Dr. med. Ludwig Manfred Jacob

Prostatakrebs-Kompass


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sind als Mutationen.

      Tatsächlich kann eine Zelle eine große Anzahl von krebserregenden DNA-Schäden ansammeln, ohne als Krebszelle aktiv zu werden (Chin et al., 2004). Selbst nach einer malignen Entartung kann eine Krebszelle trotz ihrer tumorigenen DNA-Schäden wieder phänotypisch normal werden, wenn sie sich in einem gesunden zellulären Umfeld (Nische) befindet. Dies wird später noch ausführlich aufgezeigt (s. Kapitel 3.4.2, Seite 30). Demnach scheinen höhere Ordnungsprinzipien und Zusammenhänge im Gewebe mindestens ebenso wichtig wie der Zustand der (Krebs-)Zelle zu sein.

      Jedoch wird basierend auf einem einseitigen Verständnis seit Jahrzehnten ein Kampf gegen den Krebs geführt, der für viele Erkrankte tödlich endet und bisher Billiarden an Geldern verschlungen hat. Eines ist bisher sicher: Unser heutiges Verständnis von Krebs und Krebstherapie steht noch ganz am Anfang.

      Um letztlich wirkungsvolle Krebstherapien zu entwickeln, benötigen wir ein umfassenderes Verständnis der Kanzerogenese und müssen – wie das Leben – in großen, komplexen Ordnungssystemen denken, in denen die Erhaltung der Ordnung und Homöostase durch komplexe Kommunikationsprozesse von zentraler Bedeutung ist. Hierbei sind zwei Ansätze der Forschung von großer Bedeutung: die Entdeckung der Krebsstammzellen als die möglicherweise wichtigsten Übeltäter sowie deren Entartung und Interaktion mit ihrer Nische, d. h. dem umliegenden Milieu und Zellverband (Matrix).

      Krebszellen werden oft so beschrieben, als hätten sie alle das gleiche Potential sich zu vermehren und die Krankheit zu verschlimmern. Die Krebszellen eines Tumors sind jedoch nicht homogen: Für die Tumorprogression, -invasion und -metastasierung scheinen besonders aggressive Krebszellen verantwortlich zu sein, die Schlüsselmerkmale mit Stammzellen gemeinsam haben (Reya et al., 2001). Durch ihre unbegrenzte Lebensdauer, ihre Fähigkeit ein großes Spektrum von Zelltypen hervorzubringen und ihre extrem hohe Proliferationsfähigkeit erlangen diese sogenannten Krebsstammzellen eine ganz besondere Rolle bei der Tumorentstehung und -metastasierung. Ihr Ursprung dürfte entweder in fehlregulierten geschädigten Stammzellen selbst oder in deren unmittelbaren Abkömmlingen liegen. Wie jede Stammzelle kann sich auch eine Krebsstammzelle unbegrenzt selbst erneuern, zugleich wird sie aber zum Quell einer theoretisch unbegrenzten Zahl jener abnorm differenzierten Zellen, welche den Großteil eines Tumors ausmachen. Diese sind allerdings von begrenzter Lebensdauer und können selbst keinen Tumor neu bilden. Durch ihre Fähigkeit der unbegrenzten Selbsterneuerung und Apoptoseresistenz kommt der Krebsstammzelle eine zentrale Rolle zu.

      Pionierarbeit wurde auf dem Gebiet der Krebsstammzellen von Ernest McCulloch und James Till in Toronto in den 1950er und 1960er Jahren geleistet. Durch die Forschungsgruppe um John Dick wurde das alte Konzept neu belebt (Bonnet und Dick, 1997; Hope et al., 2004; Lapidot et al., 1994). Hierin wurde der Nachweis erbracht, dass bei der akuten myeloischen Leukämie (AML) eine Leukämiestammzellfraktion mit den gleichen Oberflächenmarkern wie bei normalen hämatopoetischen Stammzellen vorhanden ist. Nur diese Krebsstammzellen konnten in immunsupprimierten Tieren AML auslösen.

      Bei Brustkrebs wurde festgestellt, dass wenige hundert implantierte Krebsstammzellen einen Tumor induzieren konnten, während die Verpflanzung einiger hunderttausend der „normalen“ Krebszellen keinen Tumor auslösten (Al-Hajj et al., 2003). Durch Strahlen- oder Chemotherapie werden diese Tumorstammzellen meist nicht abgetötet, da sie resistent gegen Apoptose sind. Zwar wird die Tumormasse verringert, die aggressiven Zellen werden jedoch selektiert (Al-Hajj et al., 2003). Dies ist vermutlich der Grund dafür, dass auf eine deutliche Remission (Vernichtung der Hauptmasse des Tumors) häufig ein besonders aggressives, therapieresistentes Rezidiv folgt. Um Krebs nachhaltig zu heilen, müsste die Therapie gezielt gegen Tumorstammzellen gerichtet sein.

      Ähnliche Ergebnisse wurden anhand von Biopsien menschlicher Karzinome bei Gehirntumoren (Galli et al., 2004; Hemmati et al., 2003; Singh et al., 2003 und 2004), Kolonkarzinomen (O'Brien et al., 2007; Ricci-Vitiani et al., 2007) sowie bei Krebs im Hals- und Nackenbereich erzielt (Prince et al., 2007). In all diesen Studien vermochte die verpflanzte Krebsstammzellfraktion in immunsupprimierten Mäusen Tumoren mit der ursprünglichen Histopathologie zu erzeugen. Auch beim Lungenkarzinom (Kim et al., 2005), Pankreaskarzinom (Li et al., 2007) und dem malignen Melanom (Monzani et al., 2007) wurden derartige Krebsstammzellen nachgewiesen.

      Normale Stammzellen sind in der gesunden Prostata für die Bildung des Gewebes verantwortlich, sie unterscheiden sich aber von Prostatakrebsstammzellen u. a. durch ihre Eigenschaften und Oberflächenmarker. In einer Studie mit Prostatakrebs-Biopsien aus Prostatektomien wurden Prostatakrebsstammzellen mit spezifischen Oberflächenmarkern isoliert und vermehrt (Collins et al., 2005). In einer weiteren Studie (Gu et al., 2007) wurde gezeigt, dass diese pluripotenten Krebsstammzellen die Fähigkeit haben, nach ihrer Verpflanzung in einen neuen Wirt (Maus) den ursprünglichen Tumor in seiner ganzen zellulären Mannigfaltigkeit (inklusive sekretorischer, Basal- und neuroendokriner Zellen) und hohen Ähnlichkeit in Bezug auf Histopathologie und Gleason-Score zu generieren. Die Krebsstammzellen waren überwiegend AR-negativ und hatten die Oberflächenmarker CD44, CD133 und CD117.

      Weder eine Chemo- noch eine Strahlentherapie kann den Großteil der Krebsstammzellen abtöten (Guzman et al., 2002; Jones et al., 2004). So haben Studien (Bhatia et al., 2003; Graham et al., 2002) gezeigt, dass Krebsstammzellen in Patienten mit chronisch myeloischer Leukämie (CML) auch nach Imatinib-Therapie gefunden werden. Stammzellen können in einen Ruhezustand übergehen, wo sie von Zytostatika nicht erreicht werden, Entgiftungstransportkanäle aktivieren und sich insbesondere durch die Aktivierung antiapoptotischer Signalwege vor dem Zelltod bewahren.

      Beim Prostatakrebs könnten diese Prostatakrebsstammzellen letztlich auch der Grund dafür sein, dass die Hormonentzugstherapie seit ihrer Erfindung durch Huggins und Hodges im Jahre 1941 den Beweis schuldig geblieben ist, tatsächlich das Leben von Krebskranken zu verlängern. Zwar kann sie palliativ die Symptomatik der Erkrankungen und ihres Fortschreitens mildern, jedoch gibt es bis heute keinen schlüssigen Beweis, dass sie das Leben verlängern kann, wie die Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Urologie darlegen (Heidenreich et al., 2014). Denn die Hormonablation scheint gegen Prostatakrebsstammzellen wirkungslos zu sein bzw. verschafft diesen sogar einen Überlebensvorteil (Litvinov et al., 2003), indem sie die reifen Prostatakrebszellen abtötet, während Prostatakrebsstammzellen vom Hormonentzug nicht beeinträchtigt werden. Daher kommt es nach einer massiven Remission letztlich zum Fortschreiten der Erkrankung in das hormonrefraktäre Stadium, in dem der Tumor von primitiven Blasten-ähnlichen, androgenunabhängigen Krebszellen gebildet wird. Folgerichtig wäre das sinnvolle Hauptziel der Forschung, Mittel gegen eben diese Tumorstammzellen zu finden, während man die differenzierten, verhältnismäßig harmlosen Prostatakarzinomzellen unbehelligt lässt.

      Leider ist dieses Unterfangen nicht einfach, weil Stammzellen im ganzen Organismus für die Regeneration des Gewebes verantwortlich sind. Alle Stammzellen abzutöten bedeutete, das Leben auszulöschen. Ziel wäre es daher, zunächst die wesentlichen Unterschiede zwischen gesunden und kranken Stammzellen zu definieren. Tatsächlich ergeben sich hieraus hochinteressante Therapieansätze.

      Entzündungsprozesse scheinen eine zentrale Rolle in der malignen Entartung von Stammzellen zu spielen. Durch Entzündungsprozesse wandern Stammzellen in das Gewebe ein und können sich im Verlauf einer chronischen Entzündung maligne transformieren. Dies wurde unter anderem beim Magenkarzinom nachgewiesen (Houghton et al., 2004).

      In einer aktuellen Studie (Birnie et al., 2008) wurden Biopsien