Während ER-alpha Proliferation und Wachstum unterstützt und damit die Entstehung hormonabhängiger Tumoren fördert, vermittelt ER-beta die Zelldifferenzierung und schützt damit vor Tumoren. ER-beta vermittelt seine protektiven Wirkungen dadurch, dass er die Signaltransduktion (Lindberg et al., 2003), aber auch die Expression von ER-alpha moduliert (Imhof et al., 2006).
Vieles deutet darauf hin, dass ER-beta in der Prostata der wesentliche ER ist, als Tumorsuppressor agiert und eine antiproliferative, differenzierende Schutzwirkung hat (Imamov et al., 2005). Ein ER-beta-knockout-Experiment an Mäusen verdeutlicht dies: Wurde den Mutanten mit Prostatakarzinom das ER-beta-Gen mittels Adenoviren wieder zugefügt, gingen Invasion und Wachstum der Prostatakarzinomzellen zurück. In Zellen, die ER-beta im Übermaß exprimierten, wurde Apoptose ausgelöst, während die Prostata von ER-beta-knockout-Mäusen eine verminderte Apoptoserate zeigte (Cheng et al., 2004).
ER-beta ist im gesunden Prostataepithel ein klarer Tumorsuppressor, doch möglicherweise verändert sich diese Rolle im Prostatakarzinom – entweder durch verminderte ER-beta-Expression oder indem seine Tumorsuppressorfunktion zurückgeht (Fixemer et al., 2003). Bonkhoff und Mitarbeiter gehen davon aus, dass ER-alpha und ER-beta in hormonrefraktären Prostatakarzinomen Heterodimere bilden (Fixemer et al., 2003), wobei der proliferative ER-alpha der dominierende Aktionspartner zu sein scheint. Dies wird durch molekularbiologische Untersuchungen bestätigt (Li et al., 2004b) und ist ein Hinweis darauf, dass im hormonrefraktären Stadium der ER-beta durch Heterodimerbildung mit ER-alpha seine antiproliferative Wirkung verliert und die proliferative Wirkung von ER-alpha dominiert.
Untersuchungen an der unreifen Prostata von Mäusen legen nahe, dass auch zwischen der Expression von ER-beta und dem Androgenrezeptor (AR) eine Beziehung besteht (Weihua et al., 2002): So weisen proliferierende Zellen in der unreifen ventralen Prostata deutlich höhere Konzentrationen des AR bei gleichzeitig geringer ER-beta-Expression auf, während das Verhältnis bei nicht proliferierenden Zellen umgekehrt ist. In Abwesenheit des ER-beta kommt es vermutlich entweder zu einer Steigerung der mRNA des AR oder zu einer Verminderung seines Abbaus.
3beta-Adiol ist der wohl wichtigste endogene ER-beta-Agonist und spielt bei der Regulation des Prostataepithels eine wichtige Rolle. Es wird in der Prostata aus Dihydrotestosteron unter Einwirkung des Enzyms 3beta-Hydroxysteroiddehydrogenase (17 HSD 3) gebildet (s. Abb. 6, Seite 42).