Dr. med. Ludwig Manfred Jacob

Prostatakrebs-Kompass


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und die Expressionsmuster mit RT-PCR, Flow-Zytometrie und Immunozytochemie validiert. Ein besonders deutlicher Unterschied war die Hochregulierung von Entzündungsgenen wie Interleukin-6 und NF-kappaB im Krebsgewebe. Ein Hemmstoff von NF-kappaB zeigte eine gezielte proapoptotische Wirkung auf Krebsstammzellen, während gesunde Stammzellen nicht beeinträchtigt wurden. Die Schlussfolgerung der Studie: NF-kappaB ist ein Hauptfaktor, der die Apoptoseresistenz von Krebsstammzellen kontrolliert, und damit ein attraktives Ziel chemopräventiver und chemotherapeutischer Interventionen.

      Epitheliale Dünndarmkarzinome kommen im Gegensatz zu epithelialen Dickdarmkarzinomen extrem selten vor. Stammzellen dieser Darmregion weisen eine natürlich hohe Apoptoserate auf, während Dickdarmstammzellen eine sehr niedrige Apoptoserate und eine hohe Resistenz gegenüber Chemo- und Strahlentherapie aufweisen (Potten et al., 1997). Eine NF-kappaB-Aktivierung ist im Dickdarmepithel besonders häufig.

      Bei der akuten myeloischen Leukämie (AML) wurde nachgewiesen, dass nur eine kleine Untergruppe der AML-Zellen mit einem Stammzell-Immunophänotyp in der Lage ist, Leukämie bei der Übertragung auf NOD/​SCID-Mäuse auszulösen. Diese Zellen sind besonders chemo- und strahlenresistent (Griffin, 2001). Diese Leukämiestammzellen wiesen eine konstitutive Aktivierung von NF-kappaB auf. Sie unterschieden sich nur auf diese Weise von Blutzellen mit ähnlichem Immunophänotyp aus gesundem Knochenmark und sicherten sich durch die Apoptosehemmung Unsterblichkeit (Guzman et al., 2001). Diverse Polyphenole sind potente NF-kappaB-Aktivierungshemmer. In einer Studie führten fermentierte Granatapfelsaft-Polyphenole bei Leukämiezellen entweder zur Redifferenzierung oder zur Apoptose – eine Bestätigung der oben beschriebenen Zusammenhänge (Kawaii und Lansky, 2004). Granatapfel-Polyphenole und bestimmte andere Pflanzenstoffe greifen also direkt Krebsursachen, wie entzündungsaktivierte Krebsstammzellen, regulativ an, während gesundes Gewebe unbeeinflusst bleibt.

      Wer vor einem Jahrzehnt von Tumormilieu oder der Rolle des umliegenden Gewebes gesprochen hätte, wäre in Fachkreisen nicht ernst genommen worden. Inzwischen gibt es zum microenvironment des Tumors zigtausende wissenschaftliche Veröffentlichungen. Das neue Schlagwort „microenvironment“ wird mit „Nische“ übersetzt und beschreibt das komplexe Umfeld und die vielfältigen, noch wenig erforschten Signale aus dem umliegenden Gewebe und der unterstützenden extrazellulären Matrix auf die Zelle (Bissell und Labarge, 2005). Werden gewöhnliche Körperzellen aus ihrem Umfeld gerissen und in Kultur gebracht, neigen sie dazu, sich teilweise zu entdifferenzieren. Stammzellen hingegen vermehren sich im Kulturmedium rasch und differenzieren sich – so als wäre dies ihr normales Programm. Die Kunst ihrer Züchtung besteht tatsächlich im geeigneten Kulturmedium.

      Viele der Gene und Signalkaskaden, die sich als wichtig für die Signalgebung zwischen Stammzellen und ihrer Nische erwiesen haben, sind im Zusammenhang mit Krebs bekannt. Auch das weist darauf hin, dass die Nische eine Rolle für die letzten Schritte zur malignen Entartung von Tumorstammzellen spielt (Bissell und Labarge, 2005).

      Das Verhalten normaler Stammzellen wird von ihrem eigenen genetischen Programm im Zusammenspiel mit Nischensignalen kontrolliert. Veränderungen in der Art und Weise, wie Stammzellen mit onkogenen Mutationen auf diese Signale reagieren, spielen möglicherweise eine entscheidende Rolle beim endgültigen Übergang zur Bösartigkeit. Der Einfluss der Nische auf die Krebszelle ist seit langem bekannt, wird aber trotz der vielen neuen Erkenntnisse immer noch viel zu wenig beachtet.

      In einem eindrucksvollen Experiment (Mintz and Illmensee, 1975) wurden embryonale Krebsstammzellen subkutan in Mäuse injiziert, woraufhin sich Teratokarzinome bildeten. Wurden jedoch die gleichen Krebszellen in eine Blastozyste (Keimbläschen) injiziert, entwickelten sich daraus gesunde chimäre Mäuse. In einem ähnlichen Experiment (Hochedlinger et al., 2004) wurden Kerne von malignen Krebszellen in Eizellen eingesetzt. Trotz der malignen Erbinformation entstanden gesunde Mäuse. Der maligne Phänotyp kam in der gesunden Nische der Eizelle nicht zum Tragen.

      Das Rous-Sarcoma-Virus (RSV), für dessen Entdeckung der Nobelpreis verliehen wurde, enthält das hochpotente Onkogen pp60src und verursacht aggressive Tumoren, wenn es in Hühnerflügel injiziert wird (Rous, 1979). In Hühnerembryos injiziert verursachte das gleiche Virus jedoch keinen Tumor (Milford and Duran-Reynals, 1943). Dieser „Nischen-Effekt“ trat auch auf, wenn das onkogene Virus v-src direkt ins Genom integriert wurde (Stoker et al., 1990).

      In einer neuen, gesunden Nische brachten Stammzellen, die durch onkogene Mutationen bereits für eine maligne Entartung prädestiniert waren, keinen Tumor hervor. Wurden im Gegenzug gesunde Stammzellen in ein durch Strahlen vorgeschädigtes Gewebe verpflanzt, so gingen aus ihnen Tumoren hervor (Barcellos-Hoff und Ravani, 2000).

      Diese Experimente zeigen, dass weniger die Erbinformation im Zellkern über die maligne Entartung entscheidet als andere Faktoren wie das Tumormilieu oder microenvironment. Es gibt zahlreiche weitere Beispiele für den Zusammenhang zwischen Nische (microenvironment) und Tumorentstehung (Kenny und Bissell, 2003).

      Entzündungsprozesse und Wunden (z. B. Injektion von Tumorzellen bei Versuchstieren) führen zu einem mitogen wirkenden Milieu, das die Krebsstammzellentartung begünstigt. So entwickeln sich nach einer Tumorzellinjektion bei Hühnern Tumoren an der Injektionswunde oder anderen Wunden (Dolberg et al., 1985; Sieweke et al., 1990). Im Verdacht steht hier u. a. TGF-beta, das aufgrund der Wunde gebildet wird (Sieweke und Bissel, 1994).

      Durch die Wirkung der Nische kann eine vorgeschädigte Stammzelle jahre- oder jahrzehntelang ruhig gehalten werden, sich aber im geeigneten Milieu mit enormer Geschwindigkeit zu Krebs entwickeln. Dies entspricht der klinischen Erfahrung, dass ein scheinbar ausgeheilter Krebs plötzlich besonders heftig rezidivieren und dann schnell zum Tode führen kann. Stammzellen haben bekanntlich eine enorme Proliferationsfähigkeit: So braucht der Embryo nur neun Monate bis zur Geburt.

      Der heutige Kenntnisstand erlaubt die Schlussfolgerung, dass die Nische (Gewebeumfeld) auch in Anwesenheit von starken Onkogenen als ein bedeutender Tumorsuppressor agieren kann bzw. bei präkanzerösen oder anscheinend gesunden Zellen als wichtiger Tumorpromotor (Sternlicht et al., 1999). Da die Regulation von Zelladhäsion, -polarität und -proliferation von größter Bedeutung für die Homöostase des Gewebes ist, können alle Stoffe, die die Nische und ihre Signalwege stören, letztlich zu Krebs führen (Sternlicht et al., 1999; Wiseman und Werb, 2002).

      Die Krebszelle ist nie isoliert von ihrem Umfeld zu betrachten, wobei auch diese Sichtweise noch sehr beschränkt ist und die psychoneuroimmunologischen Zusammenhänge des Menschen und seine geistig-seelischen Aspekte und Einflüsse außer Acht lässt. Die Krebsentstehung ist sicherlich wesentlich komplexer als die Folge von Mutationen der Erbinformation, wie jahrzehntelang geglaubt wurde.

      Die Auswirkungen des Krebsstammzellmodells in seiner Interaktion mit dem Tumorumfeld auf die Behandlung von Krebs sind weitreichend. Wenn das traditionelle Vorgehen die Tumormasse zwar reduziert, dabei das Tumorumfeld aber weiter schädigt und die Krebsstammzellen verfehlt, wird der Krebs wiederkehren – wahrscheinlich aggressiver als zuvor. Behandlungsverfahren, die gezielt gegen Tumorstammzellen gerichtet sind, könnten hingegen den eigentlichen Motor der Krankheit zerstören. Die nichttumorbildenden Zellen sterben nach einiger Zeit von selbst ab. Praktisch ausgedrückt: Unkraut bekämpft man nicht mit dem Rasenmäher, sondern durch Ausreißen.

      Wie Sie über eine gesunde Ernährungs- und Lebensweise das Milieu krebshemmend gestalten und dazu beitragen können, einzelne Tumorstammzellen im Zaum zu halten, erfahren Sie ab Kapitel 4, Seite 65.

      Das androgenabhängige Prostatakarzinom tritt paradoxerweise am häufigsten zu dem Zeitpunkt im Leben des Mannes auf, an dem der Androgeneinfluss am niedrigsten und der Östrogeneinfluss am höchsten ist. Dies weist auf die besondere Bedeutung der Östrogene in der Kanzerogenese des Prostatakarzinoms hin. Mit dem Alter nehmen auch die Konzentrationen der Östrogene zu, die den Östrogenrezeptor- (ER-)alpha aktivieren, während die Spiegel der typischen Substanzen, die den protektiven ER-beta